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Forschung und Forschungskultur in Südtirol entwickeln

Harald Pechlaner, Michael de Rachewiltz, Giulia Isetti

EINFÜHRUNG

Im 17. Jahrhundert beschrieb der englische Philosoph Francis Bacon in seinem utopischen und visionären Werk „Nova Atlantis“ seine Vorstellung einer modernen Forschungseinrichtung, das Haus Salomons auf der mythischen Insel Bensalem. Eine Gruppe von Menschen arbeitet dort daran, jene Techniken und Ideen zu entwickeln, welche die Gesellschaft auf den erstrebenswertesten Weg bringen und sie fungiert hierbei auch als Berater der politischen Führung. Inzwischen ist diese Vision in vielerlei Hinsicht Realität geworden, und Wissenschaft prägt mit ihrem Verfügungswissen und über den verlängerten Arm der Technologie unser modernes Leben wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Im Gegensatz zur fiktiven Insel Francis Bacons war Südtirol dabei lange Zeit ein weißer Fleck auf der Karte der wissenschaftlichen Institutionen. Selbstverständlich gab es auch vor Eurac Research wissenschaftliche Forschung in Südtirol, doch eine tatsächlich umfassende Forschungseinrichtung war ein Novum.

Eurac Research feiert 30 Jahre! Man mag sich fragen: Was sind schon 30 Jahre im Vergleich zu Jubiläen mancher großen Universitäten? Und dennoch wirkt diese kurze Zeitspanne eindrucksvoll, wenn man sich vor Augen hält, was sich in einer (kleinen) Region wie Südtirol in Sachen Forschung und Forschungskultur getan hat. Für das dreißigjährige Jubiläum (1992–2022) der Forschungseinrichtung Eurac Research wurde im Rahmen einer Interviewreihe mit Wegbereiterinnen und Wegbereitern der Werdegang bis zur Gegenwart gemeinsam nachgezeichnet, über potentielle Entwicklungen nachgedacht und Wünsche geäußert. Forschungsgegenstand waren dabei die Vorgeschichte, aber auch Hintergründe und Motive einiger ausgewählter Persönlichkeiten, die den Aufbau dieser Forschungseinrichtung unterstützten. Im Vordergrund der Untersuchung stand die Frage nach Bedarf und Nutzen einer solchen Institution in Südtirol. Welche Funktionen werden durch sie erfüllt und welchen Stellenwert hat sie inzwischen? Der analytische Fokus folgt einem problemorientierten Ansatz und nimmt dessen Fragen auf. Dabei richtet sich der Blick aber auch in die Zukunft: Wohin geht die Reise? Wie wird Forschung in Zukunft aussehen und welche Hoffnungen werden in diese gesetzt?

Forschung ist die systematische Suche nach neuen Erkenntnissen, auf Basis wissenschaftlicher Methoden und mit dem Ziel des Wissenserwerbs. Dabei spielen übergeordnete Ziele wie die Verbesserung der Lebensverhältnisse eine große Rolle. Die angewandte Forschung baut auf konkreten Problemstellungen auf, ist anwendungsorientiert und stärker nach dem Nutzen ausgerichtet, als es etwa Grundlagenforschung ist. Die konkrete Ausrichtung an Problemstellungen führt zu Herausforderungen der Aus- und Weiterbildung von Akteurinnen und Akteuren und soll deren Fähigkeiten fördern, daraus Neues zu schaffen. Neues, das dazu beitragen kann, die allgemeine Lebensqualität zu verbessern.

METHODIK

Im Laufe des Jahres 2021 wurden 14 semi-strukturierte Interviews mit einigen Wegbereiterinnen und Pionieren durchgeführt, welche die Entstehung von Eurac Research aktiv mitgestaltet und miterlebt haben. Dabei wurden folgende Fragen erörtert: Welche Assoziationen gehen mit dem Begriff „Eurac Research“ einher? Aus welchen Gründen wurde die Forschungseinrichtung aus der Taufe gehoben? Wie wird die Entwicklung der vergangenen drei Jahrzehnte eingeordnet? Welche denkwürdigen Ereignisse und Meilensteine der Forschung können festgemacht werden? Wie gestaltet sich das Zusammenspiel von Politik und Wissenschaft, welchen Einfluss kann Forschung auf die Landesentwicklung nehmen und wie sehen die Zukunftsperspektiven aus?

Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und unter Zuhilfenahme der Software GABEK®-WinRelan analysiert. GABEK (GAnzheitliche BEwältigung von Komplexität) ist eine computergestützte, qualitative Methode der Textanalyse und ermöglicht die systematische Kodierung des Datenmaterials, basierend auf prägnanten Stichworten. Dadurch wird Komplexität reduziert, und es kann ein semantisches Netzwerk (Zuordnungsdiagramm) entstehen, das den Zusammenhang zwischen Schlüsselwörtern bzw. Codes, die von den Befragten innerhalb derselben konzeptionellen Einheit genannt wurden, gewährleistet (Zelger 2000). Die Stärke der Verbindungslinien einer aus solchen Informationen erstellten Grafik zeigt die Häufigkeit der Anbindungen an. Je dicker eine Linie ist, desto häufiger wurde eine Verbindung zwischen den beiden Codes hergestellt. Ausgewählte Ausschnitte aus den geführten Interviews wurden in den folgenden Kapiteln in anonymisierter Form eingebaut.

MUTIGE REISEPLANUNG – ZUNÄCHST NOCH OHNE KLARE ZIELVORSTELLUNG

Eurac Research war so, wie es sich heute darstellt, nicht geplant: „An ein Forschungsinstitut hatte zunächst mal niemand gedacht. Es ging zunächst eigentlich um universitäre Bildung“ (Interview Nr. 4). Laut Satzung wurde Eurac Research zwar von Anfang an als Organisation für angewandte Forschung konzipiert, die genaue Bedeutung war jedoch noch unklar. Seit Längerem gab es ein diffuses Verlangen nach einer Universität, doch wollte man Möglichkeiten der (universitären) Aus- und Weiterbildung nur in bestimmten Bereichen etablieren: „[…] ja nur eine Forschungseinrichtung, keine Universität. Das war so irgendwie das Credo. Und klein. Also sie haben sich vorstellen können, maximal eine solche Institution mit 20 Mitarbeitern. Nicht mehr“ (Interview Nr. 7).

Zur Vorgeschichte und zu den verschiedenen Etappen auf dem Weg zur Gründung der Europäischen Akademie Bozen (heute „Eurac Research“) gab es teilweise unterschiedliche Angaben, was den eigentlichen Zeitpunkt dieser Anlaufphase betrifft. Doch gab es keine grundsätzlichen Widerstände gegen eine Bildungs- und Forschungseinrichtung: „Also es war so: Ich glaube ein glücklicher Umstand war, dass Südtirol das Paket abgeschlossen hat, und die Streitbeilegungserklärung war Anfang ‚92“ (Interview Nr. 7). Die neuen autonomen Kompetenzen des Landes Südtirol führten zum Aufbau der Landesverwaltung. Damit einher ging schließlich auch der Bedarf nach wissenschaftlicher Beratung. Bereits 1989 fanden auf Veranlassung des damaligen Landesrates für Kultur, Bruno Hosp, erste Gespräche statt, um sich einen Überblick über die Erfordernisse und eine mögliche Schwerpunktsetzung zu verschaffen: „Bruno Hosp hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet unter der Leitung des damaligen Ressortdirektors Hans Kopfsguter und Armin Gatterer. […] Die beiden sind kreuz und quer durch Europa gefahren, um sich kluge Köpfe anzuhören und rauszufinden, was die zu einer Forschungsstruktur sagen, die es in Südtirol bis zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben hat. Dann haben die ein kleines Papier gemacht und daraus ist dann ein kleines Statut geschaffen worden, ein Gründungsstatut“ (Interview Nr. 7).

Außer dem Bedarf an wissenschaftlicher Politik-Beratung gab es aber auch andere Impulse und Bedürfnisse im Südtiroler Kontext, die zur Gründung von Eurac Research führten. Vor allem war es der bis zum damaligen Zeitpunkt nur schwach ausgebaute tertiäre Bildungsbereich, der seit Ende der 1970er Jahre große Lücken aufwies: „Es kann nicht sinnvoll sein, dass all die Leute entweder nach Innsbruck oder zu einer italienischen Universität hinmüssen, wenn sie eine weitergehende berufliche Bildung anstreben“ (Interview Nr. 4).

Obwohl also zunächst an eine Bildungseinrichtung gedacht wurde, in deren Rahmen konsequenterweise eine Forschungseinrichtung eingeplant werden würde, entstand in Südtirol mit der Europäischen Akademie Bozen eine Forschungsstruktur mit Spezialisierung auf ausgewählte Fächer sowie einem bestimmten Schwerpunkt in der Aus- und Weiterbildung für die Südtiroler Landesverwaltung. Rund um die Gründung von Eurac Research ranken sich bis heute verschiedene, beinahe sagenhafte Erzählungen: „Also, es sind zwei gegenteilige Mythen kolportiert worden. Der erste ist, dass die Eurac gegründet worden sei, um die Uni zu verhindern und der gegenteilige Mythos, die Eurac ist gegründet worden, um über die Hintertür die Uni hereinzubekommen. Beides habe ich überhaupt nicht erlebt in der Gründungszeit. […] Damals hat […] diese Euphorie (vorgeherrscht), Wissenschaft zu installieren“ (Interview Nr. 1).

