Digitaler Wandel und Tourismus: Mut zum Nicht-Perfekten
In den Neunziger Jahren hat die Digitalisierung den Tourismus als eine der ersten Branchen radikal verändert. Auch heute noch widerspiegeln sich viele Innovationen des digital lifestyle zu allererst im Tourismus. Die Geschäftsmodelle von booking.com, Tripadvisor oder Airbnb wirken dabei wie disruptive Technologien, die eine Branche zwar nicht vollständig umwälzen, aber erheblich durchrütteln. Dennoch, die große Veränderung der digitalen Transformation im Tourismus ist nicht die disruptive Energie, die von diesen globalen Plattformmodellen ausgeht, sondern eine sich verändernde Wahrnehmung des Raumes und der Distanz.
Die Zeiten, in denen die zu Hause Gebliebenen auf den Anruf aus dem Ferienort warteten, um sich zu erkundigen, wie denn das Wetter und die Unterkunft dort sei, ist keine Ewigkeit her. Heute informieren wir uns über Webcams, real-time Posts, Bewertungen und Google Streetview kontinuierlich über den angepeilten Ferienort und im Urlaub vor Ort sind wird immer vernetzt, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Die McDonaldisierung des Urlaubens manifestiert sich in einer Geisteshaltung, in der Überraschungen und das Unerwartete zur Gänze eliminiert werden sollen. Das Netz macht es möglich.
Die Neugierde und das Unerwartete, die Lust am Abenteuer, werden ersetzt durch eine digital projektierte Erwartungshaltung. Die Null-Risiko Gesellschaft will Risiko vermeiden und hat dennoch eine tiefe Sehnsucht nach dem Abenteuer – doch ohne Risiko kein Abenteuer. Der vermeintliche Erlebnisraum Urlaub wird zum Erwartungsraum. Das Unerwartete darf nur dann Platz haben, wenn es dem Rauschen der eigenen Erwartungserhaltung konform ist.
Diese sich verändernde Wahrnehmung des Raums und der Distanz wird sich nicht ändern lassen, denn das Fortschreiten der Digitalisierung zu negieren wird keine neuen Erkenntnisse ans Tageslicht bringen. Und dennoch gilt es Fragen und mögliche Antworten zu finden, wie die Tourismusindustrie sich verhalten soll. Mitmachen, ohne Kompromisse, um an der kollektiven Projektion des idealen Erwartungsraums jeglichen Kratzer zu vermeiden?
Vom Idealbild zur Wertehaltung
Auch in Zeiten des digitalen Wandels neigen Touristiker, nach wie vor, den Schwerpunkt in der Kommunikationsarbeit auf die Bewerbung des kaufbaren Angebotes zu legen, welches sich so nahe wie möglich am Idealbild, dem Key-Visual, orientiert und die neue Perzeption des Raumes seitens des Gastes vernachlässigt. Das 5 Tages Wellness-Herbstsonne-Angebot, die Anfänger-Skiwoche bei traumhaften Pulverbedingungen, die Entschleunigungswanderwoche in der Hochsaison – der Kombinationsphantasie der Marketer sind keine Grenzen gesetzt. Eine derartige Kommunikation, die sich am kaufbaren Ideal-Angebot orientiert, ignoriert aber einen erheblichen Teil der Customer Journey und ist oftmals nicht in der Lage, Transparenz und Differenzierungsmerkmale in den Vordergrund der Kommunikation zu rücken.
Kommunikation im digitalen Zeitalter sollte sich jedoch nicht nur auf das kaufbare Ideal-Angebot reduzieren, sondern den gesamten Kontext in den Vordergrund stellen und Transparenz herstellen. Ferienorte sind keine Software, die auf Wunsch des Kunden so programmiert werden können, dass die Erwartungen zu 100% erfüllt werden. Eine gelungene, digitale Kommunikationsstrategie muss in der Lage sein, Transparenz und Verantwortung herzustellen. Die Kommunikation vieler Micro-Customer-Journeys, welche die zentralen Bausteine der touristischen Wertschöpfungskette und den Kontext ins Licht rückt: Wertehaltungen, Kernthemen, Leistungsträger und dann das Angebot. Und in Folge auch Mut, das Nicht-Perfekte zuzulassen.
Von der Reklame zur ‘real time co-makership’
Die Sender-Empfänger Relation (siehe Teil 1 Digitaler Wandel und Tourismus) hat sich in der digitalen Kommunikation verflüssigt. Um so wichtiger ist es, die traditionelle Sender/Empfänger Hierarchie durch eine partnerschaftliche, netzwerkbasierte Sender/Empfänger Konstellation zu ersetzen (multiredaktionelle Gesellschaft). Denn die wichtigsten Partnerschaften in der touristischen Kommunikation sind jene mit dem Gast und mit dem Einheimischen, den locals sozusagen. In diesem Spannungsfeld – Touristiker, Gast und Einheimischer – muss sich die Kommunikation beweisen und jeglicher Versuch, isoliert zu agieren, wird langfristig keinen Mehrwert bringen. Denn der digital mündige Konsument hat gelernt zu differenzieren und ist skeptischer geworden. Stimmt das Bild der verzauberten Winterlandschaft mit den aktuellen Webcam Archivbildern überein? Was zeigen die aktuellen Hashtag-Bilder auf Instagram? Sind die regionalen Spezialitäten wirklich vom Bauernhof? Ein Umdenken – von der Reklame hin zu einer transparenten Co-Makership – erfordert Mut und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Dabei spielen Strategien, die gezielt darauf setzen, das Involvement der Gäste und Einheimischen zu stärken, eine wichtige Rolle, werden aber nach wie vor noch zu wenig beachtet. Berührungsängste und die Angst vor dem falschen Bilde müssen abgebaut werden.
Ein weiterer Grund für eine aktive Strategie der Co-Makership liegt auch darin, dass in der digitalen Kommunikation nicht nur Qualität, sondern auch Quantität ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. Denn die Adressaten der digitalen Kommunikation sind nicht nur Leser im Sinne von Menschen, sondern auch die Algorithmen der digitalen Gate-Keeper, von Google bis Facebook und alle anderen und diese müssen kontinuierlich bespielt werden. Das Netz begünstigt den Großen, fordert und fördert Quantität, die Masse. Die Chance der Kleinen, der Stillen und der Ruhigen bleibt insbesondere in der digitalen Netzwerkökonomie meist ein romantischer Traum.
Die digitale Transformation bleibt ein offener Prozess und die kommunikativen Spielregeln ändern sich kontinuierlich. Das Beharren auf eine Kommunikationslogik, die an die Überschaubarkeit und Planbarkeit vergangener Zeiten appelliert, erzeugt einen Kräfteaufwand, der in die falsche Richtung wirkt: Idealbilder zu produzieren und diese kontinuierlich zu profilieren. Als Ergebnis entstehen bei Gästen und potentiellen Gästen Erwartungshaltungen, die in ihrer Gesamtheit nur schwer eingelöst werden können und bei den Touristikern eine enorme Bring-Schuld erzeugt. Das Sehnsuchtsbild muss bleiben, aber Mut zur Realität und Mut zur Lücke sind gefragt. Dies muss nicht bedeuten, dass die Kundenbedürfnisse vernachlässigt werden können. Aber es werden Spielräume möglich, um Türen für Spontanität und Abenteuer zu öffnen. Für einen Tourismus, der Neugierde schafft und in der Lage ist mit dem Risiko umzugehen. Selbstbewusstsein und Charakterstärke statt Panikmache.
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