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Integrationspolitik im ExpertInnencheck: Grüne überzeugen, FPÖ enttäuscht

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Integrationspolitik im ExpertInnencheck: Grüne überzeugen, FPÖ enttäuscht
Das Thema Migration spielte auch bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen eine bedeutende Rolle.Credit: Pastour Matzis Unsplash | All rights reserved

Es kursieren viele Mythen und Unwahrheiten rund um das Thema Migration. Obwohl sich renommierte MigrationswissenschaftlerInnen medienwirksam, aufklärend in Podcasts und Büchern äußern, ist weitgehend unklar, inwieweit sich Aussagen bezüglich Migration und Integration rechter oder linker bzw. populistischer oder nicht-populistischer Parteien auf Fakten stützen oder nicht.

Wie realitätsnah, konstruktiv und fundiert integrationspolitische Verbesserungsvorschläge einzelner Parteien sind, geht dieser Beitrag durch einen Vergleich von Wahlprogrammen und ExpertInneninterviews auf den Grund. Die Wahlprogramme der am 14.4.2024 zur Innsbrucker Gemeinderatswahlen angetretener Parteien fungieren dabei als Analysebeispiel. Diese werden mit den Ergebnissen aus Interviews mit sechs ExpertInnen, die mit Geflüchteten im Raum Innsbruck arbeiten, verglichen.

Wahlkampf Innsbrucker Gemeinderatswahlen 2024

Bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen am 14.4.2024 traten 13 Listen an: „Die Innsbrucker Grünen“ (GRÜNEN), „Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ), „Florian Tursky – Das Neue Innsbruck“ – vereint „Für Innsbruck“ (FI), „Österreichische Volkspartei (ÖVP) und „Tiroler Seniorenbund“ (TS) – (TURSKY), „NEOS Innsbruck“ (NEOS), „Liste Fritz – Bürgerforum Tirol“ (FRITZ), „Liste Gerald Depaoli – Gerechtes Innsbruck“ (GERECHT), „Alternative Liste Innsbruck“ (ALI), „Sozialdemokratische Partei Österreichs“ (SPÖ), „EINIG Innsbruck“ (EINIG), „Jetzt Innsbruck – Johannes Anzengruber“ (JA), „Transparente Unabhängige Neue Gesellschaft“ (TUN), „Die Unabhängigen – Innsbruck“ (DU-I), „Kommunistische Partei Österreich“ (KPÖ).

Geprägt war der Wahlkampf und die vorangegangene Legislaturperiode von Streitigkeiten, Amtsenthebungen, Korruptionsvorwürfen gegenüber mehreren ranghohen PolitikerInnen und das Zersplittern und wieder Zusammenführen von Parteien. Die Ereignisse drohten die inhaltliche Themensetzung des Wahlkampfs teilweise zu überschatten.

Der Wahlkampf und die Debatte um Migration und Integration

Das dominierende Thema der Innsbrucker Gemeinderatswahlen 2024 war Wohnen, aber auch das derzeit hochaktuelle Thema Migration machte vor diesem Wahlkampf nicht halt. Auf Gemeindeebene konzentrieren sich die Parteien naturgemäß stärker auf lokale Integrationsmaßnahmen, während globale oder nationale Migrationspolitik weniger im Fokus steht. Elf der 13 angetretenen Listen bzw. Parteien traten bei den Wahlen mit einem verschriftlichten Wahlprogramm an. Sieben davon befassten sich mit dem Thema Migration und sechs dezidiert mit Integrationsmaßnahmen. So konnten schlussendlich Integrationsvorschläge von den GRÜNEN, der FPÖ, von TURSKY (ÖVP), der ALI, der SPÖ und der Liste JA für den Vergleich mit Integrationsvorschlägen der ExpertInnen herangezogen werden.

Was ExpertInnen sich für Innsbruck (weg-)wünschen

Die sechs interviewten ExpertInnen arbeiteten als Fachkräfte für soziale Arbeit oder als DolmetscherInnen im Raum Innsbruck in Nicht-Regierungs-Organisationen und einer Regierungs-Organisation (hier TSD = Tiroler Soziale Dienste) über mehrere Jahre eng mit Geflüchteten zusammen. Die Kernaussagen der leitfaden-gestützten Interviews mit allen sechs ExpertInnen zu den Problemen und Herausforderungen in der Integration von Geflüchteten in Innsbruck wurden in Themengruppen zusammengefasst. Es ergaben sich folgende 13 Themenbereiche, in welche sich alle Vorschläge der ExpertInnen zuordnen ließen: Rassismus und Diskriminierung, finanzielle Situation, Wohnsituation, psychische Situation, Asylverfahren, Informationsbedarf, genderspezifische Probleme, Sprache, Integrationspolitik allgemein, Arbeitssituation, Bildung, Medien/Öffentlichkeit und Aufnahmegesellschaft. Inhaltlich gab es keine Widersprüche unter den ExpertInnen, auch wenn einige Vorschläge nicht von allen explizit erwähnt wurden. Insgesamt ergab sich jedoch ein einheitliches Meinungsbild.