Ob die Gründung einer Universität durch die Tatsache bedingt wurde, dass man in einer generellen Aufbruchstimmung im Land ein bestimmtes Selbstbewusstsein nach außen demonstrieren wollte, oder ob man in der Tat daran dachte, eine (international sichtbare) Öffnung nach außen zu ermöglichen, oder beides zusammen, sei dahingestellt: „Aber das Verlangen nach einer Universität ist sicherlich viel, viel älter als die ersten Planungsschritte zur Eurac“ (Interview Nr. 8). Den Gründerinnen und Gründern von Eurac Research ging es vordergründig darum, einen Schritt in Richtung Schließung dieser Lücke zu wagen: „Von allen Unigegnern, das war die Mehrheit der Parteien, sind wir als trojanisches Pferd gesehen worden, das im Endeffekt ja doch nur eine Uni will, und dass wir (das heißt Eurac Research) ja doch nur eine vorübergehende Struktur wären, die dann in einem zweiten Moment sowieso in der Uni aufgehen würde“ (Interview Nr. 7).

Es gab, wie eine der Interviewteilnehmerinnen erklärte, gewisse Primärbedürfnisse, die durch Forschung für Südtirol abgedeckt werden sollten, auch wenn die Forschungsbereiche neben dem eigenen Bedarf über das Land hinausstrahlen sollten: „Ich fand, dass diese drei Gründungsbereiche, die Initialbereiche, wirklich sehr gut und geschickt und klug ausgesucht waren. Einmal die Vergleichung der Rechtssprachen, die eigentlich auf ganz praktischen Schwierigkeiten beruhten, auch in der Landesverwaltung, dass man also gleichwertige Übersetzungen im Rahmen der Gesetzestexte finden wollte. Ich fand, das war ein sehr gutes Grundanliegen. Die Alpine Umwelt auch, weil diese hatte sich auch damals angeboten. Man hat ja schon gemerkt, wo die Probleme liegen, oder liegen würden. Und auch das dritte Gebiet, Autonomie und Minderheitenservice, war ein richtig organisch gewachsenes Thema, eigentlich. Also diese drei Grundbereiche fand ich sehr gut ausgesucht. […] Ich finde, sie haben immer wieder nicht nur Glück, sondern auch die Klugheit gehabt, Themen zu finden, die da besonders gut her passen“ (Interview Nr. 8).

Abbildung 1: Die Entwicklung von Eurac Research. Eigene Ausarbeitung. N = 14.

Es sei an dieser Stelle auch auf die sogenannten „Bozner Treffen“ verwiesen. Ihrer Zeit weit voraus, hatten die Bozner Treffen ein klares Ziel: „Es ging […] dabei um einen Versuch, eine gemeinsame Sprache zu finden in der interdisziplinären Ausrichtung dieses Symposiums, das einmal im Jahr bedeutende Gelehrte aus Europa und der Welt […] zusammenbringen wollte, die den Versuch machen wollten, interdisziplinär die Sprachen ihrer eigenen Disziplinen mitzuteilen, und zwar so, dass sie auch für die Vertreter anderer Disziplinen verständlich wären“ (Interview Nr. 8).

Dieser Gedanke des interdisziplinären Diskurses wurde zu einem Leitgedanken von Eurac Research, wobei Problemstellungen und Themen von Beginn an als Organisationsprinzip dienten, dabei aber keine disziplinären Grenzen gesetzt wurden. Während Universitäten mit einer Fakultätsorganisation den disziplinären Diskurs durch eigene fächerspezifische Regeln und Kulturen stärken, konzentriert sich Eurac Research auf für Südtirol relevante Themen, wie etwa Alpine Umwelt und Minderheitenrechte. So können Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Disziplinen gemeinsam an diesen Themen arbeiten, was einen anderen Zugang zu Forschung ermöglicht. Dieser multidisziplinäre Weg mag ein wichtiger Grund dafür sein, weshalb sich Eurac Research zügig auf angewandte Forschung konzentrieren konnte.

VON DER PIONIER- ZUR DIFFERENZIERUNGSPHASE

Rückblickend hat sich Eurac Research aus Sicht der meisten Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in die erwartete Richtung entwickelt, allerdings in einer Geschwindigkeit und Größenordnung, die zu Beginn nicht vorstellbar war.

