magazine_ Interview
Äpfel mit Sonnenbrand
Was bedeutet der Klimawandel für die Südtiroler Landwirtschaft?
Hagelnetze helfen indirekt auch gegen Trockenheit, da sie die Verdunstung um rund 20 Prozent verringern.
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Der Klimawandel setzt der Landwirtschaft zu. Die Wasserverfügbarkeit geht zurück, herkömmliche Sorten stoßen an ihre klimatischen Grenzen. Die Forschung sucht nach Lösungen: Diese reichen von Hightech, etwa Sensoren für eine nachhaltigere Bewässerung, bis hin zu simplen Maßnahmen wie der Entnahme von Blättern oder aber Hagelnetzen. Aber die Südtiroler Landwirtschaft wird sich auch ein paar grundlegende Fragen stellen müssen, erklären Massimo Tagliavini, Professor an der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften (unibz) und der Biologe Georg Niedrist (Eurac Research).
2023 wird wohl das wärmste Jahr seit 125.000 Jahren und der Trend geht klar nach oben. Wird Südtirols Kulturlandschaft bald durch Zitrus- und Olivenplantagen geprägt sein?
Massimo Tagliavini: Unsere Kulturlandschaft wird sich höchstwahrscheinlich verändern, doch für rein mediterrane Kulturen sind die Winter in Südtirol, mit Ausnahme von einigen wenigen Gebieten, nicht mild genug.
Georg Niedrist: Genau. Zumindest in den kommenden 20 bis 30 Jahren werden in unserer geografischen Lage die Temperaturen auch in Talböden wegen der Winter-Inversion immer wieder zu kalt für solche Kulturen sein. Im Klimawandel kommt es aber zu einer geografischen Verschiebung der Klimazonen. Wir haben in Bozen jetzt bereits ein Klima, das mit jenem vor rund 30 Jahren in Verona vergleichbar ist. Es gibt also eine Klimazonen-Verschiebung in Richtung Norden und natürlich auch in die Höhe.
Die Landwirtschaft ist sicher der Sektor, der als erstes und am stärksten vom Klimawandel betroffen ist.
Georg Niedrist
Die Landwirtschaft muss sich also auf dieses veränderte Klima einstellen?
Niedrist: Die Landwirtschaft ist sicher der Sektor, der als erstes und am stärksten vom Klimawandel betroffen ist: Sie findet unter freiem Himmel statt, ist also direkt dem Klima und den Witterungen ausgesetzt. Doch auch in der Landwirtschaft ist nicht jedes Produkt gleich stark vom Wetter abhängig. In der Milchwirtschaft ist der Einfluss des Klimas geringer, vor allem, was den Preis anbelangt. Im Weinbau wirken sich dagegen Hagelschlag, Spätfrost oder übermäßige Trockenheit unmittelbar auf den Auszahlungspreis aus.
Welcher Aspekt des Klimawandels betrifft die Landwirtschaft am meisten?
Tagliavini: Den größten Einfluss wird sicherlich die Erhöhung der Lufttemperatur haben; indirekt auch die höhere Bodentemperatur, die oft vergessen wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die zunehmende Unvorhersehbarkeit des Klimas. Bisher konnte sich die Landwirtschaft auf ein konstantes Klima verlassen. Klarerweise waren die Witterungsbedingungen nicht jedes Jahr gleich, doch es gab für jedes Gebiet einen langjährigen Durchschnitt und eine mehr oder weniger bekannte Abweichung. Diese Abweichungen vom Durchschnitt haben stark zugenommen. Das zeigt sich besonders am Frost oder an sehr heftigen, plötzlichen Temperaturstürzen. Aber auch extreme Hitzeperioden mit Hitzewellen treten jetzt häufiger auf.
In Südtirol haben wir den Extremklimasimulator terraXcube von Eurac Research. Dort können wir im Labor testen, wie sich solche Extremereignisse und Schwankungen auf Kulturpflanzen auswirken. Im Projekt CLEVAS etwa untersuchen unibz und Eurac Research gemeinsam mit dem Versuchszentrum Laimburg und der Universität Innsbruck die Folgen von Hitzewellen für den Weinbau.
Tagliavini: Wir haben in mehreren Versuchen in den Jahren 2021 und 2023 untersucht, wie Weinreben der Sorte Sauvignon Hitzewellen überstehen, und zwar bei jeweils unterschiedlicher Wasserverfügbarkeit und mit Temperaturen von bis zu 40 Grad, also rund 10 Grad über dem Mittelwert. Wir haben in den Klimakammern Versuche mit Apfel und Wein gemacht. Dabei hat sich bestätigt, dass die Rebe – im Gegensatz zum Apfelbaum – als typisch mediterrane Kulturpflanze nicht besonders unter hohen Temperaturen leidet, sofern ihr ausreichend Wasser zur Verfügung steht.
