Studien zum Thema Migration erachten den freiwilligen Engagement als grundlegendes Element von Integrations- und Eingliederungsprozessen. Die neuen Bürger:innen nehmen nicht nur an den Aktivitäten lokaler Freiwilligenverbände teil und profitieren davon, sondern sie sind auch die Protagonist:innen und Gründer:innen neuer Vereine. In einem kürzlich durchgeführten Projekt in Südtirol haben wir uns die Frage gestellt: Welche Instrumente sind am besten geeignet, um diese Vereine zu unterstützen?
In Südtirol gibt es ein breites Spektrum an formellen und informellen Gruppen, die von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet und geleitet werden und grundlegende Dienstleistungen im Bereich der sozialen und kulturellen Integration anbieten. Diese Gruppen entstehen oft aus dem Willen heraus, die Bedürfnisse einer bestimmten Gemeinschaft zu befriedigen, weiten sich aber oft aus und nehmen dabei eine vielfältigere Rolle in der Gemeinschaft ein.
Um zu verstehen, wie ihre grundlegende Tätigkeit unterstützt und gefördert werden könnte, wurde das Projekt "FIA - Formazione e informazione per una Città Inclusiva e Aperta" ("Ausbildung und Information für eine offene und inklusive Stadt") gestartet.
In den Monaten März bis Juni nahm unser Arbeitsteam, bestehend aus drei Studentinnen des Masterstudiengangs Eco-Social Design der Freien Universität Bozen, Hannah Marti, Kseniia Obukhova und Sofia Scroppo, an dem Projekt teil und traf sich mit lokalen Akteur:innen, die im Bereich der kulturellen Integration tätig sind. Unser Ziel war es zu verstehen, wie Migrant:innenvereine in der Provinz unterstützt werden können. Diese Treffen umfassten Fokusgruppen mit Mitgliedern von Migrant:innenvereinen aus Südtirol, Diskussionsrunden mit Vertreter:innen von öffentlichen Institutionen und sowie andere Akteur:innen, die sich für die Integration in der Provinz einsetzen, sowie Interviews mit Einrichtungen, die Unterstützungsdienste für Freiwilligenorganisationen anbieten. Um ein umfassenderes Verständnis des Feldes zu erlangen, haben wir Berichte über ähnliche Studien in Italien (z.B. Toskana, Piemont und Venetien und Forschungen von Maurizio Ambrosini) konsultiert und nationale und internationale Fallstudien (z.B. Inland Design, Case del Quartiere) analysiert, die für den Bereich der kulturellen Integration relevant sind. Unser Ziel war es die Rolle, die Bedeutung und die Mechanismen des Vereinswesens von Migrant:innen zu erfassen und zu verstehen. Eine direkte Befragung von Mitgliedern von Migrant:innenvereinen erfolgte über eine Online-Umfrage, um ihre Ansichten über eine mögliche Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Institutionen zu erfassen.
Wie kann die Arbeit der vielen verschiedenen Migrant:innenvereine gestärkt, gefördert und vernetzt werden?
Durch die Durchführung gemeinsamer Forschungsmethoden wie Fokusgruppen, Interviews mit Einzelpersonen und lokalen Akteuren sowie Fragebögen stellte unser Team fest, dass viele dieser Vereinigungen mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, die mit dem ehrenamtlichen Charakter dieser Arbeit zusammenhängen, die für diejenigen, die bereits hauptberuflich arbeiten, besonders anspruchsvoll ist. Darüber hinaus investieren einige Mitglieder ihr persönliches Einkommen in die Aktivitäten des Vereins und haben nur sehr begrenzten Zugang zu externen Finanzmitteln, weil sie sich der vor Ort verfügbaren Möglichkeiten zur Unterstützung ehrenamtlicher Initiativen nicht bewusst sind oder weil sie aufgrund der Zugangsvoraussetzungen (z. B. Aufenthaltsdauer) keinen Zugang dazu haben. Darüber hinaus zeigt sich, dass eine allgemeine Komplexität bürokratischer Fragen und eine offensichtliche mangelnde Bereitschaft der öffentlichen Einrichtungen, sich auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen, den allgemeinen Zustand der Hilflosigkeit prägen:
Es gab schon immer einen Mangel an Koordination zwischen den Vereinen in Stadt und Land. Das schwächt die Vereine deutlich, da sie mit ihren eigenen Problemen isoliert bleiben.
