Fake News erkennen und kontern: Ein Interview mit Ingrid Brodnig
Ingrid Brodnig druckt das Internet aus. Wenn sie über Fake News spricht, hält sie schon mal einen herauskopierten Screenshot auf einem A4 in die Kamera. Etwas verwirrend Handfestes im virtuellen Raum eines Zoom-Webinars über ein Thema, das sich auch zum Großteil im Digitalen abspielt. Ingrid Brodnig spricht über Falschmeldungen und Verschwörungsmythen, über die Globalisierung von Feindbildern und wie man darauf reagieren kann. Die österreichische Journalistin und Kolumnistin hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben. „Einspruch!“, der aktuelle Titel und damit genau die Aufforderung, die sie auch bei der Globalisierungswoche des Center for Advanced Studies ans Publikum weitergab.
Eurac Research: Frau Brodnig, gibt es denn überhaupt noch eine gemeinsame Wirklichkeit, auf die wir uns als Gesellschaft beziehen können? Es gibt ja auch jene, die überzeugt behaupten, die Erde sei flach.
Ingrid Brodnig: Verschiedene Communities gab es schon immer, nur war es so, dass deren Stimmen lange Zeit nicht gehört wurden. Das Netz hat ihnen nun einen Kanal gegeben, ihre Version der Realität und ihre Lebenswelt zu kommunizieren. Menschen können Ideen und Vorstellungen leichter entdecken als in vordigitalen Zeiten, wo es nur eine Handvoll Zeitungen und Sender gab. Es ist durch unsere weltweite Vernetzung leichter, sich von dem, was man Mainstream nennt, wegzubewegen. Ich glaube deshalb nicht, dass wir je die eine geteilte Wirklichkeit hatten. Wir wussten einfach nicht so genau, welche Sichtweisen in Teilen der Bevölkerung kursierten. Die Welt war auch früher nicht so einheitlich.
Aber die Diskrepanz zwischen Fakten und Meinung hat durchaus zugenommen?
Brodnig: Die Anzahl der Meinungen und Behauptungen nimmt tatsächlich zu und wir dürfen nicht davon ausgehen, dass dadurch auch ein Mehrwert an Erkenntnis entstanden wäre. Was tatsächlich gestiegen ist, sind Verunsicherung und Verwirrung. Das größte Problem sind unseriöse Akteurinnen und Akteure, die einen rhetorischen Trick anwenden und so tun, als sei alles eine Ansichtssache – selbst wissenschaftliche Fakten. Wenn ich sage, dass die Erde ein schöner Ort ist, ist das eine Meinung. Es ist Ansichtssache, ob ich etwas schön finde oder nicht. Es ist aber keine Ansichtssache, ob die Erde eine Scheibe ist oder ein Ellipsoid. Wenn plötzlich alles eine Meinungsfrage ist, besteht bei der Vielzahl an Stimmen und Verwirrung die Gefahr, dass man sich in jedem Bereich nur mehr das heraussucht, was am simpelsten klingt oder einem am besten gefällt.
Man hat den Eindruck, dass einige sich in bestimmten Bereichen auch selbst überschätzen und sich nicht mehr auf die Expertise anderer verlassen können. Wo ist uns denn dieses Vertrauen in andere verloren gegangen?
Brodnig: Der klassische Third Person Effekt. Wenn wir über das Problem der Irreführung reden, ist man geneigt zu glauben, dass es nur andere betrifft. Der österreichische Politologe Peter Filzmaier hat Menschen dazu befragt, ob sie denn glauben, dass andere sich schwertun, zwischen Fake News und seriöser Information zu unterscheiden. 8 von 10 Österreicherinnen und Österreichern beantworteten die Frage mit ja. Die Probandinnen und Probanden wurden auch um eine Selbsteinschätzung gebeten. Hier gaben nur 4 von 10 an, selbst auch Schwierigkeiten zu haben, Falschmeldung zu erkennen. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass man entweder die anderen unterschätzt, sich selbst überschätzt oder beides.
Wenn es darum geht, Verunsicherung zu reduzieren, wirken unseriöse Behauptungen attraktiver. Sie kennen keinen Zweifel, nur die angebliche Wahrheit.
Ingrid Brodnig
Haben auch Sie blinde Flecken?
Brodnig: Sicher. Als zum Beispiel das Satiremagazin „Die Tagespresse“ erstmals online ging, verkündete es, dass die katholische Kirche in Österreich nun ein neues Maskottchen habe: Keuschi, das Känguru, das Jugendliche von vorehelichem Sex abhalten solle. Im ersten Moment habe ich geglaubt, die Meldung sei echt. Warum? Weil es genau zu meinen Vorurteilen und meinem Bild der Kirche gepasst hat. Was man daraus lernt, ist, dass jeder anfällig für Fake News sein kann, besonders dann, wenn eine Nachricht die eigene Weltsicht bestätigt. Man nennt das Confirmation Bias, einen Bestätigungsfehler. Wir neigen dazu, Meldungen, die uns gut ins Konzept passen, eher Glauben zu schenken, weil wir weniger Hürden dafür überwinden müssen.
Sie sprechen von einem Gefühl der Überforderung, das viele Menschen angesichts des Informationstornados überkommt, dem wir täglich ausgesetzt sind. Eigentlich sollten die klassischen Qualitätsmedien gerade jetzt doch der natürliche Ankerpunkt sein. Woher kommt denn dieses Misstrauen, Stichwort „Lügenpresse“?