Niedrist: Der Unterschied lässt sich vor allem an der Frucht festmachen: bei Trauben kann je nach Sorte die Qualität des Produkts mit der Trockenheit sogar zunehmen, während der Apfel unter der Trockenheit leidet. Vor allem, was die Mengen betrifft, und im Obstbau geht es ökonomisch vor allem um die. Im Weinbau steht seit der Mengenregulierung die Qualität im Vordergrund, und hier kann ein leichter Trockenstress in bestimmten Reifephasen sogar einen Vorteil bringen.
Das heißt, wir können in Südtirol weiterhin auf gute Weine zählen?
Niedrist: Südtirol hat den Vorteil, dass wir klimatisch noch nicht an die Ausbreitungsgrenze der Weinrebe gestoßen sind. Im Vergleich etwa zu Anbaugebieten in Spanien, Australien, Sizilien, aber letzthin auch der Bordeaux-Gegend, die phasenweise schon ans Limit fürs Pflanzenwachstum kommen. Vorausgesetzt, es steht genügend Wasser zur Verfügung, haben wir temperaturmäßig noch etwas Spielraum. Natürlich sind dann das Reifestadium der Trauben und die Rebsorte auch ein Kriterium. Doch wir haben gesehen, dass sich die Pflanzen von solchen Stressphasen innerhalb von ein bis zwei Tagen wieder gut erholen konnten und auch die Frucht keinen nennenswerten Qualitätsverlust erleidet. Wir haben dann auch noch getestet, wie die Resilienz durch agronomische Maßnahmen gesteigert werden kann. Zum Beispiel, indem man Blätter von der Weinrebe entfernt, damit sie weniger Wasser verliert. Hier gibt es erste positive Ergebnisse, doch es ist zu früh, um daraus definitive Schlüsse zu ziehen.
Und wie kann die Klimaresilienz des Apfels gestärkt werden?
Tagliavini: Äpfel werden üblicherweise auf Unterlagen – das sind Stammansätze – veredelt, die sehr flach verlaufende Wurzeln haben. Das macht den Baum sehr abhängig von Bewässerung oder Regen. Vielleicht sollte man in Zukunft über Unterlagen nachdenken, die in tiefere Bodenschichten vordringen, um den Baum unabhängiger von der Wasserzufuhr von oben zu machen. Das Versuchszentrum Laimburg forscht bereits in diese Richtung. Indirekt helfen aber auch Hagelnetze gegen Trockenheit, da sie die Verdunstung um rund 20 Prozent verringern. Ein ursprünglich unbeabsichtigter, aber wichtiger Nebeneffekt. Wir werden noch genauer untersuchen müssen, wo die Grenze verläuft, ab der die Qualität der Äpfel oder der Ernteertrag unter Wassermangel leiden. Hier können Sensoren zum Einsatz kommen, die anzeigen, ab wann eine Bewässerung notwendig wird; und vielleicht reicht es auch, nur einen Teil des Wurzelsystems zu bewässern.
Wasser ist aus agronomischer und ökologischer Sicht sicher das zentrale Problem, neben sozialen Komponenten oder Ernährungssicherheit.
Georg Niedrist
Wir müssen in jedem Fall davon ausgehen, dass die Wasserverfügbarkeit sinken wird?
Tagliavini: Ja, wir werden in Zukunft sicher sparsamer mit Wasser umgehen müssen. Die Umstellung auf Tröpfchenberegnung ist ein erster wichtiger Schritt. Aber grundsätzlich wird in Südtirol noch zu stark bewässert; wohl auch, weil Wasser so billig ist. Hätten wir apulische Preise, würde der Wasserverbrauch im Apfelanbau sicher zurückgehen.
Niedrist: Wasser ist aus agronomischer und ökologischer Sicht sicher das zentrale Problem, neben sozialen Komponenten oder Ernährungssicherheit. Und zwar aus drei Gründen: Wir haben im Winter immer weniger Schnee, weil Niederschlag zunehmend in Form von Regen fällt. Wir haben eine verfrühte Schneeschmelze, und die Verdunstung nimmt aufgrund der steigenden Temperaturen um 5 bis 15 Prozent zu. Diese Kombination führt auch unabhängig vom Niederschlagsmittel vor allem im Frühjahr und Sommer zu einer geringeren Wasserverfügbarkeit bei gleichzeitig steigendem Wasserbedarf.