Möchte man die Entwicklung von Eurac Research in lebenszyklusspezifische Phasen einordnen, kann zunächst von einer Pionierphase gesprochen werden. Diese Phase war geprägt von teils diffusen, teils konkreten Ideen, einem beträchtlichen politischen Spielraum und einigen wenigen Akteurinnen und Akteuren mit einem gemeinsamen Grundverständnis für die Aufbruchstimmung in Südtirol sowie der Fähigkeit, mit Widerständen umzugehen: „[…] ich muss sagen grundsätzlich, wenn ich so reflektiere, hatten wir unheimlich viel Mut, viel unkonventionelles Vorgehen, ungewöhnlich auch, weil wir ja alles keine Universitätsleute waren. Und das ist, glaube ich, insgesamt nicht ganz üblich, dass eine solche Struktur mal nicht von Universitätlern vorangetrieben wird. Aber was wir damit erreichen konnten, war, dass von vornherein eine starke regionale Verankerung damit verbunden war“ (Interview Nr. 7).

Im vorliegenden Beitrag wird diese Pionierphase sehr breit interpretiert, da diese bis in die heutige Zeit reicht. Der Begriff Pionierphase ist nach wie vor berechtigt, da die Gründung verschiedener Institute innerhalb des Forschungszentrums Eurac Research im Laufe der Jahre in einer bis dorthin immer noch unbedarften Südtiroler Forschungslandschaft stets einen hohen Neuigkeitscharakter hatte und dem stärker werdenden Interesse an angewandter Forschung entgegenkam.

Abbildung 2: Lebenszyklus-Phasen von Eurac Research. Eigene Ausarbeitung.

Der erste Abschnitt der Pionierphase ist eine Start- und Gründungsphase, welche mit der groben personellen Besetzung der Fachbereiche etwa drei Jahre nach der offiziellen Gründung von Eurac Research abgeschlossen war. In der Folge kann von einer ersten Konsolidierungsphase gesprochen werden, in welcher (noch) nicht sicher war, ob man sich weiteres Wachstum vorstellen konnte und wollte (Abbildung 2). Kennzeichnend war dabei der Umstand, dass den Gründerinnen und Gründern alsbald die Notwendigkeit eines Hauptsitzes klar wurde: „Definitiver Sitz, wenn du so willst, weil ohne einen definitiven Sitz kannst du keine Struktur wirklich groß und stark machen“ (Interview Nr. 7). Diese Phase umfasste ebenso mindestens drei bis vier Jahre.

Mit dem neuen Sitz von Eurac Research in der Drususallee begann der dritte Teil der Pionierphase, nämlich eine erste große Wachstumsphase, welche durch die Etablierung weiterer Forschungsbereiche und eine Ausgliederung bestehender Bereiche und die damit verbundene Neugründung von Forschungsinstituten gekennzeichnet war. So entstand aus dem großen Forschungsbereich „Alpine Umwelt“ eine Ausgründung für den Bereich Regionalentwicklung. Diese bildet wenige Jahre später mit dem bereits bestehenden Institut für Management und Tourismus ein gemeinsames Institut für Regionalentwicklung und Standortmanagement, aus welchem sich wiederum einige Zeit später als Ausgründung das Center for Advanced Studies (CAS) bildete. Die Wachstumsphase der gesamten Organisation war von einem kritischen Moment begleitet. Mit Gründung der Freien Universität Bozen verlagerte sich zunächst auch das politische Interesse in Richtung Universität: „… in dem Moment, wo die Uni gegründet war, hat sie sich bewusst von der Eurac abgenabelt, und in der Öffentlichkeit gab es eigentlich nur noch die Diskussion, wann geht die Eurac in der Uni auf. Das war eine ganz schwierige Phase, die vielleicht auch natürlich war, weil wie die Tochter sich irgendwann mal versucht zu emanzipieren von den Eltern und irgendwo weggeht und von den Eltern gar nichts mehr wissen will und vielleicht später, wenn sie selber Kinder hat, kommt sie wieder zurück und merkt, so dumm waren die Eltern ja doch nicht, so ungefähr scheint mir dieser Abnabelungsprozess gewesen zu sein […]“ (Interview Nr. 7).

Die Pionierphase war also in dieser Zeit des Wachstums zugleich eine Zeit der ausführlichen Diskussion um die Existenz und Legitimation von Eurac Research. Die Organisation und das Team wurden auf diesem Weg resilienter, was zu einer intensiven Innovationstätigkeit führte, die wiederum eine Differenzierungsphase, geprägt von Spezialisierung und Internationalisierung, einleitete: „In der Pionierphase ist der Fokus noch ganz stark auf sich selbst (gerichtet). In einer gesättigteren Phase geht der Blick etwas weiter hinaus, stärker hinaus in die Umgebung. Man denkt mehr systemisch“ (Interview Nr. 14).

