Ein guter Ort zum Leben – Herr und Frau Südtiroler/in bewerten die Lebensqualität in ihren Dörfern
Was trägt zur Lebensqualität und Attraktivität der Südtiroler Dörfer bei? Was kann verbessert werden, damit die DorfbewohnerInnen auch in Zukunft gerne dort leben? Das Eurac Research Institut für Regionalentwicklung befragte im Spätsommer 2017 500 BewohnerInnen des ländlichen Raums in Südtirol, um diese Fragen zu beantworten. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Plattform Land durchgeführt. Zudem beantworteten fünfzehn ExpertInnen aus der Gemeindeverwaltung, den Bezirksgemeinschaften und Verbänden Fragen zur Arbeits- und Lebenssituation in den Südtiroler Dörfern.
Die Ergebnisse der Studie geben ein eindeutiges Stimmungsbild über die Lebensqualität und Attraktivität der Südtiroler Dörfer
Die Kriterien „Landschaft/Naturnähe/Umgebung“ und „öffentliche Verkehrsanbindung“ sind für die meisten TeilnehmerInnen der Befragung ausschlaggebend für eine hohe Lebensqualität. Der öffentliche Verkehr hat sich demnach in den letzten 10 Jahren sogar verbessert. Über zwei Drittel der Befragten bewerteten die Lebensqualität aufgrund der Nähe zum Arbeitsplatz als gut bzw. sehr gut. Wenn man bedenkt, dass dieses Kriterium ein großer Grund für die Abwanderung junger Leute in Ballungszentren ist, so ist dieses Ergebnis durchaus positiv. Interessant wäre in dieser Hinsicht, ob der Bevölkerungsanteil mit hohem Bildungsabschluss die Arbeitssituation auf dem Land ähnlich gut bewertet. Insgesamt bewerten die Frauen die Lebensqualität im Allgemeinen etwas schlechter als die Männer. Weniger zufrieden sind die Südtiroler DorfbewohnerInnen mit dem Angebot für Jugendliche. Doch welche Angebote und wie viele davon könnten den ländlichen Raum für Südtiroler Jugendliche attraktiver und lebenswerter machen? Ein Experte stellte uns auf diese Frage eine Gegenfrage: „Manchmal frage ich mich, was wollen die Jugendlichen überhaupt?“. In seiner Gemeinde werden die Jugendlichen bereits aktiv in die Entscheidungsprozesse einbezogen – ihre Wünsche werden von den EntscheidungsträgerInnen berücksichtigt. Auch weitere ExpertInnen sind der Meinung, dass die BewohnerInnen generell aktiver sein und auch Dinge selbst in die Hand nehmen sollten. Aufgabe der Gemeinde ist es, hierfür die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Die zu hohen Wohnpreise, die jede/r vierte BewohnerIn beklagt, begründen die ExpertInnen nicht allein in der Preisbildung aufgrund von Angebot und Nachfrage. Zum Teil hätte die Bevölkerung einfach zu hohe Ansprüche an die Standards und die Ausstattung der Wohnungen. Es lasse sich aber nicht abstreiten, dass sich die Kosten für Wohnungen v.a. in attraktiven Gemeinden in den letzten zehn Jahren, bei vergleichsweise nicht so stark gestiegenem Einkommensniveau, erhöht haben. Immerhin gaben das über die Hälfte der Befragten an.
Notwendigkeit der Kooperation zwischen Dörfern und deren AkteurInnen
Über die Hälfte der Befragten stehen Kooperationen zwischen den Gemeinden in verschiedenen Bereichen, wie z.B. Tourismus oder Grundversorgung, offen gegenüber. Es ließen sich daraus aber keine praktikablen Lösungsansätze ableiten, wie diese gestaltet werden könnten. ExpertInnen betonen die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Dörfern, aber auch innerhalb eines Dorfes zwischen den Sektoren Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Gesundheitswesen, um die Entwicklung der Dörfer im Sinne aller Einwohner attraktiv zu gestalten. Dienste der Daseinsvorsorge sollten auch nach einer administrativen Zusammenlegung in wenigen Minuten mit dem Auto erreichbar sein und für jedes Dorf gewährleistet werden. Bei Kooperationen ist es laut ExpertInnen allgemein enorm wichtig, dass u.a. alle betroffenen AkteurInnen professionell zusammengeführt und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Damit können Kooperationen zukunftsfähig gemacht werden, Konflikt- und Konkurrenzsituationen können vermieden werden.
Tourismus – Chance oder Risiko?
Knapp ein Drittel der befragten Bevölkerung sehen im Ausbau des Tourismus noch Potenzial für die Entwicklung des ländlichen Raums. „Beim Ausbau des Tourismus sind die Grenzen nach oben offen“, so der Präsident einer der Bezirksgemeinschaften Südtirols. Andere ExpertInnen hingegen warnen vor einer weiteren Ausbreitung des Massentourismus, der in einigen Dörfern bereits die Schmerzgrenze für die BewohnerInnen erreicht hat. Tourismus brachte und bringt einerseits den von vielen erwünschten Wohlstand und Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Andererseits schnellen die Wohnpreise durch die hohe Nachfrage nach Wohnungen, verursacht durch die vielen Arbeitskräfte im Tourismus, in die Höhe und die Verkehrssituation ist in der Hochsaison teilweise unerträglich. Natürlich ist die Tourismuslandschaft in Südtirol sehr heterogen, weshalb die Problematiken, die der Tourismus für die ganzjährig Ansässigen mit sich bringen kann, nicht in allen Dörfern anzutreffen sind. Die Meinungen zu diesem Thema gehen in Südtirol, wie es auch die Aussagen der interviewten ExpertInnen beweisen, weit auseinander. Allgemein kann es jedoch nur zukunftsweisend sein, für eine nachhaltige Entwicklung der Südtiroler Dörfer die Bedürfnisse aller EinwohnerInnen zu berücksichtigen und in die Entwicklung unterschiedlicher Wirtschaftssektoren eines Dorfes zu investieren.
Vereinswesen und Zusammenhalt im Dorf – nach wie vor das Um und Auf
ExpertInnen hoben die nach wie vor die hohe Anzahl an ehrenamtlich Tätigen und den guten Zusammenhalt in den Dörfern hervor. Das Vereinswesen und die Nachbarschaftshilfe leisten einen hohen Beitrag zur Lebensqualität und seien auch weiterhin notwendig, damit der Zugang zu den Diensten der Daseinsvorsorge und die Attraktivität der Südtiroler Dörfer erhalten bleiben. Zahlreiche Dienstleistungen werden heute nur durch den freiwilligen Einsatz der BürgerInnen und ihr Engagement für die Gemeinschaft gewährleistet. „Wenn du Mitglied in einem Verein bist, dann hast du einen größeren Freundeskreis, du bist besser eingebunden in das Dorfleben, da fühlst du dich einfach wohl“, so der Kommentar eines Bezirksgemeinschafts-Präsidenten. In Südtirol scheinen die Trends Individualisierung, Freiheitsdrang, steigender Leistungsdruck im Beruf, usw. das traditionelle Vereinswesen noch nicht zu gefährden. Interessante Fragen in diesem Zusammenhang sind, welche Faktoren für das intakte Vereinswesen im ländlichen Raum Südtirols verantwortlich sind und welche Voraussetzungen notwendig sind, damit die DorfbewohnerInnen auch in Zukunft noch das Interesse und die zeitlichen Ressourcen für das ehrenamtliche Engagement aufbringen können.
Autoren: Verena Gramm, Sophia Dellantonio
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