Der Tourismus muss lernen, mit Menschen in Beziehung zu treten
Wie geht es weiter mit dem Tourismus? Welche Perspektiven gibt es für die Zeit nach Corona? Darüber haben wir mit Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, anlässlich seines Vortrages zum neuen Resonanz-Tourismus bei der Online-Fachtagung der HGJ und des Center for Advanced Studies von Eurac Research gesprochen.
Herr Gatterer, laut einer aktuellen Umfrage, die während des Lockdowns im Mai und Juni unter Schülerinnen und Schülern der Landeshotelfachschulen Bruneck und Meran durchgeführt wurde, bringen Jugendliche die Zukunft des Reisens vor allem mit Themen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit in Verbindung. Wie sehr wird die Einstellung dieser jungen Generation die Branche prägen?
Harry Gatterer: Der Zeitgeist hat sich eindeutig gedreht. Die Idee des ökologisch-hedonistischen Lebens ist zur Grundhaltung dieser neuen Generation geworden und man muss begreifen, dass dieser Wandel irreversibel ist. Wer in Zukunft erfolgreich sein will, kann sich kein nicht-ökologisches Denken leisten. Sicherlich haben Greta Thunberg als Galionsfigur und auch die COVID-19-Pandemie zur Beschleunigung dessen beigetragen, was vor 30 Jahren durch Umweltorganisationen oder den Club of Rome begonnen wurde. Bei aller Bewusstseinsarbeit und dem Einsatz für Umweltthemen, muss man nun aber verstehen, dass diese Generation die Welt nicht im Kampf verändern will. Sie will nicht mehr kämpfen, sie will machen. Das ist ein gravierender Wechsel, den auch der Tourismus nicht ignorieren darf.
Und wie wird er gemacht, der Tourismus der Zukunft? In der neuesten Publikation des Zukunftsinstituts sprechen Sie vom Resonanz-Tourismus. Was genau kann man darunter verstehen?
Gatterer: Bei der Resonanz, wie sie der Soziologe Hartmut Rosa definiert, geht es darum, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Gerade im Tourismus ist das verloren gegangen. Der Mensch ist zum blinden Fleck geworden. Man hat versucht, Buchungsplattformen besser zu nutzen, eigene Plattformen zu bauen, Besucherströme zu lenken und Konzepte gegen Overtourism und Overcrowding zu finden. Den Menschen an sich konnte man vernachlässigen, denn er war ohnehin permanent als Ressource vorhanden. Zum neuen Resonanz-Tourismus gehört das Trainieren von Beziehungsfähigkeit und das beginnt nicht erst beim Gast, sondern im eigenen Haus, insbesondere im Umgang mit den Mitarbeitenden. Ich bin der Überzeugung, dass der Fachkräftemangel in gewisser Weise ein hausgemachtes Problem ist. Die meisten touristischen Betriebe sind noch immer sehr patriarchalisch organisiert. Das schafft keine Atmosphäre, in der Menschen gerne arbeiten. Der Wandel, dem wir gegenüberstehen ist kein kurzfristiger Bruch, sondern verlangt ein fundamental neues Denken und Haltungen zu den Themen Führung und Kooperation. Dem Tourismus ist außerdem die Frische abhandengekommen. Wir sollten uns fragen, woher Konzepte wie etwa Wellness kommen, die wir heute als normal empfinden und wie lange wir mit ihnen nun schon arbeiten. Man muss nicht alles über Bord werfen, aber verstehen, was es jetzt neu zu spüren gilt.
Der Wandel, dem wir gegenüberstehen, verlangt ein fundamental neues Denken in Sachen Führung und Kooperation. Wir sollten uns fragen, woher die Konzepte kommen, die wir heute als normal empfinden und wie lange wir mit ihnen nun schon arbeiten.
Harry Gatterer
Was bedeutet das für die Ausbildung junger Touristikerinnen und Touristiker?
Gatterer: Was mir auffällt, ist eine extreme Fachausrichtung, die auf Präzision und Inszenierung setzt. Das Gespür für den Menschen wird davon überlagert. Es ist die Zuspitzung einer bereits vergangenen Idee, die viele noch mit Zukunft verwechseln. Was der Tourismus wieder lernen muss, ist, mit Menschen in Beziehung zu treten. Ein befreundeter Psychologe sagte mir dazu einmal, wenn du mit einem Menschen professionell umgehen willst, musst du menschlich mit ihm umgehen. Und dazu gehört es, ein Gespür für den anderen zu entwickeln. Das ist tatsächlich etwas, das wir bei unserem Anspruch auf Funktionalität und Perfektion erst wieder erlernen müssen.
Weniger Spezialisierung also und mehr Mut, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken?
Gatterer: Ja, wobei das kein exklusives Problem des Tourismus ist. Was es braucht, sind Universalisten, die den Überblick behalten, nicht von Fachwissen verblendet und in der Lage sind, eine Sensibilität für die Situation zu entwickeln. Das beginnt schon bei der ersten Frage, die in fast jedem Hotel gestellt wird. Wie war die Anreise? Das ist ein erster Resonanzbruch, denn es ist völlig egal, wie ich angekommen bin. Wichtig ist, dass ich da bin. Es braucht im Tourismus weniger standardisierte Fragen, sondern aufrichtige Wahrnehmung.
Sie sprechen auch von einem neuen Selbstverständnis, etwa von der Plattform Airbnb, die sich nicht als touristische Anbieterin versteht, sondern als eine Plattformökonomie.
Gatterer: Man kann Airbnb durchaus kritisch sehen, aber die Gründer haben vieles richtig gemacht. Sie haben verstanden, dass dieses Klischee von Tourismus, wie wir ihn vielfach noch immer denken, tot ist. Airbnb ist eine unternehmerische Erfolgsgeschichte im Umfeld von Technologie, die nachhaltig Bestand hat. Das Problem der Touristikerinnen und Touristiker in unseren Breitengraden war, dass sie diese Entwicklung aufgrund ihrer fortwährenden Erfolge zu lange ignoriert haben. Nun ist man gezwungen eigene Wege zu finden, auch im Umgang mit der Digitalisierung. Was ich diesbezüglich beobachte, ist leider eine Art Technologiescheu, wodurch Technologie falsch bewertet und eingesetzt wird. Wir müssen lernen, mit Blockchain-Techniken umzugehen, regionale Wertschöpfungsnetzwerke zu bauen und nicht zuletzt die Resonanz vor Ort auch ins Virtuelle hineinzutragen.
Spulen wir vor ins Jahr 2050: Worauf würden Sie Wert legen, wenn Sie verreisen?
Gatterer: Nun, in den 2050er Jahren werden wir den Peak der Bevölkerungsdichte erreicht haben. Ruhe, Freiraum und nur ein Minimum an Service werden die Luxusgüter dieser Zeit sein, fern von der Reizüberflutung durch Gadgets.
Harry Gatterer
Harry Gatterer ist Geschäftsführer des Zukunftsinstituts. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Verknüpfung von gesellschaftlichen Trends mit unternehmerischen Entscheidungen. Er berät Unternehmen dabei, relevante Trends zu erkennen und zu nutzen. Sein erstes Unternehmen gründete er bereits im Alter von 20 Jahren. Mit den Erfahrungen aus der unternehmerischen Praxis kam er über das Design zur Trendforschung. Zwei Jahre war er Vorsitzender der „Jungen Wirtschaft Österreichs” mit mehr als 36.000 Mitgliedern.
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