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Zwischen zwei Welten: Die Erfahrung iranischer MigrantInnen in Südtirol

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Zwischen zwei Welten: Die Erfahrung iranischer MigrantInnen in Südtirol
Praised for their skills and resilience, yet often stigmatized and overlooked – the experience of Iranian migrants in South Tyrol is changing.Credit: Esmaeli Unsplash | All rights reserved

Einerseits für ihre Fähigkeiten und Ausdauer gelobt und andererseits stigmatisiert und ignoriert – die Erfahrungen iranischer MigrantInnen in Südtirol befindet sich in einem Wandel. Während sich die älteren Generationen an ein freundlicheres Umfeld erinnern, wirkt sich die zunehmende einwanderungsfeindliche Stimmung der letzten Jahre negativ auf die jüngeren Generationen aus.

Es ist November 2022, und ich stehe im Regen, umgeben von einer Gruppe schwarz gekleideter Menschen. Bunte kurdische und iranische Flaggen wehen im Wind, während aus den Lautsprechern neben mir Musik dröhnt. Die Menschen um mich herum sprechen leise auf Farsi, als plötzlich eine junge Frau auftaucht und dem Mann, der neben ihr in der Menge steht, das Megaphon aus der Hand nimmt. Es knistert kurz, bevor ihre kräftige Stimme den Platz erfüllt: „Am 13. September 2022 wurde Jina Mahsa Amini, eine 22-jährige Kurdin aus Saqqez, in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet - angeblich, weil sie ihren Hijab nicht 'richtig' getragen hat. Kurz nach ihrer Verhaftung wurde sie ermordet...“. Zwei Mädchen hinter mir beginnen zu rufen: „Zan, Zendegi, Azadi - Frauen, Leben, Freiheit!“ Ich schaue mich um und bin überrascht, wie viele Menschen sich diesem Protest angeschlossen haben. Und noch mehr darüber, wie sehr die iranische Gemeinschaft in Südtirol in den letzten Jahren gewachsen ist.

Der Aufbruch: Eine Geschichte der Revolution und des Widerstands

Nach der iranischen Revolution von 1979 verließen viele IranerInnen ihr Heimatland und wanderten nach Europa aus. Die Revolution, geprägt von starken Protesten, führte zum Sturz des Schahs Mohammed Reza Pahlavi, dessen Herrschaft zu dieser Zeit als autoritär, korrupt und stark von westlichen Mächten (insbesondere den Vereinigten Staaten) beeinflusst galt. Dies führte schließlich zur Gründung der Islamischen Republik und machte einen Großteil der Modernisierungs- und Säkularisierungsbemühungen des vorherigen Regimes zunichte.

Jetzt, viele Jahrzehnte später, erleben wir einen neuen Anstieg der Auswanderung aus dem Iran – ausgelöst nicht nur durch den Tod von Mahsa Amini, sondern auch durch den allgemeinen Kampf für soziale Freiheit, wirtschaftlicher Stabilität und politischer Reform. Saeid Moidfar, Vorsitzende der Iranian Sociological Association, stellte kürzlich fest, dass der Iran am Rande einer großen Auswanderungswelle steht. Neben dem repressiven Regime und der frauenrechtswidrigen Lage haben die Auswirkungen der langjährigen Sanktionen, die zunehmende Korruption und die steigende Kriminalität die gesellschaftlichen Bedingungen verschlechtert und die jüngere Generation dazu veranlasst, anderswo nach Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zu suchen.

