Südtirol und der grenzüberschreitende Rundfunk: Von der illegalen Antenne bis zur Streaming-App

„Dieser Inhalt ist in Ihrem Land nicht verfügbar.“ Eine frustrierende Meldung, die viele Angehörige sprachlicher Minderheiten kennen. Geoblocking verwehrt ihnen oft den Zugang zu Online-Inhalten wie Streaming-Diensten und Mediatheken aus anderen Ländern, in denen ihre Sprache gesprochen wird. Dieser Blogartikel schaut sich das Fallbeispiel Südtirol genauer an. Seit den 1970er-Jahren hat Südtirol offiziell Zugang zum TV-Angebot Österreichs, Deutschlands und der Schweiz. Mit einer neuen App ist nun auch der digitale Livestream von TV-Sendern möglich. Könnte die Idee hinter der App als Modell für andere Minderheitenregionen dienen?
Minderheiten und die Geoblocking-Problematik
Geoblocking ist immer wieder Gegenstand politischer Debatten. Minderheiten sind im Besonderen davon betroffen, da sie dadurch lediglich eingeschränkten Zugang zum Medienangebot in ihren „Kin-States“ (oder „Mutterstaaten“, also Länder mit ethnischen, sprachlichen oder kulturellen Bindungen zu einer Minderheit in einem anderen Land) haben. Das Filmangebot auf Streamingportalen wie Netflix variiert beispielsweise aufgrund lizenzrechtlicher Vorgaben je nach Land. Diese legen fest, in welchen Regionen bestimmte Inhalte gezeigt werden können. Die Filmauswahl orientiert sich häufig an der jeweiligen Nationalsprache. Sowohl das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (Artikel 9) als auch die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Artikel 11) fordern, dass Minderheiten (grenzüberschreitenden) Zugang zu Medien in ihren Sprachen haben.
Eine Absicht der Europäischen Bürgerinitiative Minority SafePack, die 2020 der Europäischen Kommission übermittelt wurde, war es, langfristig ein einheitliches europäisches Urheberrecht zu schaffen. Damit sollten Lizenzschranken abgebaut und der grenzüberschreitende Zugang zu audiovisuellen Medien ermöglicht werden. Die Europäische Kommission hat die Vorschläge zum Geoblocking zur Kenntnis genommen, aber die Ideen der Bürgerinitiative nicht aufgegriffen.
Zwar hat das Europäische Parlament das Thema 2023 mit einer Resolution erneut auf die Agenda gesetzt – auch mit Verweis auf sprachliche Minderheiten – doch hat sich seither nicht viel geändert. Der oft schwierige Zugang zu Medienangeboten in der eigenen Minderheitensprache ist an sich jedoch kein neues oder digitales Phänomen, wie das Fallbeispiel Südtirol zeigt.
Südtirols Weg zum „Fernseh-Eldorado“
Südtirols Autonomiestatut von 1972 sieht besondere Maßnahmen zum Schutz der dort lebenden deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit vor. Eine der ersten Prioritäten des autonomen Südtirols war es, der Bevölkerung Zugang zum deutschsprachigen Radio- und Fernsehangebot aus dem Ausland zu verschaffen. Dabei gelang es findigen Radio- und Fernsehtechniker*innen in den 1960er-Jahren, einfallende Radio- und Fernsehsignale aus Österreich, Deutschland und der Schweiz auf den Bergen zu empfangen und über einfache Sendeanlagen ins Tal abzustrahlen. Dass beim Verkauf eines Fernsehgeräts das österreichische Fernsehprogramm gewissermaßen mitgeliefert wurde, war für die Fernsehverkäufer*innen ein gutes Verkaufsargument. Diese selbsterrichteten Anlagen waren allerdings illegal.
