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Anbau und Verarbeitung der Palabirne

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Anbau und Verarbeitung der Palabirne
Birnen mit Charakter: Herbst im Oberen Vinschgau Credit: Gianni Bodini | All rights reserved

Bis zu 20 Meter hoch und teils mehrere Jahrhunderte alt sind die Birnbäume, die man im Oberen Vinschgau noch in einer größeren Dichte und Vielzahl finden kann. Einst selbstverständlicher Teil des Alltags der Menschen, ist die Birne inzwischen vom Verschwinden bedroht. Ich fahre nach Glurns, dem ‚Epizentrum‘ der Palabirne, um mit Petra und Elmar vom Glurnser Palabira-Komitee über die Perspektiven für die alte Birnenrarität zu sprechen.

Petra, Elmar, ihr seid amtierende Vorsitzende und Präsident des Glurnser Palabira-Komitees. Bitte erzählt uns doch kurz etwas über eure Arbeit.

Das Palabirn-Komitee gibt es seit 2007. Damals gab die Stadt Glurns eine Erfassung ihrer Palabirnbäume in Auftrag. 142 Bäume wurden erfasst, und nicht nur das: Ein Baumsachverständiger ermittelte auch den Zustand der Einzelbäume und welche Maßnahmen theoretisch erforderlich wären, um sie zu erhalten. Wir hatten einfach das Gefühl, dass wir etwas für die Palabirne und gegen den fortschreitenden Verlust der Palabirnbäume im Oberen Vinschgau unternehmen müssen. Aktuell haben wir sieben Mitglieder, alle sind ehrenamtlich tätig. Seit 2008 organisieren wir zusammen mit dem Bildungsausschuss Glurns jährlich im September die Palabiratage, die inzwischen über die Grenzen Südtirols hinaus bekannt sind und viele Gäste anziehen.

Mit unseren Aktivitäten möchten wir Bewusstsein schaffen für diese jahrhundertealte Birnensorte und verbesserte Möglichkeiten schaffen für ihre Vermarktung. Anlässlich der Palabiratage haben wir ein Programm mit der örtlichen Gastronomie auf die Beine gestellt, die in dieser Zeit viele besondere und kreative Rezepte mit der Palabirne anbietet. Es wäre wunderbar, wenn die alten Bäume gepflegt und neue gepflanzt werden würden!

„Mit unseren Aktivitäten möchten wir Bewusstsein schaffen für diese jahrhundertealte Birnensorte und verbesserte Möglichkeiten schaffen für ihre Vermarktung. Es wäre wunderbar, wenn die alten Bäume gepflegt und neue gepflanzt werden würden. Der Vinschgau ohne Palabirnbäume ist für uns schlichtweg nicht vorstellbar!“

Elmar Prieth & Petra Windegger, Glurns

Und warum engagiert ihr euch für die Palabirne? Was ist euer persönlicher Antrieb, eure Motivation?

Die Palabirnbäume sind Teil unserer Identität. Insofern stimmt es schon: Was den Laasern die Marille, ist für uns Glurnser die Palabirne. Die alten Hochstammbäume sind einfach wunderschön. Als Einzelbäume, aber auch im Verbund in einer Streuobstwiese. Und von großer Wichtigkeit für die Biodiversität. So ein alter Hochstammbaum beherbergt ja eine große Vielzahl an Arten. Wenn du im Oberen Vinschgau unterwegs bist, begegnen dir diese Bäume noch immer recht häufig. Oft sind sie landschaftsprägend. Sie erzählen Geschichten aus einer Zeit, in der im Vinschgau noch eine andere Form des Obstanbaus als heute betrieben wurde. Für uns sind mit diesen Bäumen Kindheitserinnerungen verbunden. Es ist für uns jedes Jahr aufs Neue ein Fest, im September eine saftige, reife, zuckersüße Palabirne frisch vom Baum zu genießen, oder auch die alten Palabirn-Rezepte zu kochen, die in unseren Familien seit Generationen weitervererbt werden. Inzwischen ist ja auch wissenschaftlich belegt, was man bei uns schon seit Jahrhunderten weiß: Die Palabirne steckt voller gesunder Inhaltsstoffe. Der Vinschgau ohne Palabirnbäume ist für uns schlichtweg nicht vorstellbar!

In voller Pracht: Palabirnen-Baumschönheit im Oberen Vinschgau Credit: Ricarda Schmidt | All rights reserved

Wie beurteilt ihr die aktuelle Situation des Palabirnanbaus und ihre Zukunftsaussichten?

Früher war die Palabirne bei uns ein Grundnahrungsmittel. Das Mehl, das aus den getrockneten Birnen hergestellt wurde, diente unter anderem als Ersatz für Zucker. Diese Zeiten sind lange vorbei. Heute bewegen wir uns in einem Spannungsfeld zwischen ausbleibender Pflege, was häufig kostenbedingt ist, und der identitätsstiftenden Rolle der Birnbäume im Oberen Vinschgau. Für Pflege und Ernte bedarf es theoretisch einer Hebebühne – die Loan verwenden heute nur noch wenige. Es ist nämlich nicht ganz ungefährlich, auf so eine schmale Einholmleiter in schwindelerregende Höhe zu klettern. Aber so eine Hebebühne kostet ganz schön viel Geld. Und man muss sich gut organisieren. Zur Erntezeit, die nur wenige Wochen im Jahr dauert, brauchen im Prinzip alle zur gleichen Zeit eine Hebebühne. Bis man einen der großen Hochstammbäume abgeerntet hat – das dauert! Viel mehr als drei bis vier große Bäume schafft man nicht pro Tag. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass die Birne nicht lagerfähig ist und sehr schnell verarbeitet werden muss. Schwer getroffen hat uns auch die Corona-Pandemie. 2020 mussten wir die Palabiratage ganz absagen, 2021 konnten wir sie immerhin in verkleinertem Format durchführen. Inzwischen sind wir dankbar für alles, was sich realisieren lässt!

Hüter der Vielfalt Elmar Prieth

Hüterin der Vielfalt: Petra Windegger, Glurns

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer Serie zur Ausstellung "Hüter der Vielfalt". Diese wird im Rahmen des Interreg Italien-Schweiz-Projekts „Living Intangible Cultural Heritage“ unter der Leitung von Eurac Research realisiert. Es handelt sich um eine Wanderausstellung, die vom 15. Juli bis 14. Oktober 2022 im Vinschgau und der Val Mustair stattfindet. Projektpartner sind die Region Lombardei, die Region Aostatal und Polo Poschiavo.

Die Wanderausstellung wird an folgenden Orten gezeigt:

  • 15.–31. Juli 2022: Karthaus, Kreuzgang der Kartause Allerengelberg
  • 06.-07. August 2022: auf dem Festival „Marmor und Marillen" in Laas
  • 03.–18. September 2022: auf den Palabiratagen in Glurns
  • 02.–14. Oktober 2022: auf dem Erntedankfest und in der Chasa Jaura in Valchava
Ricarda Schmidt

Ricarda Schmidt

Ricarda Schmidt arbeitet am Institut für Regionalentwicklung zur großen Vielfalt der Thematik ‚Lebendiges Kulturerbe‘.

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Citation

https://doi.org/10.57708/b122238847
Schmidt, R. Coltivazione e lavorazione della pera Pala: sapere, valori e pratiche. https://doi.org/10.57708/B122238847

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