Neue Bevölkerungsstrukturen und wachsende Herausforderungen

Mit dem jüngsten Anstieg der Zuwanderung ist die AusländerInnenfeindlichkeit wieder zu einem wichtigen Thema geworden, das oft von rechtsextremen Populisten angeheizt wird – wie wir am Beispiel Italiens beobachten können. Interessanterweise hat sich Südtirol als autonome Provinz lange Zeit nicht aktiv an der Diskussion über Migration beteiligt. Die meisten MigrantInnen haben sich in der Vergangenheit in Bozen und Meran niedergelassen, die beide eine größere italienischsprachige Bevölkerung haben. Dies führte zu der Auffassung, dass Migration in erster Linie ein „italienisches Phänomen“ sei. In den letzten Jahren hat die Zahl der MigrantInnen in der Region jedoch zugenommen. Diese Verschiebung ist in den Bevölkerungsdaten sichtbar: 8,9 % der EinwohnerInnen Südtirols sind heute ausländischer Herkunft, was leicht über dem italienischen Durchschnitt von 8,3 % liegt.

Trotzdem zeigt Südtirol bis in die späten 2000er Jahre nur geringes Interesse an der Förderung von Integrationsmaßnahmen. Zwar wurden einige Institutionen zur Förderung der Integration geschaffen, doch die tatsächliche Umsetzung blieb schwierig. Die Südtiroler Volkspartei zum Beispiel bezeichnete Integrationsmaßnahmen als „unwichtig“, was dazu führte, dass es an konkreten Strategien und Maßnahmen mangelte.

Die Ankunft: Zwischen Integration und Isolation

Dieser Mangel wird auch durch die persönlichen Erfahrungen einiger iranischer MigrantInnen deutlich, welche gegen Ende der 1990er Jahre nach Südtirol eingewandert sind. Damals sahen die meisten IranerInnen Südtirol als Zwischenstation auf ihrer Reise nach Deutschland, Österreich oder ins Ausland. „In dieser Zeit gab es nur wenige Menschen in der iranischen Gemeinschaft, und selbst diese wenigen hielten sich eher im Verborgenen. Es war nicht so wie heute, wo Touristen und Einwanderer aus politischen oder sozialen Gründen kommen.“ Während nach der ersten Migrationsbewegung in den 90ern, wo noch 90 % der Studierenden planten, nach Abschluss ihres Studiums in ihr Heimatland zurückzukehren, verfolgen heute nur 10 % diesen Plan. Die iranische Gemeinschaft in Südtirol ist seitdem deutlich gewachsen. 2021 ließen sich 339 iranische MigrantInnen in Südtirol nieder, während sich 2022 ein leichter Anstieg auf 374 MigrantInnen erkennen lässt.

Bei ihrer Ankunft in den 90er Jahren berichteten einige iranische MigrantInnen im Nachhinein über Schwierigkeiten bei der Anerkennung vorheriger Ausbildungen oder Qualifikationen, was den Zugang zu Universitäten und Arbeitsplätzen erschwert. Auch das Erlangen der italienischen Staatsbürgerschaft wird als „problematisch und kompliziert“ beschrieben, wobei betont wird, dass die Unterstützung der Einheimischen notwendig gewesen sei, um den Prozess zu beschleunigen. „Die Einheimischen, mit denen ich gesprochen habe, waren verwundert, dass jemand wie ich, der hier lebt, die Sprache spricht und seit vielen Jahren Vollzeit arbeitet, nicht in der Lage ist, die italienische Staatsbürgerschaft zu erhalten“. Trotzdem wird die Südtiroler Gesellschaft, zu dieser Zeit, als „offen“ und „an der iranischen Kultur interessiert“ beschrieben. Dabei wird zwar hervorgehoben, dass die deutschsprachige Gemeinschaft – im Vergleich zur italienischsprachigen – etwas reserviert wirkte, aber insgesamt eine positive Stimmung herrschte. „Wir waren nicht mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert, mit denen ausländische Personen heute zu kämpfen haben, und viele meiner iranischen Freunde würden dem zustimmen. Die Gesellschaft war damals viel aufgeschlossener, und ich persönlich fühlte mich von Anfang an willkommen“.