1973 trat eine Durchführungsbestimmung in Kraft, die es Südtirol ermöglichte, ein Netz zum „Empfang der Hörfunk- und Fernsehsendungen ausländischer Hörfunk- und Fernsehanstalten aus dem deutschen und ladinischen Kulturraum“ zu errichten. Der allgemein formulierte Zusatz „mittels Verwendung jeglichen technischen Mittels“ sollte sich als visionärer Gedanke herausstellen, der sich heute bezahlt macht. Entscheidend auf dem Weg zur Durchführungsbestimmung war auch die Unterstützung durch die Vertreter der italienischen Sprachgruppe in Südtirol, nicht zuletzt durch Alcide Berloffa, den damaligen Präsidenten der wichtigen Sechser-Kommission.
Basierend auf einem Landesgesetz wurde zwei Jahre später der Grundstein für die Rundfunkanstalt Südtirol (RAS) gelegt, die alle illegalen Sendeanlagen übernahm und das Netz seither beständig modernisiert. Südtirol ist damit bis heute die einzige Provinz Italiens, welche eine eigene öffentliche Rundfunkanstalt besitzt. Auf Basis dieser gesetzlichen Grundlagen unterzeichnete Südtirol 1974 bzw. 1975 Vereinbarungen mit dem Österreichischen Rundfunk (ORF), den deutschen Rundfunkanstalten ARD und ZDF sowie der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG). Alle drei Länder erlaubten Südtirol die kostenlose Ausstrahlung einer Auswahl ihrer Fernseh- und Radiokanäle.
Wenn wir auch in Zukunft nur angewiesen sein sollten auf eineinhalb Stunden [in Südtirol produziertes] deutsches Fernsehen, kämen wir immer mehr in den Sog der italienischen Mentalität und der italienischen Denkweise und würden früher oder später kulturell assimiliert werden.
Silvius Magnago
Das Angebot wurde über die Jahre peu à peu erweitert. Silvius Magnago, der damalige Landeshauptmann von Südtirol und einer der wichtigsten Architekten des Südtiroler Minderheitenschutzes, kommentierte diesen Schritt in einem Interview mit der Zeitung „Südtirol in Wort und Bild“ 1974 wie folgt: „Wenn wir auch in Zukunft nur angewiesen sein sollten auf eineinhalb Stunden [in Südtirol produziertes] deutsches Fernsehen, kämen wir immer mehr in den Sog der italienischen Mentalität und der italienischen Denkweise und würden früher oder später kulturell assimiliert werden. Deshalb brauchen wir eine Alternative; ganz unabhängig, ob die Programme aus dem deutschen Raum besser oder schlechter sind.“
Südtirol hat also seit den 1970er-Jahren neben Österreich, dem historischen Kin-State, mit Deutschland und der Schweiz zwei weitere Medien-Kin-States. Erwähnenswert ist, dass die Schweiz Südtirol auch das rätoromanische Angebot von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha zur Verfügung stellt. In einem Büchlein zum 25-jährigen Bestehen der Rundfunkanstalt Südtirol wurde Südtirol aufgrund seiner TV-Auswahl jedenfalls als „Fernseh-Eldorado“ bezeichnet. Eine Studie von 2012 zeigt das Interesse am TV-Angebot aus dem Ausland: Rund zwei Drittel der Südtiroler Fernsehzuschauer*innen konsumierten in diesem Jahr ORF 1, ORF 2 und ZDF. Nationale Rai-Sender folgten in der Beliebtheit erst danach.
Die grenzüberschreitende Übertragung von Radio- oder Fernsehsignalen ist aber kein Südtirol-Spezifikum. Das Good Friday Agreement bezieht sich beispielsweise auch auf die Ausstrahlung von Irlands irischsprachigem TV-Sender TG4 (vormals Teilifís na Gaeilge) in Nordirland. Auch die schwedische Minderheit in Finnland, um ein weiteres Beispiel zu nennen, erhielt durch verschiedene Sonderabkommen Zugang zum Fernsehangebot aus Schweden.
Südtirols neue Streaming-App als Geoblocking-Lösung?