Hinsichtlich der Frage nach der gegenwärtigen Rolle von Eurac Research als Forschungszentrum für die Region wurde von allen Interview-Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Wichtigkeit dieser Einrichtung betont und hervorgehoben, und dass sich die Akzeptanz und Wertschätzung innerhalb der Bevölkerung gefestigt haben. Als Gründe für diesen Erfolg wurden unter anderem ein günstiges Klima durch die bisher wenig vorhandene Forschung, das Management und nicht zuletzt ein gewisser Finanzierungspielraum der Anfangszeit genannt: „Passiert ist, glaube ich, dass da ein Vakuum war. Und in dieses Vakuum hinein war das Wachstum viel schneller möglich als gedacht. Dann hat es die Dynamik gegeben. Es waren Leute an der Spitze, in den Gremien, in der Geschäftsführung, die sehr viel Dynamik und Engagement entwickelt haben. Es war ein Top-Management da, es war Geld da in den 90er und 00er Jahren, bis in die Zeit hinein, in der die Eurac selbst das Instrumentarium entwickelt hatte, eigene Gelder einzuholen, außer Landesgelder“ (Interview Nr. 1).

Strukturell hat sich Eurac Research vor allem an den Ländern Mittel- und Nordeuropas orientiert, welche sehr stark mit Ausschreibungen und Wettbewerben arbeiten und gerade in der drittmittelfinanzierten angewandten Forschung große Erfahrungen aufweisen. Eurac Research hat in gewissen Bereichen, wie etwa den Erneuerbaren Energien, auch die hochqualifizierten Arbeitskräfte auf dem Weg ins Ausland sprichwörtlich vor der Grenze abgefangen und damit dem Brain-Drain-Effekt entgegengewirkt (Kofler et al. 2020): “Avere a Bolzano dei ricercatori di alto livello anche sul piano del titolo di studio, che magari hanno avuto esperienze internazionali, che scrivono su riviste internazionali è una cosa più che positiva, (…) anche per i nostri giovani, che vorrebbero fare quel tipo di lavoro, (è positivo) avere la possibilità di restare a Bolzano” (Interview Nr. 5).

Diese Differenzierungsphase ist geprägt vom weiteren Ausbau der Forschungskultur, insbesondere durch ein systemisches Denken und Handeln in der Vernetzung mit anderen Forschungsorganisationen in Südtirol beziehungsweise dem weiteren Ausbau von Kooperationen und in engem Schulterschluss mit Wirtschaft und Politik (Auf- und Ausbau eines Forschungsökosystems Südtirol) sowie durch die genannte Spezialisierung und Internationalisierung. Eurac Research ist heute nicht nur ein Motivationsfaktor für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, in der Region zu verbleiben, sondern ein Attraktionspunkt für Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt.

Die Wahrnehmung von Eurac Research in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hat sich über die Jahre sehr zum Positiven gewandelt. Grundsätzlich wird Eurac Research nicht (mehr) in Frage gestellt, von Leistungstragenden der Wirtschaft zunehmend als strategischer Partner erachtet, und von der Politik auf Landes- und Kommunalebene für konkrete Problemlösungen hinzugezogen.

„Also was bleibt uns Anderes, um eine zukunftsträchtige Gesellschaft zu bleiben und noch zukunftsträchtiger zu werden, als die Investition in die Menschen. Und das tut die Eurac. Das tut sie. Aber der Einsatz dahinter, das Ziel, die Absicht [...] sollte in meinen Augen noch besser verklickert und glaubwürdig gemacht werden“ (Interview Nr. 11).

Eine wissenschaftliche Organisation wie Eurac Research, die aufgrund ihrer Gründerpersönlichkeiten eng mit der Landesverwaltung in Verbindung gebracht wurde, hatte sehr früh begonnen, die Unabhängigkeit von Forschung zu betonen. „Aber da stehen zum Glück schon im Gründungsgesetz, das die Finanzierung ermöglicht, die zwei Worte Unabhängigkeit und Forschung drinnen“ (Interview Nr. 7). Das Verständnis für die Unabhängigkeit von Forschung war zweifelsohne ein zentraler Baustein, mit dem diese in Südtirol hoffähig gemacht werden konnte. Dies ist auch für die Zusammenarbeit mit der Landesverwaltung prägend: „[…] ich sehe das Verhältnis so, dass es für die Landesverwaltung Themen gibt, zu denen sie Forschung braucht. Dann wendet sie sich in sehr vielen Fällen an die Eurac. Die Eurac versucht bestmöglich, im Rahmen ihres Zielspektrums und ihres Forschungsspektrums solche Auftragsforschungen zu erledigen, völlig nach wissenschaftlichen Kriterien. Und was herauskommt, hat den wissenschaftlichen Standards zu genügen, und die Landesregierung […] muss dankbar sein, wenn sie validierte wissenschaftliche Ergebnisse kriegt. So sehe ich das dialektische Verhältnis“ (Interview Nr. 1).