Ich glaub das Grundlegendste ist eigentlich Rassismus. Rassismus und ja Diskriminierung - was schon im Alltag beginnt. Ich glaub da werden den Leuten [MigrantInnen] von der Gesellschaft her viele Steine in den Weg gelegt. Auch Leute [MigrantInnen] die sich integrieren möchten und es wirklich versuchen, erleben viel Ablehnung.” – ExpertIn

Besonders hervorgehoben wurden die Forderung nach besserer Finanzierung lokaler Integrationsprojekte, sowie die Bedenken hinsichtlich des weit verbreiteten Rassismus und der Diskriminierung durch die einheimische Tiroler Bevölkerung. Diese negativen Grundeinstellungen gegenüber Personen mit Migrationshintergrund werden laut den ExpertInnen durch einseitige Berichterstattung in Print- und sozialen Medien, sowie der teils populistischen und hetzerischen politischen Öffentlichkeitsarbeit weiter befeuert.

Wahlprogramme und die Meinung der ExpertInnen im Vergleich

Ziel ist eine integrative Gesellschaft, die Vielfalt als Stärke sieht und Brücken zwischen verschiedenen Kulturen baut.“ - GRÜNEN

Keine der Parteien konnte alle 13 genannten Problembereiche der ExpertInnen in ihren Wahlprogrammen abdecken, wobei die GRÜNEN nur zwei Bereiche ausließen und generell am besten im Vergleich mit den ExpertInnen abschnitten. Die bereits genannten GRÜNEN, gefolgt von TURSKY (ÖVP), ALI und SPÖ können ihre Vorschläge bezüglich Integrationspolitik, von den hier befragten ExpertInnen größtenteils bestätigt wissen. Die neu angetretene, überaus erfolgreiche Liste JA hingegen, kann mit ihrem Wahlprogramm auf wenig Rückendeckung von den interviewten ExpertInnen hoffen. Noch schlechter schnitt nur die FPÖ ab. Diese konnten lediglich bezüglich Sprachförderung eine Überschneidung mit Forderungen der ExpertInnen vorweisen. Alle weiteren Vorschläge von Seiten der FPÖ fallen konträr aus.

Integration ist eine Bringschuld. Einwanderer, die nach Österreich kommen, stehen in der Verantwortung…“ – FPÖ

Interessant war vor allem die Strategie der FPÖ, welche als einzige Partei das im Wahlkampf dominierende Thema Wohnen mit Integration verband. Sie verhält sich auch hier im kommunalen Bereich ähnlich wie auf nationaler Ebene, indem Personen mit Migrationshintergrund auf klassische populistische Art und Weise als Feindbild fungieren. In diesem Fall hätten diese laut FPÖ durch Überförderung große Mitschuld an den hohen Wohnkosten in der Stadt Innsbruck. Diese Ansicht widerspricht eindeutig den Aussagen der ExpertInnen.

Keine städtische Wohnungsvergabe an Drittstaatsangehörige“ – FPÖ

Weniger parteikonform äußerte sich die Liste TURSKY in ihrem Wahlprogramm bezüglich Integration. Im Gegensatz zur nationalen ÖVP verzichtete TURSKY auf populistische Hetzereien gegenüber MigrantInnen und konnte größtenteils kongruente Vorschläge mit den ExpertInnen liefern. Die Liste JA, bei welcher der Spitzenkandidat Johannes Anzengruber nach Ausstieg aus der ÖVP mit eigener Liste antrat und in der Bürgermeisterstichwahl als Sieger hervorging, lässt hier mehr Nähe zur nationalen ÖVP-Linie erkennen. Deutliche wirtschafts- und neoliberale Ansichten werden in dessen Wahlprogramm deutlich und kann im Vergleich zu den ExpertInnen wenig Konstruktives in Bezug auf die Integrationspolitik vorschlagen.