Die Abkommen Südtirols mit den Rundfunkanstalten Österreichs, Deutschlands und der Schweiz bezogen sich auf die terrestrische Verbreitung des Fernsehsignals. Über Kabel oder Satellit konnten sukzessive auch weitere deutschsprachige Privatsender aus dem Ausland empfangen werden. Heute kommt ein vielfältiges nicht-lineares Online-Video-Angebot in deutscher Sprache hinzu. Die Möglichkeit des deutschsprachigen Fernsehangebots in Südtirol hat damit wohl etwas an Bedeutung verloren.
Mit dem langjährigen kostenlosen Arrangement zwischen Südtirol und ARD sowie ZDF ist es seit 2024 auch vorbei. Der Vertrag wurde von Seiten der deutschen Rundfunkanstalten gekündigt. Nach „schwierigen Verhandlungen“ einigte man sich auf eine jährliche Summe von rund 250.000 Euro, die Südtirol an ARD und ZDF zu überweisen hat. Die Gebühr wurde auf Grundlage der potenziellen Nutzer*innen in Südtirol berechnet: Laut einer Erhebung des Landesinstituts für Statistik ASTAT sind 157.000 der insgesamt 226.167 Haushalte in Südtirol deutschsprachig. Auch ans ORF fließen mittlerweile fast 2 Millionen jährlich, wie Beschlüsse der Südtiroler Landesregierung von 2020 und 2025 zeigen. Allerdings zahlt Südtirol hier beispielsweise für das in Südtirol produzierte ORF-Nachrichtenmagazin „Südtirol heute“.
Die letzte Vereinbarung mit ZDF und ARD enthielt erstmals einen neuen Passus, der vorsieht, dass die Fernsehprogramme „über OTT-Streaming in der Provinz bis zu einer Höchstzahl von 20.000 Nutzern“ weiterverbreitet werden dürfen. Ende 2024 stellte die RAS dann die in dieser Formulierung angedeutete App vor. Sie erlaubt es, die Fernsehprogramme der ARD, des ZDF sowie des ORF in ganz Südtirol über Mobiltelefon oder Tablet in Echtzeit zu streamen. Die Schweizer Programme von SRG sind vorerst nicht in der Streaming-App der Rundfunkanstalt Südtirol verfügbar.
Der Wermutstropfen: Der RAS wurde eine zeitversetzte Nutzung oder das Anbieten einer Mediathek untersagt. Mediatheken bleiben hinter der Geoblocking-Schranke und die neue App löst das Geoblocking-Problem somit nicht. Umwege über sogenannte Virtual Private Networks (VPN), eine Technologie, die die eigene IP-Adresse verschleiert und den Standort virtuell wechselt, werden daher weiterhin notwendig sein, um auf diese Mediatheken zuzugreifen.
Allerdings ist die Funktionsweise der App einen genaueren Blick wert. Um die App nutzen zu können, müssen die Nutzer*innen die Standortfunktion auf dem Handy aktivieren und der App den Zugriff auf die Standortdaten erlauben. Nur wer sich laut Standortinformation innerhalb der Südtiroler Grenzen befindet, kann das Livestream-Angebot nutzen. Dieser standortgebundene Zugriff könnte also auch Grundlage dafür sein, Inhalte von Mediatheken in einem genau definierten Gebiet freizuschalten. Der ORF kann sich zumindest Vertragsmuster vorstellen, die Südtiroler*innen einen unbeschränkten Zugang zur Mediathek ermöglichen würden.
In diesem Sinne könnte die App mit ihrem GPS-Ansatz auch als Vorlage für andere Minderheitengebiete dienen. Bisher wurde die RAS-App bei Google Play rund 10.000-mal heruntergeladen. Ein User schreibt in seiner Bewertung: „Generell super App und Idee, nur einige Jahre überholt. Heutzutage wird viel mehr über die Mediatheken geschaut.“ Er vergibt vier von fünf Sternen. Mal schauen, wie schnell Südtirol nachlegen kann, um sich den fünften zu verdienen.
Hinweis: Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht die Position der Europäischen Vereinigung der Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen (MIDAS) oder von Eurac Research dar.

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