Die Erfahrungen jüngerer iranischer MigrantInnen zeigen gegenwärtig ein ganz anderes Bild auf. Die Schwierigkeit, eine italienische Staatsbürgerschaft zu erhalten, wird immer noch als große Herausforderung beschrieben. „IranerInnen ziehen meist nur aus diesen Gründen um, nicht weil ihnen das Leben hier nicht gefällt.“ Zwar ist der Zugang zu den Universitäten jetzt viel einfacher geworden – und IranerInnen werden häufig für ihre „akademische Exzellenz und ihren Fleiß“ gelobt – aber diese Anerkennung hat auch ihre Schattenseiten. „Solange die Menschen Mitleid mit dir haben und dich nicht als Bedrohung ansehen, weil du akademische Erfolge erzielst, ist alles in Ordnung. Aber sobald du in etwas besser bist, gibt es die ersten Herausforderungen. Aber ich denke, man lernt einfach, mit solchen Situationen umzugehen.“

Die Integration in die Südtiroler Gesellschaft ist, basierend auf den Erfahrungen der iranischen MigrantInnen, die in den 90er Jahren in die Provinz kamen, viel schwieriger geworden. Die Einheimischen mögen anfangs aufgeschlossen und gastfreundlich erscheinen, aber ihre Einstellung zur Migration wird oft als ambivalent beschrieben. Trotz aufrichtiger Neugier für persische Traditionen und Mitgefühl, wenn über den Kampf für weibliche Selbstbestimmung und Frauenrechte gesprochen wird, berichten einige IranerInnen, dass sie sich „ausgeschlossen und stigmatisiert“ fühlen, wenn sie über ihr Heimatland sprechen. „Die eigentliche Frage lautet: Wenn die Gesellschaft wirklich so offen und interessiert an anderen Kulturen ist, wie sie anfänglich scheint, warum verschließen sich die Leute dann, wenn es um das Thema Einwanderung geht? Meiner Erfahrung nach neigen MigrantInnen in Bozen daher dazu, in ihrer eigenen Gemeinschaft zu bleiben. Es ist bedauerlich, dass sie sich in einer so freundlichen Stadt ausschließlich in ihren eigenen Kreisen aufhalten.“

Integrationsmaßnahmen in Südtirol: Fortschritt oder Rückschlag?

Die geschilderten Erfahrungsberichte deuten darauf hin, dass sich die Art und Weise, wie iranische MigrantInnen in Südtirol wahrgenommen werden, verändert hat. Während die früheren Generationen betonten, dass sie sich von Anfang an willkommen und als Teil der Südtiroler Gemeinschaft gefühlt haben, hat sich die gesellschaftliche Stimmung in letzter Zeit verändert. Trotz allgemeiner Verbesserungen, wenn es zur Anerkennung von früheren Ausbildungen und Qualifikationen – und damit zum Zugang zu lokalen Universitäten – kommt fühlen sich iranische MigrantInnen viel stärker als früher auf gesellschaftlichem Level ausgeschlossen und stigmatisiert. Obwohl die Diskussionen über bessere Integrationsstrategien lauter geworden sind, liegt noch ein langer Weg vor uns. Die Darstellung von MigrantInnen in den Medien hat zu einer Polarisierung geführt und die öffentliche Meinung beeinflusst. Da Südtirols Gesellschaft immer vielfältiger wird und die iranische Gemeinschaft wächst, ist es wichtig, die Perspektiven der von diesen Veränderung Betroffenen zu berücksichtigen und effektive Integrationsstrategien zu verfolgen.

Yasmin Bagheri

Yasmin Bagheri

Yasmin Bagheri is studying Law and Politics of Global Security at Vrije Universiteit Amsterdam, with a particular interest in Middle Eastern politics, securitization, and migration. During the summer of 2024, she interned at the Center for Migration and Diversity at Eurac Research, engaging in research on local challenges related to migration policies.

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Citation

https://doi.org/10.57708/bui4a81tbsv2zn4wlhfgqgq
Bagheri, Y. Between two worlds: The changing experience of Iranian migrants in South Tyrol. https://doi.org/10.57708/BUI4A81TBSV2ZN4WLHFGQGQ
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