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Klimawandel und Tourismus: Alpine Destinationen und das Warten auf den großen Schnee

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Klimawandel und Tourismus: Alpine Destinationen und das Warten auf den großen Schnee
Klimawandel und Tourismus: Alpine Destinationen und das Warten auf den großen SchneeCredit: Unsplash | All rights reserved
Klimawandel Tourismus Winter

CC-BY-0: Unsplash

Frühlingstemperaturen und grüne Hänge wohin das Auge reicht. Der traditionelle Saisonsauftakt in Südtirol wurde vom 26. November auf Mitte und in manchen Gebieten gar Ende Dezember verschoben.

Es ist relativ klar, dass sich der Klimawandel auf den Alpenraum besonders deutlich auswirkt. Dort hat sich in den letzten 100 Jahren die Erwärmung mit +2°C doppelt so stark bemerkbar gemacht wie im europäischen Durchschnitt. Wenngleich dieser Temperaturanstieg aus touristischer Perspektive für manche Regionen sogar positiv zu bewerten sein mag, sehen sich vor allem alpine Wintersportdestinationen mit drängenden Herausforderungen konfrontiert (EURAC KlimaReport Südtirol):

  • Vermehrtes Fallen von Niederschlägen im Winter als Regen anstatt Schnee
  • Anstieg der Höhengrenze der natürlichen Schneesicherheit
  • Frühere Schneeschmelze, Rückgang der Dauer der Schneebedeckung
  • Abschmelzen der Gletscher

In einer umfangreichen Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) von 2007 wird dargestellt, wie sich die sogenannte Höhengrenze der natürlichen Schneesicherheit in den Alpen durch die Auswirkungen des Klimawandels verschiebt. Diese Studie berücksichtigt dabei jedoch nicht die Möglichkeiten, die sich durch die künstliche Beschneiung für die Skigebiete ergeben. Die Höhengrenze der natürlichen Schneesicherheit für Südtirol liegt laut OECD derzeit beispielweise bei ca. 1.500 m. Pro +1°C Erwärmung wird diese Grenze um rund 150 m ansteigen. Die Anzahl der schneesicheren Skigebiete in Südtirol würde sich demnach bei +1°C Erwärmung von derzeit 97% auf 84% reduzieren. Bei einer Erwärmung von +2°C sind nur noch 62% und bei +4°C nur mehr 22% der lokalen Skigebiete schneesicher. In anderen Regionen, wie Vorarlberg, Niederösterreich, im Berner Oberland, Oberbayern, im Allgäu, den Alpes Maritimes oder dem Trentino, wo die Skigebiete tendenziell niedriger liegen als im hochalpinen Südtirol, sehen diese Zahlen noch weit schlechter aus.

Andere Studien hingegen, wie beispielsweise jene zur Nachhaltigkeit des Skitourismus in Nord- und Südtirol von Steiger und Trawöger (2008) berücksichtigen auch die künstliche Beschneiung. Laut dieser Studie sind alle analysierten Skigebiete in Nord- und Südtirol, je nach Emissionsszenario, bis in die 2030er bzw. 2040er Jahre schneesicher. 2050 wären es immerhin noch 78-95%, ab 2080 nur noch 16-68%.

Auch wenn manche Wintersportgebiete stärker von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind als andere, lassen sich überall klare Tendenzen erkennen: Unsicherheiten bezüglich dem Saisonsauftakt, geringere Schneesicherheit, Anstieg der Schneegrenze, Verkürzung der Saison, höhere Kosten für Beschneiung. Es gilt diese Tendenzen weder zu leugnen noch in deren Anbetracht in Panik zu verfallen. Destinationen sollten den Klimawandel als eine Rahmenbedingung bzw. Herausforderung – wie viele andere auch (Alterung der Gesellschaft, Konsumtrends, Terror, etc.) – akzeptieren und ihm proaktiv entgegentreten.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Regionalentwicklung und Standortmanagement zum Thema Klimawandel und Tourismus im Vinschgau, die im Rahmen des Projektes C3-Alps durchgeführt wurde, zeigt dass sowohl auf der Angebots- als auch Nachfrageseite ein Bewusstsein für die Thematik vorhanden ist. Lokale Akteure sehen beispielsweise das idyllische Winterimage des Tals gefährdet und sorgen sich um eine Zunahme von extremen Wetterereignissen. Auf der Nachfrageseite geben z.B. 63% der befragten Gäste in der Wintersaison an, dass ein Rückgang des Schneefalls ihre Entscheidung, in die Destination zurückzukehren, beeinflussen würde. Verstärkt werden daher touristische Trends in das Angebot der Destination integriert, die letztendlich auch vor dem Hintergrund des Klimawandels als sinnvoll erscheinen. Die Studie zeigt aber auch, dass bewusste Planung und Strategieentwicklung dabei erst langsam an Bedeutung gewinnen.