Abbildung 3: Wissenschaftliche Praxis und das Zusammenspiel mit der Politik. Eigene Ausarbeitung, N = 14.

WOHIN GEHT DIE REISE?

„Also ich habe das Gefühl, wir gehen jetzt ein bisschen in eine neue Phase hinein, und verlassen diese klassische Pioniertätigkeit und gehen jetzt in eine erwachsenere Phase, wo es nicht mehr darum geht, schreiben und lesen zu lernen, wo es jetzt gilt [...], Entscheidungen zu treffen: In welche Spezialisierungen? Mit welchen Partnern? Wo sollen Schwerpunkte stärker stattfinden? Dieses Gefühl habe ich, was die Eurac betrifft“ (Interview Nr. 14).

Durch die Covid-19-Pandemie hat Wissenschaft in breiten Gesellschaftskreisen enorm an Bedeutung, Glaubwürdigkeit und Relevanz gewonnen. Im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik nehmen Wissenschaft und Forschung mittlerweile einen zentralen Stellenwert ein. „Die Pandemie neigt sich ihrem Ende zu. Mit ihr ist die Wissenschaft in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Nun müssen wir lernen, verantwortungsvoll mit ihr umzugehen“ (Geiser 2022). Diese globalen Entwicklungen haben ohne Frage auch Auswirkungen auf die regionale Ebene. Eurac Research profitiert nicht nur davon, sondern trägt mit der Schwerpunktsetzung auf den natur- und geisteswissenschaftlichen Bereichen, in ausgewählten Feldern angewandter Wissenschaften und entsprechender konsequenter Akquisition von Fördermitteln auf europäischer Ebene zu diesem allgemeinen Trend bei. Das wiederum steigert die Akzeptanz von Forschung auf regionaler Ebene. Eurac Research musste sich von Beginn an behaupten und die Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens betonen. Diese Erfahrung war in all den Jahren hilfreich, als sich Eurac Research zu einer international beachteten Organisation in der Akquise und im Umgang mit Drittmitteln beziehungsweise Forschungsförderungsmitteln entwickelte: Insbesondere die großen Verbundanträge an die finanziell reich ausgestatteten Fonds der Europäischen Union (etwa Horizon Europe, Interreg Alpine Space…) erfordern langjährige Erfahrung in der Antragstellung und Abwicklung, aber als Voraussetzung dazu vor allem Reputation im Netzwerk und Seriosität in der wissenschaftlichen Arbeit. Die Institute und Center von Eurac Research sind heute begehrte Partner, wenn es zu Kooperationen mit Antragstellenden aus ganz Europa kommt.

Die Gründung von Eurac Research wurde von einer mutigen Reiseplanung begleitet, auch wenn das Reiseziel vorerst unbestimmt blieb. Schlussendlich konnte man – schneller als geplant – eine Destination erreichen, wo man sinnstiftend für Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik wirken konnte. Das geschah stets unter Berücksichtigung sich ändernder Rahmenbedingungen. Die Entwicklung von Krisenfestigkeit und Resilienz in der Pionierphase hat die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung geschaffen. „Also ich glaube, die Eurac – oder Forschung insgesamt – hat noch ein Riesenpotential. Das ist überhaupt keine Frage und es genügt ja auch nur der Hinweis auf (den) immer noch sehr mickrigen Anteil von Forschungs- und Entwicklungsgeldern am gesamten Bruttoinlandsprodukt“ (Interview Nr. 7).

Die großen Herausforderungen für Eurac Research liegen auf organisatorischer und inhaltlicher Ebene: „Eine Sache grad aus der Organisationsentwicklung ist klar, die Eurac an sich sollte nicht zu groß werden, weil sonst wird es ein ‚carrozzone‘, sag ich einmal“ (Interview Nr. 7). Sie sollte dabei nicht zu stark divergieren, sondern noch intensiver in den bestehenden Bereichen forschen, wobei das Thema Umwelt- und Klimaschutz häufig als übergreifendes Thema genannt wurde: „(Die) Wissenschaft (muss) mit großer Leidenschaft die Ideen entwickeln und auch praxisnahe den Bürgern aufzeigen, als Lustelement, nicht als lästige Pflicht. Warum empfinden wir einen Klimaschutz als etwas Lästiges, was wir machen müssen – leider – und nicht als etwas, wo wir sagen: Wir machen das mit großer Leidenschaft. Wie können wir den Menschen diesen Sinneswandel bringen, dass sie Lust haben, den eigenen Lebensraum zu bewahren und dies nicht als lästige Pflicht wahrnehmen?! [...] Also, wenn man einen Schwerpunkt setzen will, dann [...] gibt es ein einziges übergreifendes Thema, und das ist der Klimaschutz“ (Interview Nr. 6).

