Die Zukunft des alpinen Wintertourismus: Allianzen der Sehnsucht schmieden?
Eine Reihe von deutschsprachigen Medien hat sich letzthin wieder verstärkt auf den alpinen Wintertourismus eingeschossen. Anlass dafür ist der wetterbedingt etwas schwierige Saisonstart in den Alpen. Dem Postulat der Aktualität folgend und vom Kurzzeitgedächtnis des Informationskonsumenten getrieben wird schnell (aber meistens unzulässig) von Wetterphänomenen auf klimatische Entwicklungen geschlossen. Um auf den Aufmerksamkeitsmärkten zu punkten, wird bisweilen sogar das unmittelbar bevorstehende Ende des Wintertourismus herbeigeschrieben.
Bei unaufgeregter und distanzierter Betrachtung leuchtet ein, dass traditionelle Formen des Wintertourismus weder morgen noch übermorgen untergehen werden. Es leuchtet aber genauso ein, dass der Wintertourismus einigen signifikanten Herausforderungen zu begegnen hat. Die drei größten sind wohl: (1) demographische und migratorische Entwicklungen wie Tendenzen der Alterung und Verstädterung; (2) wachsende wirtschaftliche Zwänge, welchen Gäste und Anbieter ausgesetzt sind; und (3) die mittel- bis langfristig wirksamen Prozesse des Klimawandels, welcher zu steigenden Temperaturen und kürzerer natürlicher Schneebedeckung in tiefen Lagen führt.
Wenn wir angesichts dieser Herausforderungen die Gestaltungsspielräume der Akteure des alpinen Wintertourismus in den Blick nehmen, stellt sich die Frage: Was können wir tun? Oder fatalistischer formuliert: Können wir überhaupt etwas tun oder sind wir den genannten Entwicklungen, welche vor allem exogene Rahmenbedingungen betreffen, hilflos ausgeliefert?
In stürmischen Situationen, wo sich wie im Falle des Wintertourismus ein relevanter Teil der Erfolgsfaktoren der direkten Kontrolle entzieht, tut man meistens gut daran, auf zwei Ebenen zu agieren: Zum einen kurzfristige Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Rahmenbedingungen zu zeigen und zum anderen ein einigermaßen stabiles („resilientes“) Grundgerüst zu bauen, das von diesen Rahmenbedingungen ein Stück weit unabhängig ist. Letzteres bedeutet für den alpinen Wintertourismus, dass es zunehmend auch darum gehen wird, in das Hintergrundrauschen zu investieren – in ein Hintergrundrauschen, das von demographischen, wirtschaftlichen und klimatischen Entwicklungen teilweise unabhängig ist und unabhängig macht.
Konkreter: Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Menschen in Städten. Ausgehend von der sich abzeichnenden Tendenz, dass diese Verstädterung weiter zunehmen wird, werden zukünftig diejenigen Angebote Erfolg haben, welche die Sehnsüchte der wachsenden Zahl von Städtern bedienen und gestalten. Im Klartext: Der alpine Wintertourismus muss in die Stadt. Der Berg wandert in die City. Damit sind aber nicht notwendigerweise Ski- oder Langlauf-Wettkämpfe vor städtischer Kulisse gemeint. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass „Winter“ und „Berg“ auch morgen und insbesondere im städtischen Umfeld als hipp und angesagt wahrgenommen werden. Alpinen Lebensstil gilt es in allen Facetten zu zelebrieren, sowohl direkt am Berg (das ist die Basis!) als auch in stadtaffinen Formaten. Wenn wir Alpenbewohner es schaffen, eine Sehnsucht nach den Erlebnissen „Winter“ und „Berg“ in den Städten zu pflegen und zu befeuern, können wir uns von den genannten Herausforderungen möglicherweise sogar ein Stück weit immunisieren. Sie können uns in keinem Fall egal sein, aber gelassener angehen können wir sie dann allemal.
Wahrscheinlich tun wir langfristig gut daran, in das Grundrauschen im Sinne einer Pflege der Sehnsucht nach unseren Lebensräumen zu investieren. Denn wenn die Grundnachfrage danach bestehen bleibt oder möglicherweise sogar wächst, wird es selbst für die scheinbar größten Herausforderungen Anpassungsspielräume geben. Wenn aber die Begehrlichkeit des Lebens- und Freizeitraumes Berges insgesamt zusammenbricht, wenn langfristig die „Stadt“ oder auch das „Kreuzfahrtschiff“ als Sehnsuchtsorte die Nase vorn haben, dann werden sich die genannten Herausforderungen sowieso erübrigen. Dann werden wir nicht nur keine Anpassungsspielräume haben, wir werden sie schlicht auch nicht mehr brauchen.
Die Pflege der Sehnsucht nach Berg- und Wintererlebnissen in der Stadt ist eine gemeinschaftliche Aufgabe aller alpinen touristischen Anbieter. Zum Teil reicht diese gemeinschaftliche Aufgabe sogar über die Grenzen des Tourismus hinaus. Sie betrifft die gesamte touristische Wertschöpfungskette, von der Tourismusorganisation bis zur Seilbahn, vom Hotel bis zu industriellen Herstellern alpiner Technologien. Eine ganz besondere Aufgabe kommt all jenen Anbietern zu, die einen direkten Anknüpfungspunkt für alpine Lebensstile in den Städten schaffen können, wie etwa der Bekleidungs- und Modebranche. Die Notwendigkeit und Möglichkeit zur Kooperation ist aber auch geographisch zu dehnen: Sie besteht zumindest über den ganzen Alpenraum hinweg. Vor lauter Differenzierungsmanie im Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn („den ersten Konkurrenten“) fällt es manchmal schwer, gemeinsame alpine Interessen zu entdecken oder gar zu verfolgen. Das Schmieden alpin-urbaner Allianzen im Sinne einer Sehnsuchtspartnerschaft wäre so eine gemeinsame Aufgabe alpiner Akteure. Hier geht es nicht um Innsbruck gegen Bozen, um Trentino gegen Südtirol, um Dolomiti Superski gegen Ski Amadé oder um Leitner gegen Doppelmayr – hier geht es einfach darum, den Berg gegenüber alternativen Freizeiträumen zu Wasser und zu Land attraktiv zu halten.
Wenn uns das gelingt, dann können wir durchaus zuversichtlich sein, dass wir auch für die kurzfristigen Herausforderungen des Wintertourismus heute wie morgen Antworten finden und möglicherweise auch Ergänzungen und Alternativen vor Ort entwickeln werden können.
Autor: Michael Volgger
Links zum Thema
- Medienbericht zu schwierigem Saisonstart Winter 2015 (DE)
- Medienbericht zu schwierigem Saisonstart Winter 2015 (AT)
- Skisport wird zum Luxus – Interview mit Gunther Aigner auf zeit.de
- Preisentwicklung Skimarkt – Interview mit Harald Pechlander wienerzeitung.at
- Krise im Wintertourismus
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