Brodnig: Kernproblem ist, dass Menschen Ungewissheit als unglaublich unangenehm empfinden. Gerade der Qualitätsjournalismus zeichnet sich aber dadurch aus, dass er Ungewissheit einräumt, dass er Komplexität benennt und nicht glättet. Ja, die logische Reaktion auf Ungewissheit müsste darin liegen, Qualitätsmedien zu konsumieren, aber wenn es darum geht, Verunsicherung zu reduzieren, wirken unseriöse Behauptungen attraktiver. Sie kennen keinen Zweifel, nur die angebliche Wahrheit. Ein Problem des Qualitätsjournalismus ist auch, dass er es oft nicht schafft, Dinge, die gar nicht kompliziert sein müssten, verständlich darzustellen – etwa durch Infografiken. Ähnlich ist es in der Wissenschaftskommunikation. Die wissenschaftliche Sprache betont den Zweifel – etwas, das der Laie nicht gewohnt ist. Forscherinnen und Forscher steigen in der Regel in ein Thema ein, indem sie betonen, was man noch nicht weiß, anschließend kommen jene Erkenntnisse, die man für relativ gesichert hält, dann wird erklärt, dass noch weitere Forschung nötig ist. Das Publikum kann das schwer einstufen und liest daraus: die Wissenschaft weiß gar nichts. Darum ist es wichtig, dass Wissenschaft im Austausch mit der Öffentlichkeit durchaus die Komplexität bewahrt, aber bereits mit jenen Informationen einsteigt, worüber im Fach ein klarer Konsens herrscht. Der Wissenschaftsjournalismus ist deshalb umso wichtiger, weil er die Sprache für die Leserinnen und Leser einordnet und die Brückenfunktion erfüllt.
Wir sehen täglich Falschnachrichten in sozialen Netzwerken oder anderen Kanälen. Da wird munter geteilt: Bekannte, Freunde, die Oma… Doch wer setzt Fake News überhaupt in die Welt und zu welchem Zweck?
Brodnig: Wir wissen bei vielen Falschbehauptungen nicht, wer sie in die Welt gesetzt hat. Was wir aber kennen sind die drei wichtigsten Motive, warum sie verbreitet werden. Erstens, weil es Menschen gibt, die tatsächlich falsche Dinge glauben und teilen. Zweitens, weil Menschen Profit aus gewissen Geschichten schlagen, indem sie etwas behaupten oder ein Problem beschreiben und gleichzeitig auch das vermeintliche Wundermittel dazu präsentieren, Spendenaufrufe starten oder indem sie Fake-News-Seiten betreiben, wo sie Werbeeinnahmen generieren. Klicks bringen schließlich Geld. Außerdem gibt es politische Interessen. Antisemitische Gruppierungen verbreiten Falschheiten, um ihre Ideologie zu streuen oder es wird über anonyme Accounts Stimmung gemacht, wie es auch Russland während des US-Wahlkampfs 2016 gemacht hat, um Donald Trump zum Sieg über Hillary Clinton zu verhelfen.
In Ihrem neuesten Buch geben Sie Tipps, wie auf Verschwörungserzählungen reagiert werden kann. Welchen Tipp würden Sie hervorheben?
Brodnig: Nicht immer in den Konter gehen. Wenn jemand etwas Falsches erzählt, neigt man dazu, diese Fehlinformation sofort und zu 100 Prozent ausräumen zu wollen. Ein Umdenken ist aber immer ein Prozess. Anstatt vom Gegenüber zu verlangen, den Fehler sofort einzugestehen, kann man die Dynamik des Gesprächs durch Fragen ändern und die Person vorsichtig zum Zweifeln heranführen. Woher hast du die Information? Warum glaubst du es? Anstatt eines harten rhetorischen Zweikampfes, schafft man dadurch das Angebot, sich das Argument doch gemeinsam anzuschauen. Wer sich bei einer Nachricht unsicher ist, kann sich auch auf Faktencheck-Webseiten wie etwa Correctiv oder Mimikama informieren.
Was macht Ihnen Sorgen, was macht Hoffnung?
Brodnig: Was mir Sorgen bereitet, ist, dass wir in einer Medienökonomie leben, in der Emotionalisierung besser wirkt, weil sie mehr Klicks bringt. Emotionalisierung wird oft als billiges Instrument eingesetzt, um Menschen auf schlecht recherchierte Berichte oder Falschmeldungen zu leiten. Wenn wir bemerken, dass wir uns über eine Meldung besonders aufregen und starke Gefühle - etwa Wut - in uns hochkommen, sollten wir der eigenen Emotionalität nicht blind folgen, sondern genau dann besonders vorsichtig und kritisch hinschauen. Ich bin überzeugt, dass man bald wieder leichter diskutieren kann. Desinformation kommt in Wellen. Immer dann, wenn wir als Gesellschaft besonders aufgeregt sind, hat es Desinformation leichter. Es kommt aber auch wieder eine weniger erhitzte Zeit und wenn die Pandemie hinter uns liegt, wird auch die Emotionalität zurückgehen.
Zur Person
Ingrid Brodnig ist Autorin und Journalistin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft. Ein Schwerpunkt ist dabei der Umgang mit Desinformation und Hasskommentaren. Sie hat fünf Bücher verfasst, zuletzt “Einspruch! Fake News und Verschwörungsmythen kontern”. Ihr Buch “Hass im Netz” wurde mit dem Bruno-Kreisky-Sonderpreis für das politische Buch ausgezeichnet. Sie verfasst die wöchentliche IT-Kolumne namens #brodnig für das Nachrichtenmagazin Profil und hält regelmäßig Vorträge und Workshops zu Themen der Digitalisierung. Der Vortrag "Die Globalisierung von Feindbildern in digitalen Zeiten" anlässlich der Webinar-Reihe "Globalisierung verstehen" ist hier verfügbar.
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