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Der Ukrainekrieg und die Kirchen

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Der Ukrainekrieg und die Kirchen
Die Ukraine ist ein religiös plurales Land, jedoch hauptsächlich christlich geprägt. Credit: Julia Tskurovoa / Unsplash | All rights reserved

Mit Russland und der Ukraine stehen sich in diesem Krieg zwei orthodoxe Länder gegenüber. Der Krieg hat die Spaltung in der orthodoxen Welt weiter vertieft. Im Interview mit Sophia Schönthaler schildert Dr. Kristina Stoeckl die Rolle der Kirche in der Ukraine und die Auswirkungen der Invasion Russlands auf die orthodoxe Welt.

Wie sieht die religiöse Landschaft in der Ukraine aus?

Die Ukraine ist ein religiös plurales Land, jedoch hauptsächlich christlich geprägt. Es gibt in dem Land verschiedene christliche Kirchen: die orthodoxe und die griechisch-katholische Kirche sowie verschiedene kleinere protestantische Gruppierungen. Im Süden, zur Krim hin, gibt es auch eine muslimische Minderheit.

Um die Konstellation der orthodoxen Kirchen in der Ukraine zu verstehen, muss man die Geschichte kennen. Die Ukraine als orthodoxes Land wurde von Byzanz (heute Istanbul) aus christianisiert. Aus diesem Grund erklärt die russisch-orthodoxe Kirche auch, ihre Wiege stehe in der Ukraine. Diese Behauptung hat insofern einen wahren Kern, als die mittelalterliche Kiewer Rus‘ - ein altostslawisches Großreich, das als Vorläuferstaat der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Belarus angesehen wir - das erste Zentrum der slawisch-orthodoxen Welt war, bevor sich das Machtzentrum im 14. Jahrhundert nach Moskau verlagerte.

Im Südwesten des Landes, in der Region rund um Lwiw/Lemberg, die Teil des Habsburgerreiches war, entstand 1596 die griechisch-katholische Kirche. Diese folgt zwar der orthodoxen Liturgie, erkennt aber die Autorität des Papstes in Rom an. Sie vereint somit die orthodoxe und die katholische Kirche.

2018 eskalierte ein lange schwelender Konflikt um die kirchliche Unabhängigkeit der Ukraine von Russland. Seitdem ist die orthodoxe Kirche der Ukraine als unabhängig anerkannt. Was sind die Hintergründe dieser Abspaltung?

Die Abspaltung hat eine lange Vorgeschichte. „Die Taufe“ der Kiewer Rus - mit der Einführung des orthodoxen Glaubens - wird historisch auf das Jahr 988 datiert. In dieser Zeit wurde Kiew Sitz der Patriarchen der slawisch-orthodoxen Welt. In Kiew befindet sich auch die sogenannte Petscherskaja Lavra – eine der wichtigsten Pilgerstätten für die gesamte orthodoxe Welt. Das Kloster, welches heute noch aktiv ist, ist berühmt für sein Höhlen, in welche sich die Mönche zurückzogen und begraben wurden.

Der Patriarch von Moskau hat stets den Anspruch erhoben, für Kiew und dessen Ländereien kanonisch zuständig zu sein. Solang Kiew Teil des russischen Zarenreichs war, wurde diese Autorität des Patriarchen in Moskau nicht in Frage gestellt. Dies änderte sich mit dem Zerfall des Zarenreichs und der Unabhängigkeit der Ukraine. Das Bestreben, eine unabhängige ukrainische Kirche zu schaffen, wurde endgültig unterdrückt, als die Ukraine 1922 in die Sowjetunion eingegliedert wurde. Ein ähnliches Schicksal ereilte die griechisch-katholische Kirche, die ebenfalls unterdrückt wurde.

