Kultur- und Kreativwirtschaft als Strategie für Südtirol
Merkmale und Potenziale für die lokale Wirtschaft
Die Covid-19-Krise bedroht die Existenzgrundlagen der lokalen Künstler, Kreativen und Kulturschaffenden, da Kultureinrichtungen seit Monaten an Einnahmen verlieren, ihre Mitarbeiter entlassen müssen und in allen Bereichen ihrer Existenz und Zukunftsaussichten mit Unsicherheiten konfrontiert sind. Gleichzeitig wenden sich Menschen weltweit (einschließlich politischer Entscheidungsträger) der Kultur als Quelle für Innovation, Komfort und Wohlbefinden zu, in der Hoffnung, dass kreative Menschen neue Perspektiven einbringen und gesellschaftliche Probleme lösen können.
Doch wer gehört zu den Kreativen und wie sind die Kreativ- und Kultursektoren in Südtirol aufgestellt? Es gilt, sich der bestehen Ressourcen im Lande klar zu werden, ein Profil der lokalen Kreativwirtschaft zu definieren, die Bedürfnisse und Potenziale dieser Branche aufzuzeigen, und die betroffenen Akteure aus dem Sektor, sowie Entscheidungsträger auf politischer Ebene dazu zu bewegen, sich für gemeinsame Ziele einzusetzen.
Weshalb sind Kultur und Kreativität für die Regionalentwicklung von Bedeutung?
Mit dieser Frage habe ich mich als Forscherin des Institutes für Regionalentwicklung von Eurac Research in den vergangenen Jahren beschäftigt. Die folgenden drei Elemente scheinen mir dabei aktuell am wichtigsten, um konkret auf die Südtiroler Situation einzugehen und gleichzeitig die Perspektive auf internationale Entwicklungen in der Kultur- und Kreativwirtschaft offen zu halten:
- Kultur und Kreativität spielen aufgrund ihrer doppelten, kulturellen und wirtschaftlichen, Funktion eine entscheidende Rolle in unseren heutigen Gesellschaften und bei der Gestaltung unserer europäischen Zukunft, indem sie positive Auswirkungen in anderen Bereichen der Gesellschaft, wie Bildung, Innovation oder Gesundheitsversorgung, auslösen. Siehe Berichte “Kreatives Europa” (2018, 2019)
- Es braucht ein neues Verständnis von Ländlichkeit und vom Wert „ländlicher Kultur“. Künstlernetzwerke in ganz Europa rufen Politiker auf, den unterrepräsentierten, abgelegenen und ländlichen Bevölkerungsgruppen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Siehe dazu das Offene Manifest zur “Kultur für gemeinsame, intelligente, innovative Gebiete (04/2020), die Grundsatzpapiere europäischer Künstlernetzwerke “Beyond the Urban”(03/2020) und der Europaregion Tirol -Südtirol-Trentino, EuregioLabs „Fundamentals“ (2020).
- Eine starke Verbindung zur Innovation: Die sogenannten Creative Industries gehören dank ihres starken sektorübergreifenden Charakters zu den aufstrebenden Schlüsselindustrien und bieten innovative Konzepte und Modelle für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Siehe u.a. den Europäischer Cluster- und Industrietransformationstrend-Bericht (2019)
Einige Aspekte der Kultur- und Kreativwirtschaft stehen im wissenschaftlichen und politischen Diskurs also voll im Rampenlicht. Speziell, wenn es um zukünftige Entwicklungstrends geht. Was aber bisher noch im Schatten lag, ist die Frage: Welche sind die fördernden Faktoren für die Entwicklung der Kreativ- und Kulturwirtschaft, damit sie ihren Beitrag zu Innovationsprozessen in anderen Sektoren tatsächlich auch leisten kann?
Eine Strategie für die Kultur- und Kreativwirtschaft Südtirol
Das Forschungsprojekt zur Kreativwirtschaft in Südtirol, das vom IDM Südtirol in Auftrag gegeben und von Eurac Research und der Freien Universität Bozen zwischen 2018-2019 durchgeführt wurde, möchte ein Gesamtbild der Kreativwirtschaft in Südtirol vor der COVID-19 Pandemie wiedergeben. Die Daten, die von der aktuellen Krise noch nicht beeinflusst sind, sollen als Grundlage für weitere Diskussionen, Vertiefungen, Maßnahmen sowie zur Einsichtnahme der Charakteristika der Kreativwirtschaft in Südtirol dienen. Die Studie konzentriert sich speziell auf die Profilierung der Kreativwirtschaftssektoren in Südtirol, den sektorübergreifenden Verknüpfungen und sog. „Spill-over-Effekten“. Zudem möchte sie auf zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten auf Regionalpolitik-Ebene hinweisen. Auch angesichts der Chancen, die Europa bietet, wird immer deutlicher, welche Rolle die Kreativwirtschaft als Innovationsmotor und transversaler Impulsgeber für andere Sektoren spielen kann. Das Projekt „MATCH!“ zum Beispiel zielte in den letzten Jahren darauf ab, traditionelle Prozesse in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen durch die Zusammenarbeit zwischen lokalen Unternehmen und Studenten aus der Fakultät Design der Freien Universität Bozen neu zu durchdenken und kreativ weiter zu entfalten.
1+1=3 …wer ist mit dabei?
