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Religion 2.0 in pandemischen Zeiten

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Religion 2.0 in pandemischen Zeiten
App per le confessioni e messe in streaming: la religione 2.0 ai tempi della Covid-19Credit: Phillipp Reiss / epd-bild | All rights reserved

Social Distancing ist unser täglich Brot geworden. Noch nie waren wir derart von neuen Kommunikationstechnologien abhängig wie während dieser noch immer andauernden Pandemie. Die Verbreitung digitaler Angebote und Kontaktmöglichkeiten hat nunmehr eine Beschleunigung erfahren, die unter normalen Umständen wohl Jahre gebraucht hätte. Und es ist davon auszugehen, dass wir in vielen Fällen nicht zu alten Gewohnheiten zurückkehren werden. Einige Veränderungen werden wohl auch in der Zeit nach der Krise bestehen bleiben. Diese "erzwungene Digitalisierung" betrifft uns alle und durchdringt die unterschiedlichsten Aspekte unseres Lebens: von der Arbeit bis zur Schule bis hin zur Art und Weise, wie wir uns informieren und mit anderen interagieren. Und sie beeinflusst auch, wie wir unsere eigene Spiritualität und Religiosität leben.

Wir alle befinden uns derzeit in einer Phase großer Unsicherheit. Viele fürchten nicht nur um ihre eigene Gesundheit und um jene ihrer Lieben, auch die Sorge um die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die diese Krise mit sich bringt, ist groß. Unter solchen Bedingungen steigt das Bedürfnis nach Orientierung und stabilen Bezugspunkten. Manche Menschen blicken erwartungsvoll auf die Politik, um die drängenden wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Die größten Herausforderungen bewältigen aber das medizinische Personal und die Forscherinnen und Forscher, die nicht umsonst als "Helden" bezeichnet werden. Tatsächlich haben viele Menschen vollstes Vertrauen, dass die verfügbaren Impfstoffe diese Zeit der Unsicherheit bald beenden werden. Schließlich gibt es auch diejenigen, die Zuflucht in der Religion suchen, wobei sich die Bezugspunkte durchaus nicht gegenseitig ausschließen.

Digitale Religion? Science-Fiction! ... oder doch nicht?

In den ersten Wochen des Lockdowns wurde von traditionellen religiösen Praktiken und Gottesdiensten abgeraten, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Versammlungen und Pilgerfahrten wurden in einigen Fällen als Übertragungs-Hotspots identifiziert, wie etwa innerhalb der christlichen Sekte Shincheonji Church of Jesus in Südkorea, zu der etwa 2.500 Infektionen zurückverfolgt werden konnten. Sowohl orthodoxe, katholische als auch jüdische Osterfeiern fanden hinter verschlossenen Türen statt, und auch der Ramadan, eine Zeit der nächtlichen Zusammenkünfte und Feiern in der islamischen Kultur, wurden privat gefeiert.

Für viele sind Religion und Glaube von grundlegender Bedeutung für die Bewältigung der Krise. Angesichts geschlossener Gotteshäuser und Einschränkungen des täglichen Lebens waren Geistliche aller Konfessionen ermutigt, neue Wege einzuschlagen, um die Gläubigen weiterhin zu unterstützen und sie durch die Krise zu begleiten.

Spricht man über Religion und Digitalisierung, kommen den meisten wohl Live-Übertragungen von Gottesdiensten in den Sinn, dabei bietet die digitale Technologie ein viel breiteres Spektrum an Möglichkeiten, von Apps, die ihre Nutzerinnen und Nutzer mit biblischen Lesungen, Zitaten und Abendgebeten versorgen, über „Mindar“, ein Roboter in Japan, der Predigten und sogar Beerdigungen abhalten kann, bis hin zu Videospielen mit religiösem Hintergrund, bei denen sich die Spielenden moralischen Entscheidungen stellen müssen.

Ist das Internet der neue Gutenberg?

Das Zusammentreffen von Digitalisierung und religiöser Praxis wird nicht ohne Folgen bleiben, worauf Heidi Campbell, eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der digitalen Religion hinweist. So werde religiöse Praxis einerseits durch die Digitalisierung beeinflusst, nehme aber andererseits wiederum Einfluss auf die Digitalisierung selbst, womit sich eine echte Büchse der Pandora öffne. Wie unterscheidet sich eine religiöse Online-Gemeinschaft von einer physisch präsenten? Sind digitale Riten genauso authentisch wie vor Ort zelebrierte? Und vor allem: wer kontrolliert und moderiert religiöse Inhalte in der Anarchie des Internets? Es ist kein Zufall, dass der Segensroboter „BlessU-2“ pünktlich zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation vorgestellt wurde. Für die protestantische Kirche stellt die Einführung neuer Technologien eine Disruption traditioneller Systeme dar: So führte der Buchdruck im 16. Jahrhundert zur protestantischen Reformation und erschütterte die Grundfeste des Katholizismus, der sich nach dem Konzil von Trient erst erneuern musste, wodurch die sogenannte Gegenreformation entstand. Die Einführung digitaler Technologien könnte zu einer Revolution ähnlichen Ausmaßes führen, wie sie damals Gutenberg.