In den 1920ern kam es zum ersten Versuch eine autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche zu gründen. Diese Gründung wurde aber in der orthodoxen Welt nie wirklich anerkannt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es 1995 einen erneuten erfolglosen Versuch, die orthodoxe Kirche in der Ukraine vom Patriarchat in Moskau abzuspalten: Bischof Filaret erklärte sich selbst zum Patriarchen von Kiew, wurde vom Rest der orthodoxen Welt aber nicht anerkannt. So gab es ab Mitte der 1990er Jahre drei orthodoxe Kirchen in der Ukraine: die russisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchen, die autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche aus den 1920ern und die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats. Die Kirche mit den meisten Gläubigen blieb aber die des Moskauer Patriarchats.

Die Anerkennung kirchlicher Unabhängigkeit ist in der orthodoxen Welt nämlich mit vielen Problemen verbunden, denn anders als in der katholischen Kirche gibt es nicht einen Papst und eine zentrale Stelle, die kirchliche Strukturen verwaltet. Die orthodoxe Welt ist aufgeteilt in unterschiedliche Patriarchate: das Patriarchat von Konstantinopel, das Patriarchat von Moskau, von Belgrad, von Bukarest und so weiter. Historische Patriarchate, die kirchlich noch eine wichtige Rolle spielen, obwohl sie kaum mehr Gläubigen haben, finden sich auch im Mittleren Osten – ein Beispiel ist das Patriarchat von Alessandria. In dieser Konstellation ist es schwierig, Einigkeit darüber zu erzielen, welche Kirche als unabhängig anerkannt wird und welche nicht.

Hat die Annexion der Krim die Abspaltungsbestrebungen befeuert?

Die Situation der Kirchenspaltung wurde 2014 durch die Annexion der Krim durch Russland verschärft. Der Großteil der ukrainischen Gläubigen hatte nun ein Kirchenoberhaupt in Moskau, der Hauptstadt eines Landes, das gegen das eigene Krieg führte. Stimmen für die Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat wurden daher laut. Dies führte zur Neugründung der orthodoxen Kirche der Ukraine im Jahr 2018.

Auf diese Neugründung gibt es zwei Perspektiven. Die einen sagen, es war eine politisch motivierte Aktion des damaligen Präsidenten Poroschenko, der sich von der Stärkung der orthodoxen Kirche in der Ukraine einen Vorteil für seine Wiederwahl versprach. Die andere Perspektive ist jene, dass in der Ukraine über lange Zeit die kirchliche Unabhängigkeit eingefordert worden war und die BefürworterInnen 2018 die Gunst der Stunde nutzten. Während der Patriarch von Konstantinopel die Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche der Ukraine anerkannte, weigerte sich Moskau. Die Folge war eine Spaltung zwischen den beiden Kirchen, zwischen Konstantinopel und Moskau, die aber eigentlich nichts Neues ist, da die beiden historisch gesehen immer schon Rivalen waren.

Seit 2018 gibt es nun also nicht mehr drei, sondern zwei orthodoxe Kirchen in der Ukraine: die orthodoxe Kirche der Ukraine unter dem Patriarchen von Konstantinopel und die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats. Es wäre allerdings falsch, anzunehmen, dass diese beiden Kirchen tief verfeindet agiert hätten, auch wenn Russland das immer wieder so dargestellt hat. Es hat Konflikte in einzelnen Gemeinden gegeben, aber von einer „Christenverfolgung in der Ukraine“, wie Russland behauptet hat, kann keine Rede sein. Seit dem Einmarsch Russlands treten die beiden Kirchen sogar geeinter auf als vorher und haben sich gemeinsam gegen den Krieg ausgesprochen.

Aktuell steht der russische Patriarch Kyrills hinter Putin, den Krieg gegen die Ukraine stellt er als "metaphysischen" Kampf gegen westliche Werte dar. Steht der russische Patriarch damit stellvertretend für die gesamte orthodoxe Welt?

Kyrill ist mit seiner Kriegsrhetorik innerhalb der orthodoxen Kirchen sehr isoliert. Für die orthodoxe Welt ist es ein großes Problem, dass zwei orthodoxe Länder gegeneinander kämpfen. Deshalb wird auch oft der Begriff des „Bruderkrieges“ und das Bild des gemeinsamen Taufbeckens verwendet. Der Patriarch von Moskau hat eine perfide Erklärung für diesen Krieg gegeben: Der Westen habe die ukrainischen Orthodoxen abspenstig gemacht, verleitet und „verführt“, deshalb sei es ein „metaphysischer“ Auftrag, die Christen in der Ukraine vor den westlich-liberalen Werten und vor den Juden zu schützen. Letzteres, geäußert am 13. März, zielte auf den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ab, der jüdisch ist.