Kreativität und Vielfalt waltet auch, wenn es darum geht, eine passende Definition zu finden und zu entscheiden, welche Sektoren in Südtirol man zur Kreativwirtschaft zählen soll. Kein leichtes Unterfangen und doch ausschlaggebend, um Klarheit und Kohärenz für zukünftige Maßnahmen zu garantieren. Die Arbeitsgruppe, die sich in Verbindung zur Forschungsstudie 2018 gebildet hatte, umfasst Projektpartner, d.h. Vertreter der in der Studie involvierten Institutionen (IDM, Eurac Research, Freie Universität Bozen) und Vertreter einzelner Kreativbranchen, darunter Architekten, Kommunikationsexperten, Designer und das Team BASIS Vinschgau. Elf Teilbereiche wurden in der Studie hervorgehoben und umfassen Sektoren aus der Kreativwirtschaft, die in Südtirol vertreten und klar zuzuordnen sind, nämlich Design, Film, Architektur, Musik, Radio & TV, Kommunikation & Werbung, Handwerk, Verlagswesen & Presse, Darstellende Künste, Bildende Künste, Software & Videogames. Mittels Diskussionsrunden und einer explorativen online Umfrage wurden qualitative und quantitative (allerdings nicht repräsentative) Daten zu etwa 500 Vertretern der Kreativszene mittels Eurac Research gesammelt und ausgewertet. Diese wurden mit den Ergebnissen der Studie der Freien Universität Bozen ergänzt, welche sich auf Daten der in der Handelskammer registrierten Firmen aus bestimmten Kreativsektoren bezieht und deren wirtschaftliche Lage zwischen 2011 und 2018 vergleicht.
Im Zuge dieser Studie einigte sich die Arbeitsgruppe über die folgende Definition von Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) für Südtirol:
“Zu den KKW gehören diejenigen Kultur- und Kreativunternehmen mit kommerziellem Schwerpunkt, die sich mit der Schaffung, Produktion und dem physischen oder medialen Vertrieb von kreativen und kulturellen Gütern und Dienstleistungen befassen. Der kommerziell ausgerichtete Schwerpunkt jeder kulturellen und kreativen Wirtschaftstätigkeit ist der so genannte “kreative Akt”, der alle Inhalte, Werke, Produkte, Produktionen oder künstlerischen, literarischen, kulturellen, architektonischen oder kreativen Dienstleistungen betrifft, die die Grundlage der elf Teilmärkte bilden.“
Südtirol als Inspirationsquelle
Wie die Studie zeigt, wird von den Vertretern der Kultur- und Kreativwirtschaft das Gebiet Südtirol als eine der größten Stärken wahrgenommen. Dazu gehört Vieles: die Mehrsprachigkeit, die Landschaft, mindset und Lebensstil, sowie das vielseitige Freizeitangebot. Zudem gelten als Stärken die gute Vernetzung der Unternehmen innerhalb der KKW, deren Vielfalt, sowie Marktchancen und die Tatsache, dass Kreativität zu Spill-over-Effekten beiträgt. Zu den Schwächen im Südtiroler Kontext gehören hingegen, laut Teilnehmer der Studie, u.a. die knappe Marktpräsenz der KKW und der Mangel an Raum und Infrastruktur für kulturelle Veranstaltungen. Für die Zukunft stellen Kreativität und Internationalisierungsprozesse eine große Chance für die Weiterentwicklung der Kreativbranche dar. Vertreter der KKW stellen die Nützlichkeit einer einheitlichen Plattform für die Kreativwirtschaft in Aussicht. Sie weisen auf die Notwendigkeit eines zentralen Bezugspunktes oder Servicebereiches hin, an den sich die Kreativen und Kulturschaffenden in Südtirol wenden können und von dem sie, in ihrer Gesamtheit, vertreten werden. Allgemein gilt als Hindernis für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der KKW in Südtirol das Gefühl der Isolation, sowohl geographisch als auch wirtschaftlich betrachtet.
Weil Kultur und Kreativität eine relevante Rolle für unsere Gesellschaft spielen
Aus der Studie geht weiters hervor, dass einige der Teilsektoren der Kreativbranche eine nachhaltige Bildung und Professionalisierung benötigen und generell auf mehr Marktsichtbarkeit, auf verstärkte internationale Zusammenarbeit und auch auf administrative Unterstützung für die Kreativwirtschaft geachtet werden sollte. Die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) zeichnet sich durch ihre intrinsische Fragmentierung und Fragilität aus. Gleichzeitig ist es die Vielfalt und der Überlebensgeist der Akteure innerhalb der kreativen Branchen, welche die Kultur- und Kreativwirtschaft zu einer resilienten und pulsierenden Ader der Gesellschaft machen.
Innovation bedient sich der Kreativität, welche nicht nur auf individueller Ebene gefördert, sondern auch als allgegenwärtiger, kollektiver und relationaler Prozess wahrgenommen werden kann. Es gilt Kunst und Kultur zugänglicher zu machen, Synergien zu schaffen und den Kontext für “gemeinsame Politiken” zu schaffen. Ob sich die KKW in Südtirol als transversale Kraft für Innovation in anderen Sektoren durchschlagen wird, und/oder man sie verstärkt im Sinne einer Kultur-geleiteten Regionalentwicklung fördert, wird sich bald zeigen. Verschiedene Ämter, Organisationen und Verbände, sowie auch wir als Forschungspartner sind bereit, Kreative und Kulturschaffende in dieser Entwicklung Unterstützung zu leisten. Eines ist sicher, im Kreativkessel brodelt es schon seit einer Weile und an Ideen und Talenten fehlt es im Lande bestimmt nicht.
Citation
This content is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International license except for third-party materials or where otherwise noted.