Kommentar eines/r Fokusgruppenteilnehmer:in
Diese Erkenntnisse führten zu einer ersten Projektskizze, die auf der Prämisse basierte, dass Migrantenvereine mehr Zeit für ihre eigentliche soziale und kulturelle Projektentwicklung aufwenden können, wenn der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen erleichtert und ein Unterstützungsnetzwerk bereitgestellt wird. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass für den kommenden Winter eine umfassende Kartierung aller in Südtirol ansässigen Migrantenvereine geplant ist, was zu der Entscheidung beitrug, das Konzept einer interaktiven Plattform zu entwickeln, die diese Datenbank beherbergen und gleichzeitig die oben genannten Themen behandeln würde.
Wir haben verschiedene Zielgruppen identifiziert, die von der Nutzung dieser Plattform profitieren würden: von den Vereinen selbst über öffentliche Einrichtungen bis hin zu interessierten Einzelpersonen und Organisationen.
Die Plattform sieht verschiedene Rubriken vor, die von informativ und beschreibend bis hin zu interaktiv und verbindend reichen, um spezifische Nutzungen und Bedürfnisse zu erfüllen. Zunächst würde sie die Liste aller erfassten Migrantenvereinigungen enthalten und gleichzeitig die Möglichkeit bieten, neue Einrichtungen zu registrieren. Die Plattform würde wichtige institutionelle Informationen enthalten, die für die Aufrechterhaltung und Entwicklung einer Vereinigung entscheidend sind, was den Zugang zu bestehenden Diensten verbessern würde. Ein weiterer Bereich würde die Migrantenverbände und ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der Provinz sichtbar machen. Die Möglichkeit, über all diese verschiedenen Realitäten informiert zu werden, könnte für die Vereine eine Möglichkeit sein, miteinander in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten. Ein wichtiger Aspekt, den es zu beachten gilt, ist, dass das breite Spektrum an Diensten und Inhalten der Plattform nur durch eine aktive und nachhaltige Moderation, die sie auf dem neuesten Stand hält, verwaltet werden kann, um zu funktionieren.
Proof of Concept
Nach der Entwicklung des ersten funktionierenden Prototyps der Plattform wurden Nutzertests mit interessierten Personen durchgeführt. An den Usability-Tests beteiligten sich insgesamt 10 Teilnehmende, die die verschiedenen Zielgruppen repräsentierten. Neben dem Testen des Prototyps ging es darum, herauszufinden, was die jeweiligen Vertreter:innen von einer Online-Plattform halten und ob sie diese umgesetzt haben möchten.
Diese Nutzertests waren eine entscheidende Phase in der Projektentwicklung. Sie war massgebend zur Bewertung des Prototyps, ob dieser die in der anfänglichen Research-Phase ermittelten Bedürfnisse und Probleme erfüllt. Das allgemeine Feedback zum Inhalt der Plattform war durchweg positiv und wurde von den verschiedenen Benutzergruppen als nützlich und wertvoll angesehen.
Zukunftsvision
Die Umsetzung der Plattform könnte der erste Schritt zur Schaffung eines digitalen Commons (Dulong de Rosnay, 2020) sein, das eine sozial fortschrittliche Alternative zur gemeinsamen Nutzung von Ressourcen und zur Organisation kollektiven Handelns bietet, wobei der Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und Demokratie liegt. Das Open-Source-Sharing wichtiger Informationen und Ressourcen stellt einen Akt der Ermächtigung unterrepräsentierter Personen dar, der einer Kommerzialisierung von Wissen, die mit sozialer Ausgrenzung und umfassenderen Ungleichheiten einhergeht, wirksam entgegenwirken würde.
Über den digitalen Raum hinaus würde die Schaffung eines Netzwerks mit gemeinsamen Werten dazu beitragen, koordinierte Bemühungen zur Schaffung eines integrativeren und offeneren Umfelds in Südtirol zu entwickeln. Innerhalb eines solchen Rahmens könnte ein höheres Mass an Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund an der Entscheidungsfindung möglich sein und zur Schaffung einer Kultur der Anerkennung und des Interesses an den Bemühungen von Migrant:innenvereinen beitragen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Institutionen, indem ihre Aktivitäten stärker sichtbar gemacht werden. Dies würde ausserdem zu einem einladenderen Umfeld für neu angekommene Bürger:innen beitragen, die sich leicht einen Überblick darüber verschaffen könnten, welche Unterstützungssysteme und -dienste in der Region bereits aktiv sind, und die möglicherweise ihre Entscheidung, eine eigene Organisation zu gründen, beeinflussen würden.
Das FIA-Projekt wird von der Gemeinde Bozen mit finanzieller Unterstützung der Koordinationsstelle für Integration der Autonomen Provinz Bozen in Zusammenarbeit mit der Sozialgenossenschaft Studio Comune, dem Institut für Regionalentwicklung EURAC Research, dem Verein La Strada-Der Weg und dem Migrantenrat der Stadt Bozen durchgeführt.
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