Der klassische Skisport sorgte insbesondere ab den 1920er Jahren für einen ersten Aufschwung vieler alpiner Regionen, ab den 1950er Jahren wurde er zum Breitensport und heute ist er nicht selten das wichtigste ökonomische Zugpferd vieler Destinationen. Rund ¼ des Südtiroler BIP lässt sich laut dem Pro Neve Cluster des TIS direkt oder indirekt dem Wirtschaftsfaktor Schnee zuordnen (Wintertourismus und -industrie). Bei ca. 10.890.000 Übernachtungen in der Wintersaison 2013/14 und einer täglichen Pro-Kopf Ausgabe eines Wintergastes von rund 145 € ergibt sich eine direkte Wertschöpfung von etwa 1,58 Milliarden € pro Jahr.

Der große ökonomische Wert des Wintersports kann nicht negiert werden. Naheliegend ist es daher, dass Destinationen dem Klimawandel zunächst vor allem mit immer ausgefeilteren Mitteln der technologischen Beschneiung entgegentreten. Mittelfristig federn die Fortschritte in der Entwicklung dieser Technologie die Auswirkungen des Klimawandels größtenteils ab. Ein sicherer Saisonstart kann gewährleistet und die Pisten größtenteils befahrbar gemacht werden. Obwohl moderne Schneekanonen heute bereits bei Graden rund um den Gefrierpunkt ohne Zusatz von Chemikalien aus Wasser Schnee erzeugen, kommen wirklich effiziente Mengen erst um ca. -4°C zustande (CIPRA). Außerdem steht die künstliche Beschneiung aus ökologischer Perspektive häufig in der Kritik: Beachtlicher Wasser- und Energieverbrauch, Lärmerzeugung, Eingriffe in die Landschaft und damit zusammenhängend Auswirkungen auf die Fauna. Es ist eigentlich geradezu paradox: der fossile Energieverbrauch führt zum Klimawandel, der Klimawandel führt zu weniger Schnee und weil es nicht genug Schnee gibt, setzt man auf die künstliche Beschneiung – diese wiederum ist nur unter großem Energieeinsatz möglich.

Was also tun, wenn draußen die Vögel zwitschern, selbst in höher gelegeneren Tälern die Hänge grün bleiben und alle nach Schnee lechzen? Langfristig gilt es, das touristische Angebot zu diversifizieren, zu entzerren und weniger abhängig von einzelnen Saisonen zu machen. Es geht darum, das Erlebnis am Berg ins Zentrum zu rücken. Wintersport, vor allem klassisches Skifahren, kann nur eine Seite der Medaille sein. Skifahren, schneeabhängige alternative Wintersportaktivitäten und schneeunabhängige Angebote müssen im flexiblen Wechselspiel miteinander eingesetzt werden. Die Schlagworte lauten Natur und Kultur, Lifestyle und Architektur, Kulinarik und Genuss, Gesundheit und Wellness und nicht zuletzt Nachhaltigkeit und sanfte Weiterentwicklung. Qualitätsversprechen und Professionalität auch abseits der Piste bleiben wesentlich. Dem Erlebnis am Berg muss auch räumlich ein Raum gegeben werden. Alta Badia hat mit der Broschüre Wenn ich nicht Ski fahre bereits einen Vorstoß gewagt.

Der Klimawandel wird kein Skigebiet von heute auf morgen in die Insolvenz treiben, aber mancherorts – das gilt derzeit insbesondere für Gebiete unter 1.500 m Meereshöhe – wird man mittel- bis langfristig auf strategischer Ebene zwischen Investition und Rückbau abwägen müssen.

Autor: Lena-Marie Lun

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Citation

https://doi.org/10.57708/b22008514
Lun, L.-M. Klimawandel und Tourismus: Alpine Destinationen und das Warten auf den großen Schnee. https://doi.org/10.57708/B22008514

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