Und wir haben nicht genug Plätze, um alle Menschen unterzubringen. Und in vielen anderen Bereichen gibt es Unzulänglichkeiten, wo wir den Menschen einfach nicht helfen können.” – befragte/r ExpertIn

Ein Themenbereich wurde des Öfteren von einigen Parteien aufgegriffen, ohne von den interviewten Personen mit Expertenwissen erwähnt worden zu sein. Dabei handelte es sich um die politische Teilhabe von MigrantInnen. Die GRÜNEN, ALI und TURSKY wünschten sich eine stärkere politische Partizipation von MigrantInnen um die Integration voranzutreiben. Obwohl von den ExpertInnen ausgelassen, deckt sich diese Ansicht mit der wissenschaftlichen Literatur.

Ergebnisse der Gemeinderatswahlen

Welche Auswirkungen die parteiinternen Positionen zur Integration auf die Ergebnisse der Innsbrucker Gemeinderatswahlen hatten, wurde in dieser Untersuchung nicht näher analysiert. Die weitgehend mit den befragten ExpertInnengruppen übereinstimmenden GRÜNEN konnten jedoch, trotz leichter Verluste, Platz eins vor der erstmals angetretenen, ÖVP-nahen Liste 'JA' von Johannes Anzengruber, die hier nicht gut abschnitt, verteidigen. Auf Platz drei landete, die unter den Erwartungen gebliebene FPÖ, gefolgt von der SPÖ und der Fusionspartei TURSKY. Letztere vereinte unter dem Namen „Florian Tursky – Das neue Innsbruck“ (TURSKY) drei Listen aus dem vorangegangen Wahljahr 2018 (ÖVP, FI, TS), und musste überraschend und trotz finanzintensiven Wahlkampfs ein Minus von 20,9 Prozentpunkten hinnehmen. Eine Integrationsansicht, die den Meinungen der interviewten Fachleute sehr ähnlich war, hat sich für TURSKY anscheinend nicht gelohnt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durchaus einige Parteien Wahlprogramme mit konstruktiven, von ExpertInnen gestützten Vorschläge bezüglich lokaler Integrationspolitik lieferten. Vor allem links der Mitte - GRÜNEN, ALI und SPÖ - gab es große Überschneidungen mit den ExpertInnen. Rechts der Mitte, insbesondere bei konservativen und bürgerlichen Parteien wie der ÖVP (hier TURSKY) und der Liste JA, fallen die Ergebnisse unterschiedlich aus. Im Gegensatz zu JA zeigt TURSKY, dass sich konstruktive Integrationspolitik und Wirtschaftsliberalismus nicht gegenseitig ausschließen müssen. Die deutlich rechte und populistische FPÖ hingegen bot keine von Fachleuten untermauerten Lösungsvorschläge für eine verbesserte Integrationspolitik.

Linke sowie rechte Parteien konnten in diesem Vergleich konstruktive, integrationspolitische Vorschläge in ihren Wahlprogrammen abbilden, wobei Parteien links der Mitte tendenziell besser abschnitten. Deutlich rechte und populistische Ansätze von Parteien erfuhren keinen Rückhalt durch ExpertInnen. Interessant für zukünftige Forschung wäre zum einen, ob sich die Ergebnisse dieser Untersuchung auf Wahlen anderer Gemeinden, Länder, Nationen reproduzieren lassen oder nicht. Zum anderen wäre ein Vergleich mit den jeweiligen Wahlergebnissen, das heißt dem Wählerwillen, aufschlussreich. Auch wenn in dieser Wahl nicht vollumfänglich zutreffend, haben auf nationaler und internationaler Ebene gerade die hier schlecht abgeschnittenen Parteien – jene mit deutlich rechten und populistischen Inhalten – in vielen Wahlen die Nase vorn.

Angelika Lechner

Angelika Lechner

Angelika Lechner is a physiotherapist from Tyrol. She has just finished her studies in Politics at the University of Innsbruck. After graduating with a Master of Science degree in Sport Physiotherapy from the University of Salzburg, Angelika continued her studies in Politics - always with her main interests in mind: Human Rights and environmental issues.

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Citation

https://doi.org/10.57708/baqqvmsf1tmavifh-nazk4q
Lechner, A. Integrationspolitik im ExpertInnencheck : Grüne überzeugen, FPÖ enttäuscht. https://doi.org/10.57708/BAQQVMSF1TMAVIFH-NAZK4Q

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