Auch in weiterer Zukunft wird der leitende Gedanke im Tun von Eurac Research in der Verknüpfung ausgewählter globaler Dimensionen und Themen mit südtirolspezifischen Besonderheiten sichtbar werden. Auch im Interview Nr. 9 wird Eurac Research mit dem Begriff der Weltoffenheit verbunden, die nicht nur den Blick auf Themen und Problematiken der Globalisierung in Südtirol schärft, sondern insgesamt für eine aufgeschlossenere Gesellschaft in Südtirol steht: „Uno sviluppo della mentalità della popolazione in direzione intanto sempre di una maggiore apertura a quello che è la globalizzazione […] che c’è, ha certi vantaggi, ma può avere anche certi svantaggi naturalmente, perché come abbiamo visto la globalizzazione porta anche alle malattie, porta a tante cose negative, però apre la mentalità“. Wenn eine Verknüpfung mit Südtiroler Realitäten aber nicht mehr gelänge, würde die Legitimation des Ressourceneinsatzes am Standort Südtirol schwieriger werden: „Eine Eurac […] hat im Grunde eigentlich zwei notwendige Standpunkte. Das eine ist, sie braucht eine regionale Verbundenheit. […] Wichtig an der regionalen Verbundenheit ist immer, dass man im Auge hat: Was bedeutet das, außer für die Region, für die übrigen? Und dort wären meines Erachtens Entwicklungspotenziale, die man noch besser bringen könnte. […] Also wie kann man sozusagen Regional-Erkenntnisse internationalisieren“ (Interview Nr. 4).

Abbildung 4: Die Zukunft von Eurac Research. Eigene Ausarbeitung. N = 14.

Im Interview Nr. 7 wird im Gegensatz dazu durchaus Potential für einen möglichen Ausbau von Eurac Research gesehen, wenn nicht gar für weitere Institute dieses Formats im Südtiroler Wissenschaftsraum: „Ich würde aber die Gunst der Stunde auch nutzen, […] und da könnte Luxemburg Pate stehen, die wesentlich später als wir gestartet sind und im Grunde drei große Zentren geschaffen haben. Thematisch eben schön unterschieden, mehr die wirtschaftliche Seite, mehr die Gesundheitsseite und mehr die geisteswissenschaftliche Seite, wenn du so willst […] ich würde das unter dem Stichwort sagen: Südtirol würde jetzt mehrere Euracs vertragen. Mehrere Euracs hieße einfach, dass man, ohne der derzeitigen Eurac etwas zu nehmen, im Gegenteil, sondern einfach noch zwei, drei solche auf die Beine zu bringen, so dass es auch einen gesunden Wettbewerb gibt. Warum nicht?“ (Interview Nr. 7).

Eurac Research sollte auf den bisherigen Erfolgsfaktoren aufbauen, wie Abbildung 4 zu erkennen gibt: die Fähigkeit, einen hohen Anteil an drittmittelfinanzierter Forschung mittels professioneller Forschungsnetzwerke und herausragenden Projektmanagement-Kompetenzen zu generieren sowie weiterhin die außerordentliche Wichtigkeit der Mitarbeitenden ins Zentrum des Leaderships zu stellen und die internationale Zusammensetzung des Personals voranzutreiben.

„… die Internationalität in der Führungsmannschaft. Ich glaube, wir sind jetzt reif, da die interne Struktur nun stark genug ist, um den regionalen Bezug nicht zu verlieren, und wir haben auch vor allem genügend Know-How, um nicht auf falsche Propheten und auf verschiedene Blender hereinzufallen, die es international gibt“ (Interview Nr. 6).

In eine ähnliche Richtung zielt die folgende Aussage: „Il rischio che corriamo oggi, in modo particolare in Trentino, ma lo stesso può valere anche per l’Alto Adige, è la chiusura provinciale, ovvero ripiegarci su noi stessi“ (Interview Nr. 10). Es gibt bereits spezielle Werte von Eurac Research, die sich im Laufe der Entwicklung herauskristallisiert haben. Der wesentliche Faktor ist dabei: das Vertrauen. Das Leadership von Eurac Research besteht im Aufbau und Erhalt einer Vertrauenskultur. Diese ist die Voraussetzung dafür, dass man schnell auf Veränderungen reagieren, neue Themen bearbeiten und durch partnerschaftliche Zusammenarbeit auch zwischen den Forschungsbereichen und Instituten Projekte bearbeiten kann – immer unter Beachtung anerkannter Methoden und mit Fokus auf die Problemlösung.

