Aus dem Auge, aus dem Sinn? Die italienischen Rückführungszentren in Albanien als Instrument der Externalisierung der Migrationspolitik
Mit einigen Monaten Verspätung wurden vor wenigen Tagen, im Oktober 2024, die ersten Asylsuchenden von Italien in das Rückführungszentrum nach Albanien gebracht. Laut Plan sollen zwei Zentren in Albanien entstehen; Platz soll für „illegale“ Migranten aus „sicheren“ Herkunftsländern sein. Der Zustand in den Zentren selbst ähnelt einem Gefängnis.
Oktober 2024, Shengjin, Albanien. Erst am 16. Oktober sind die ersten Asylsuchenden im Rückführungszentrum angekommen. Zwölf von den insgesamt 17 Männern und Jugendlichen stehen nun am Hafen von Shengjin und warten auf das Boot, welches sie wieder nach Bari bringen soll. Nach einer Entscheidung eines Gerichts in Rom sollen sie nun schnellstmöglich wieder nach Italien zurückkehren. Das Ganze ist der Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen der Regierung Meloni und der italienischen Magistratur.
Im November 2023 unterzeichneten Giorgia Meloni und der albanische Premierminister Edi Rama ein Abkommen, das die Errichtung zweier italienischer Rückführungszentren für „illegale“ Migranten festlegt – es wird bewusst die männliche Form verwendet, da im Abkommen nur von männlichen Geflüchteten die Rede ist. Das erklärte Ziel: Personen aus mutmaßlich „sicheren“ Herkunftsländern, die von italienischen Schiffen (nicht aber von privaten Seenotrettungsschiffen) gerettet werden, sollen gar nicht erst italienischen Boden betreten, sondern direkt in die Rückführungszentren nach Albanien gebracht werden. Im Rahmen eines Fünfjahresabkommens sollen bis zu 3.000 Migranten, die von der italienischen Küstenwache in internationalen Gewässern aufgegriffen werden, in Albanien untergebracht werden.
Die Zentren hätten bereits am 20. Mai einsatzbereit sein sollen, aber die Übergabe des Standorts Gjader erfolgte erst am 9. Oktober. Das andere Zentrum in Shengjin wird erst in einigen Monaten fertiggestellt sein. Die berechneten Kosten belaufen sich dabei auf 144 Millionen für 2024, 127,3 Millionen für 2025 und auf 127,5 Millionen für 2026.
Externalisierung der Migrationspolitik
Das „albanische Modell“ ist das erste eines EU-Staates, das vorsieht, Geflüchtete in einem Drittland unterzubringen und hoheitliche Aufgaben auszulagern. Die italienischen Rückführungszentren sind beispielhaft für die zunehmende Externalisierung der Migrationspolitik in der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten. In den letzten Jahren hat sich eine klare Tendenz zur sogenannten Externalisierung der Migrationspolitik gezeigt. Das bedeutet, dass wesentliche Prozesse außerhalb der nationalen oder EU-Grenzen ausgelagert werden. Diese Politik zielt darauf ab, irreguläre Grenzübertritte – insbesondere Seeübertritte – durch die Festhaltung von Menschen im Hoheitsgebiet von Drittstaaten zu verhindern. Externalisierungspolitik fokussiert sich häufig auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden, die für die Kontrolle der Grenzen und die Steuerung der Migration zuständig sind, oder auf die Einrichtung von Ad-hoc-Zentren zur Bearbeitung von Asylanträgen in Drittstaaten.
Ethische und rechtliche Fragen im Hintergrund
„The Italy-Albania agreement on migration: Pushing boundaries, threatening rights“ lautet der Titel eines Berichts, der im Januar 2024 von Amnesty International veröffentlicht wurde. Während rechte Parteien oder Regierungschefs wie Viktor Orbán die italienische Idee begrüßen, gibt es viele kritische Stimmen, insbesondere von Rechts- sowie Menschenrechtsexpert:innen.
Es ergeben sich zahlreiche rechtliche Fragestellungen, da das Aufnahmezentrum zwar auf albanischem Boden errichtet werden soll, jedoch unter italienischer Gerichtsbarkeit stehen würde. Dadurch würden die albanischen Behörden faktisch ausgeschlossen. Verfassungsexpert:innen äußerten Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Abkommens, obwohl das albanische Verfassungsgericht das Vorhaben genehmigt hat.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Behandlung abgelehnter Asylbewerber:innen. Die Rückführung von Personen in ihre Herkunftsländer ist mit erheblichen logistischen und praktischen Herausforderungen verbunden. Eine wachsende Zahl abgelehnter, aber noch nicht abgeschobener Asylbewerber könnte bald zu überfüllten Aufnahmezentren führen, in denen rasch katastrophale Bedingungen entstehen könnten.
Zudem sieht das Abkommen vor, dass nur männliche Migranten aus „sicheren Ländern“ nach Albanien gebracht werden, wenn sie von der italienischen Küstenwache auf hoher See aufgegriffen werden. Das Abkommen schließt ausdrücklich Frauen, Kinder und vulnerable Gruppen aus. Wie jedoch die konkrete Vulnerabilität einer ankommenden Person in einer Notsituation beurteilt werden soll, bleibt unklar. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Bedingungen in den Zentren selbst. Vor wenigen Tagen veröffentlichten zahlreiche Medien Videos, die Einblick in die gefängnisähnlichen Einrichtungen geben. Die dort festgehaltenen Migranten wären faktisch inhaftiert und könnten die Einrichtung, die sich in Gjader auf einem ehemaligen Militärstützpunkt befindet und von der lokalen Bevölkerung isoliert ist, nicht verlassen.
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober
Zurück zum 19. Oktober und den Asylsuchenden, die nach einem kurzen Aufenthalt in Albanien wieder auf das Schiff in Richtung Italien gebracht wurden. Diese Kehrtwende folgte auf eine Entscheidung des Gerichts in Rom, das die de facto Inhaftierung einiger Migranten nicht bestätigte, da einige von ihnen minderjährig oder gebrechlich waren und daher nicht in das Zentrum nach Albanien hätten überstellt werden dürfen.
Ein weiteres Problem betrifft die Definition von „sicheren“ Herkunftsländern. Einige Migranten, die nach Albanien gebracht wurden, stammen aus Ländern, die nicht als sicher gelten. Die römischen Richter beriefen sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober, das klare Regeln aufstellte. Dazu gehört, dass „der nationale Richter, der die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung über internationalen Schutz prüft, von Amts wegen feststellen muss, ob ein Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts über die Bestimmung sicherer Herkunftsländer vorliegt“.
Migrationspolitik: Quo vadis?
Die Liste der Gründe, warum die Rückführungszentren in Albanien problematisch sind, ist lang. In Italien wie auch in anderen Ländern der Europäischen Union und weltweit geht die Tendenz dennoch in Richtung Verlagerung der Verantwortung. Die Zentren in Albanien werden Migration nicht stoppen, vielmehr braucht es zum Beispiel auf europäischer Ebene mehr Anreize für legale Migration zu schaffen und Partnerschaften zu schließen, die nicht nur auf Restriktionen gebaut. Das Beispiel der Zentren in Albanien zeigt, bei Menschenrechten wird oft nicht nur ein, sondern beide Augen zugedrückt. Durch die Verhinderung von Interaktion und Austausch wird nicht nur gegen die Grundsätze der Integration verstoßen, sondern es kann auch die europaweite Ablehnung von Schutzsuchenden verstärkt, die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung weiter erodiert und rechtspopulistische Ressentiments befeuert werden.
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