Kräuterwissen: Sammeln, Anbau und Verarbeitung von Wildkräutern
Das Sammeln und Verarbeiten von Wildkräutern gehört zu den ältesten Praktiken der Menschheitsgeschichte. Belege hierfür finden sich weltweit in allen Kulturen. Dabei dienen die gesammelten Pflanzen sowohl als Nahrungsgrundlage als auch zur Behandlung von Krankheiten.
Über Jahrhunderte waren das Sammeln, der Anbau und das Verarbeiten von Kräutern vor allem Sache der Frauen. Die Wirksamkeit vieler dieser Kräuter ist heute allgemein anerkannt. Bis heute wird das Wissen innerhalb einzelner Familien weitergegeben, aber auch in spezifischen Lehrgängen, Kursen und Workshops, die allen Interessierten offenstehen.
Martha, als Kräuterfrau pflegst und bewahrst Du ein jahrtausendealtes Kulturerbe. Was ist Deine persönliche Geschichte? Wie bist Du zum Kräuteranbau gekommen und was bedeutet diese Tätigkeit für Dich?
Ich koche leidenschaftlich gerne und war viele Jahre in der Gastronomie tätig. Schon damals habe ich beim Kochen auf vielfältige und kreative Weise Kräuter verwendet. Ich hatte immer einen Garten. Mit den Gästen bin ich oft in die Natur gegangen. Schon meine Mutter hat Kräuter gesammelt, Kamillen, Malven, Hagebutten oder Kümmel. Ich habe einen engen Bezug zur Natur. Kräuter anzubauen und zu verarbeiten, bedeutet mir sehr viel. Nicht zuletzt geben sie mir eine gewisse Selbstständigkeit bei der Behandlung von Krankheiten, auch von Allergien. Ich sehe die Kräuter und die Arbeit damit als ein großes Geschenk und eine große persönliche Bereicherung an.
Du hast einen großen Garten, in dem Du Deine Kräuter kultivierst. Magst Du uns hierüber etwas erzählen?
Mein Bruder hat den Garten vor 7 Jahren angelegt. Da er an einem steilen Hang liegt, erstreckt er sich über mehrere Terrassen. Wir sind hier in Martell auf 1.300 m über dem Meeresspiegel. Die Vielfalt der Wildkräuter ist groß. Größer als beispielsweise im Pfitschtal, wo ich lange gearbeitet habe. Dort hatte ich einen Garten auf 1.400 m über dem Meeresspiegel – die Vielfalt war kleiner, aber der Geschmack der Kräuter war kräftiger und aromatischer. In meinem Garten hier in Martell kultiviere ich sowohl Wildkräuter als auch Küchen- und Heilkräuter. Nicht zu vergessen auch diverse Blumen. Das Saatgut vermehre ich selbst oder tausche es mit Bekannten und Freunden. Wir sind eine kleine Gemeinschaft von Kräuterliebhabern hier im Vinschgau. Ich verwende keine Folien für meinen Anbau, und auch keine Spritzmittel. Das tägliche Einsammeln der Schnecken, die aus der angrenzenden Wiese herüberkriechen, ist zwar mühsam, gehört aber zu meinem Alltag.
„Kräuter geben mir eine gewisse Selbstständigkeit bei der Behandlung von Krankheiten, auch von Allergien. Ich sehe die Kräuter und die Arbeit damit als ein Geschenk und eine große persönliche Bereicherung an.“
Martha Stieger, Martell
Welche Zukunftsaussichten siehst Du für das Sammeln und Anbauen von Wildkräutern und das damit verbundene Wissen?
Prinzipiell glaube ich, dass die Perspektiven gut sind. Es besteht ein zunehmendes Interesse an der Thematik. Schwerpunktmäßig von Frauen, zunehmend aber auch von Männern. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in einem großen Angebot an Weiterbildungskursen zum Thema Kräuteranbau und -verarbeitung wider. Ich selbst habe mich auf diese Weise stets weitergebildet und biete heute selbst über den gesamten Sommer Kurse und Wanderungen an. Heute wird man nicht mehr belächelt, wenn man sich für diese Thematik interessiert, so wie ich damals.
Hüterin der Vielfalt: Martha Stieger
Haben Sie schon mal Kapuzinerkresseknospen oder Hopfensprossen probiert? Nein? Da haben Sie aber etwas verpasst! Erwerben lassen sich solche Besonderheiten in Marthas kleinem Laden im Martell, Meiern 258, geöffnet samstags von 10-18 Uhr, auf diversen Märkten in ganz Südtirol, sowie unter selberGMOCHT und NationalPark-stelvio.it. Über Marthas Angebot einschließlich ihrer Kurse und Wanderungen können Sie sich informieren auf kraeutergarten.it.
Dieser Blogbeitrag ist Teil einer Serie zur Ausstellung "Hüter der Vielfalt". Diese wird im Rahmen des Interreg Italien-Schweiz-Projekts „Living Intangible Cultural Heritage“ unter der Leitung von Eurac Research realisiert. Es handelt sich um eine Wanderausstellung, die vom 15. Juli bis 14. Oktober 2022 im Vinschgau und der Val Mustair stattfindet. Projektpartner sind die Region Lombardei, die Region Aostatal und Polo Poschiavo.
Die Wanderausstellung wird an folgenden Orten gezeigt:
- 15.–31. Juli 2022: Karthaus, Kreuzgang der Kartause Allerengelberg
- 06.-07. August 2022: auf dem Festival „Marmor und Marillen" in Laas
- 03.–18. September 2022: auf den Palabiratagen in Glurns
- 02.–14. Oktober 2022: auf dem Erntedankfest und in der Chasa Jaura in Valchava
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