Digitaler Katholizismus

Maßnahmen zur Eindämmung des neuen Coronavirus haben der Digitalisierung auch im katholischen Kontext einen Schub gegeben. Einzelne Diözesen haben etwa auf virtuelle Wallfahrten, das Streaming von Messen und auf Online-Gebetsangebote für Erwachsene und Kinder umgesattelt. Aber werden diese Initiativen auch in Zeiten nach Covid-19 weiter bestehen? Papst Franziskus, der den ersten Livestream in der Geschichte des Vatikans abgehalten hat, scheint demgegenüber skeptisch. Die Kirche, die Sakramente, und auch die Menschen könne man nicht viralisieren, betonte der Papst. Die Botschaft scheint somit klar: Die zunehmende Digitalisierung ist nur ein vorübergehendes Mittel, die Phase der sozialen Distanzierung zu überbrücken, die eigentliche Kirche bleibt jedoch die physische. Dies sollte uns jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass der Katholizismus die digitale Welt ablehnt: Schon in vor-pandemischen Zeiten gab es allein in Italien Tausende von katholischen Websites, die von Pfarreien, Vereinen, Bewegungen oder sogar Privatpersonen verwaltet wurden. Auch an Apps mangelt es nicht. So gibt es etwa Dindondan, welche den Nutzerinnen und Nutzern die nächstgelegene Messe anzeigt oder Follow JC Go, einer Bibel-App, die an das bekannte Spiel „Pokémon Go“ angelehnt ist und bei dem die Spielenden aufgefordert sind, sich auf die Suche nach Heiligen und bekannten Figuren aus der Bibel zu machen. 

Eine der am häufigsten heruntergeladenen Apps ist jedoch Laudate, mit mehr als einer Million Downloads im Google Play Store. Nutzerinnen und Nutzer werden auf verschiedene Weise eingebunden: Neben der Bereitstellung von Liturgien, Gebeten (auch in Latein) und Lesungen des Tages, erlaubt es die App, eigene Gebete zu verfassen und als Favoriten zu speichern. Es gibt außerdem den Abschnitt "Beichte", in dem eine Checkliste möglicher zu beichtender Sünden erscheint. Dieses Tool - darauf weist die App auch hin - ist nicht als Ersatz, sondern als eine Art vorbereitende Einschätzung für die Beichte selbst gedacht, deren Abnahme natürlich nicht durch einen Klick erfolgen kann. Was die institutionelle Seite betrifft, so ist der Papst selbst seit Jahren in den sozialen Medien präsent. Der Vatikan hat gleich mehrere Apps im Angebot. Ein Beispiel ist Vatican.va, welche im Google Play Store mehr als 100.000 Mal heruntergeladen wurde. Die App informiert vor allem über die Aktivitäten des Papstes, zeigt Videos und Fotos.

Die wachsende Beliebtheit von parallelen Angeboten wie Laudate, scheint auf ein klares Bedürfnis der Gläubigen hinzuweisen, nicht mehr nur Rezipienten zu sein, sondern ihren Glauben aktiver und partizipativer praktizieren zu wollen.

Die Gegenreform 2.0

Der Wunsch nach Partizipation seitens der Gläubigen, die auch auf inoffiziellen Kanälen nach Werkzeugen zu suchen, um ihren Glauben zu leben, ist nicht das einzige Argument, das dafür spricht, dass die katholische Kirche auch in der Zeit nach der Corona-Pandemie digitale Angebote beibehält. Die Folgen der sozialen Distanzierung werden uns noch weit über die Pandemie hinaus begleiten, und es gibt gar einige Gläubige, die die Vorteile einer digitalen Messe gegenüber des physischen Besuchs des Gottesdienstes zu schätzen wissen. Hinzu kommt das bekannte Problem des Priestermangels: Es gibt immer weniger Priester. Viele Pfarreien bleiben "unbesetzt" oder werden Priestern anvertraut, die bereits in mehreren Pfarreien tätig sind. Der stete Kontakt zu den Gläubigen wird dadurch schwerer. Junge Menschen sind wieder ein eigenes Kapitel: Sie zu erreichen und ihre Beteiligung in der Kirchengemeinschaft zu fördern, ist eine der größten Herausforderungen für die Zukunft der Kirche.

Könnte diese "Zwangsdigitalisierung" also anstatt eines zu ertragenden, aber notwendigen Übels gar eine Chance für die gesamte Kirche darstellen? Eine Chance, sich zu erneuern und neue Ansätze zu finden, um die Gläubigen von morgen anzusprechen und sie aktiver einzubinden? Ein Morgen, in dem digitale Angebote die physischen Riten nicht verdrängen, sondern ergänzen und parallel genutzt werden können? Kurzum, vielleicht ist das, was wir soeben erleben eine Gegenreformation 2.0, denn, wie bereits Giuseppe Tomasi di Lampedusa sagte: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert." 

Übersetzt von Valeria von Miller

Giulia Isetti

Giulia Isetti

Giulia Isetti wuchs in Genua, Ligurien, auf. Sie studierte Klassische Philologie an mehreren Universitäten in Italien, Deutschland und England und promovierte 2013 in Altgriechisch. Nach einem weiterführenden Studium der Betriebswirtschaftslehre und einigen Berufserfahrungen im Ausland (Deutschland und Belgien), lebt sie seit 2017 in Bozen, wo sie als Senior Researcher am Center for Advanced Studies von Eurac Research arbeitet. Ihre Forschungsthemen erstrecken sich über verschiedene Bereiche, mit besonderem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit, Resilienz, Religion und Digitalisierung.

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Citation

https://doi.org/10.57708/b6601068
Isetti, G. App per le confessioni e messe in streaming: la religione 2.0 ai tempi della Covid-19. https://doi.org/10.57708/B6601068

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