„Es herrscht eine ausgesprochene Vertrauenskultur, dann habe ich natürlich ein Substrat, auf dem Großartiges wachsen kann. Und wenn ich das nicht habe, dann nutzt mir das Geld nichts, die großen Namen nichts und deshalb für die Zukunft, würde ich bei den Sachen den Fokus schon immer auf dies legen wollen“ (Interview Nr. 14).

Abbildung 5: Werte von Eurac Research. Eigene Ausarbeitung. N = 14.

30 Jahre Eurac Research bedeuten auch 30 Jahre Aufbau von Wissenschafts- und Forschungsinfrastruktur. Es folgten die Freie Universität Bozen, der NOI Techpark und ein Fraunhofer-Institut, die auf bereits vorhandene Einrichtungen wie das Versuchszentrum Laimburg oder die Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen trafen. Eine nun wichtiger werdende Zielrichtung ist der Aufbau eines Forschungs- und Innovationsökosystems im Sinne des Zusammenspiels der einzelnen Organisationen und Kompetenzen, ohne dass hierfür eine zentrale Führungsorganisation benötigt würde: „Ich sehe das mehr wie kleine Jets in ihren Nischen, die müssen funktionieren, natürlich, die brauchen eine kritische Masse, die brauchen Vernetzung, aber das muss nicht die Vernetzung in der Region sein, die müssen auch mit der Welt und den Besten vernetzt sein“ (Interview Nr. 14). An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass Eurac Research vor 30 Jahren als „Europäische Akademie Bozen“ gegründet wurde: „Allora, Eurac, così come l’Università e tutto il mondo culturale, dipenderà moltissimo dalla capacità di sviluppo e il processo di integrazione che avrà l’Unione Europea“ (Interview Nr. 10).

Stephan Ortner, Direktor von Eurac Research, bringt es zusammenfassend auf den Punkt: „Wo man Absprachen braucht, ist vielleicht die inhaltliche Dimension […]. Da muss es eine Strategie geben, wobei wir nie die große Strategie verfolgt haben, sozusagen unseren 10- oder 15-Jahresplan, sondern wir haben Opportunitäten genutzt. Die haben wir gleichsam am Straßenrand aufgesammelt. Und dann weitergebastelt an solchen Opportunitäten, wo wir gesehen haben, das bringt was, oder wir haben davon abgesehen, wenn wir den Eindruck hatten, das bringt nichts. Ich halte diesen pragmatischen Weg nach wie vor für den erfolgreicheren“.


Abstract

To mark Eurac Research’s 30th anniversary, the authors have identified key moments, challenges and future perspectives for the South-Tyrolean research institution by conducting 14 semi-structured interviews with the key figures, who actively shaped and experienced the emergence of Eurac Research. This contribution will provide a comprehensive overview of the historical development of the institution, distinguishing both the “Pioneer-” and “Differentiation” phases of the organization, while at the same time, allowing an insight into the lived experiences of some of its founders and key figures. The analysis, supported by GABEK®-WinRelan, provided the opportunity to focus on dynamic personal associations by analyzing relations, rather than rigid concepts, which seems more suitable for the examination of such a process of institutional development. Important for the analysis and the understanding of the institution’s development and role in the region – but also the wider European context – are its interaction with the regional scientific sector and local and European political structures. Highlighting such relationships and internal guidelines, the study concludes with challenges, chances and perspectives for the future.

LITERATUR

  • Bacon, Francis (2006). The New Atlantis. Dodo Press.

  • Geiser, Eveline (2022). Das Vertrauen in die Wissenschaft ist kein Selbstläufer. In: Neue Züricher Zeitung (NZZ), internationale Ausgabe, 25. Januar 2022, S. 13.

  • Kofler, Ingrid; Innerhofer, Elisa; Marcher, Anja; Gruber, Mirjam & Pechlaner, Harald (2020). The Future of High-skilled Workers: Regional Problems and Global Challenges. London: Palgrave McMillan.

  • Zelger, Josef (2000). Twelve Steps of GABEK WinRelan. A Procedure for Qualitative Opinion Research, Knowledge Organization and Systems Development. In: Buber, Renate & Zelger, Josef (eds.). GABEK 2. Zur qualitativen Forschung. Innsbruck: StudienVerlag, S. 205–220.