Der Patriarch bemüht sehr viele Stereotype – sei es gegen westliche Werte, gegen Homosexuelle, oder gegen Juden – um den Krieg zu rechtfertigen. In der orthodoxen Welt stößt Kyrills Haltung auf viel Kritik. Selbst innerhalb der russisch-orthodoxen Kirchen in Russland gibt es Kritik. Gleich zu Beginn der Invasion sprachen sich etwa 300 Priester in einem offenen Brief gegen den Krieg aus. Es gab auch zu Polizeiaktionen gegen Priester, die sich gegen den Krieg positionierten.

Selbst das Oberhaupt der zum Moskauer Patriarchat gehörenden orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Onufri, sprach sich gegen den Krieg aus. Die Aussage, dass Russland seine „Brüder“ befreien müsse, wird damit entkräftet. Im Lichte dieser kritischen Reaktionen glaube ich, dass der Einfluss des russischen Patriarchats in der orthodoxen Welt abnehmen wird.

Welche Rolle könnten der Vatikan und Papst Franziskus sowie die orthodoxe Kirche in der Friedenslösung spielen?

Meiner Meinung nach hat sich der Vatikan in den letzten Wochen nicht sehr klug verhalten. Es gab ein Telefonat zwischen Papst Franziskus und dem Patriarch Kyrill, das Bilder und Schlagzeilen produzierte, die vom Moskauer Patriarchat als Kriegspropaganda eingesetzt wurden. Der Papst, so die Aussage für russische LeserInnen, unterstütze Kyrills Bemühen um Frieden. Aber: Wenn Papst Franziskus von Frieden spricht, meint er das Ende der Kampfhandlungen; wenn Kyrill von Frieden spricht, meint er die Unterwerfung der Ukraine und ihre Rückkehr in Russlands Schoß. Diese Haltung spricht der Ukraine als Staat, aber auch den ukrainischen Gläubigen das Recht ab, selbst die Entscheidung über ihre kanonische Zugehörigkeit sowie über ihre staatliche Souveränität zu treffen. Genauso wie Wladimir Putin, der der Ukraine die staatliche Souveränität abspricht, spricht Kyrill der orthodoxen Kirche der Ukraine die Eigenständigkeit ab. Das ist höchst problematisch. Wenn man über Friedenslösungen spricht, muss man sich auch immer fragen, was mit Frieden gemeint ist. Es gibt momentan keine Anzeichen dafür, dass Kyrill seine Haltung ändern wird. Insofern sehe ich nicht viel Spielraum für interreligiösen Dialog. Für einen langfristigen Heilungsprozess nach dem Krieg kann die Kirche aber eine wichtige Rolle spielen.

About the Interviewed

Kristina Stoeckl ist Religionssoziologin und seit 2019 Professorin der Soziologie an der Universität Innsbruck.
Kristina Stoeckls Forschungsschwerpunkt ist die Religionssoziologie sowie soziale und politische Theorie mit Schwerpunkt Russland und orthodoxes Christentum. Ihr aktuelles Forschungsprojekt „Postsecular Conflicts“ untersucht konservative religiöse Akteure und ihre transnationale Vernetzung und geht der Frage nach, warum und wie religiöse und moralpolitische Konflikte Gesellschaften polarisieren.

Sophia Schönthaler

Sophia Schönthaler

Sophia Schönthaler ist Forscherin am Zentrum für Migration und Diversität von Eurac Research, Administratorin des Eurac Research Ethic Review Board und Doktorandin an der Universität Graz. Ihre Forschungsinteressen liegen an der Schnittstelle von Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der politischen Beteiligung von Roma-Frauen.

Citation

https://doi.org/10.57708/b120347077
Schönthaler, S. Der Ukrainekrieg und die Kirchen. https://doi.org/10.57708/B120347077

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