Und auch die Gletscher, die heute selbst in trockenen Gebieten wie dem Vinschgau eine intensive Bewässerung ermöglichen, schwinden dramatisch.
Niedrist: Allein in den vergangenen zwei Jahren um 10 Prozent – laut aktuellen Zahlen des Schweizer Gletschermonitorings. Ja, dieser Speicher, den wir in den letzten 50 bis 60 Jahren für Bewässerung und Stromproduktion genutzt haben, wird uns sicher nicht mehr in dem Ausmaß zur Verfügung stehen. Paradoxerweise gab es gerade im Vinschgau zuletzt aufgrund der hohen Temperaturen und daraus folgenden Gletscherschmelze sehr viel Wasser. Doch wir sind gerade dabei, diesen Peak zu überschreiten. Es ist also klar, dass Südtirols Landwirtschaft in einigen Jahrzehnten nicht mehr auf dieses Gletscherwasser zählen kann und die Mengen an Schmelzwasser bis dahin stetig zurückgehen werden. Das Wasserdefizit im Sommer wird sich also verstärken und verlängern. Und was immer wieder vergessen wird: Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber flussabwärtsliegenden Gebieten.
Weil auch der Reisanbau in der Poebene von unserem Wasser abhängig ist?
Niedrist: Als Berggebiet sind wir für den Flussunterlauf mitverantwortlich. Moralisch, aber auch gesetzlich sind wir aufgefordert, genügend Wasser für die dortigen Gebiete zur Verfügung zu stellen. Nicht zuletzt, weil wir die Lebensmittel aus der Poebene wieder importieren. Wir werden also eine langfristige Strategie brauchen, die auch das berücksichtigt. Neben unserer Landwirtschaft wird auch die am Unterlauf der Etsch zu überdenken sein. Wir müssen gemeinsam schauen, wem wann wie viel Wasser zur Verfügung stehen kann. Da könnte sich zum Beispiel herausstellen, dass Reisanbau in dieser Form nicht mehr zeitgemäß ist. Und im Gegenzug ist dann auch die Sinnhaftigkeit unseres Obstanbaus zu überprüfen. Im Talboden, mit Grundwasser, kann es ihn vielleicht weiterhin geben; in sandigen Schwemmkegeln, die sonnenexponiert sind, muss er aus Sicht der Wasserverfügbarkeit in Frage gestellt werden.
Wenn die Lufttemperatur bei rund 40 Grad liegt, können sich die Früchte auf bis zu 50 Grad erhitzen und verbrühen gewissermaßen.
Massimo Tagliavini
Wirken all diese Bedrohungsszenarien und Herausforderungen auch als Innovationstreiber?
Tagliavini: Krisen haben den Fortschritt schon immer beschleunigt. Zumindest, wenn man die richtigen Fragen stellt und versucht, gute Antworten darauf zu finden. Und aktuell befinden wir uns in solch einem Moment – mit all der Aufmerksamkeit für den Klimawandel und vielen Forschungsprojekten in diesem Bereich. Eine immer wichtigere Rolle bei der Entwicklung innovativer Lösungen wird sicher die Genetik spielen. Äpfel können beispielsweise infolge des Temperaturanstiegs auch einen Sonnenbrand bekommen. Wenn die Lufttemperatur bei rund 40 Grad liegt, können sich die Früchte auf bis zu 50 Grad erhitzen und verbrühen gewissermaßen. Neben Hagelnetzen könnte eine Rückkehr zu kräftigeren und dichteren Baumkronen eine Lösung sein. Doch wenn wir weiterhin schön gefärbte Früchte wollen, wird es die Genetik brauchen – um Sorten zu entwickeln, die trotz Schatten oder auch ohne starke Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht noch eine attraktive Färbung haben.
Führt ein großer technologischer Aufwand für die Lebensmittelproduktion zu höheren Lebensmittelkosten?
Niedrist: Ja, das ist ein weiterer Effekt des Klimawandels. Die Anpassung kostet Geld. Neue technologische Lösungen, Sensoren, Hagelnetze, ein immer schnellerer Wechsel von Sorten – all das wirkt sich auf den Preis des Produkts und die Wertschöpfung aus. Und wir haben aktuell gerade im Obstbau bereits das große Problem, dass die Gewinnmargen immer geringer werden.
Krisen haben den Fortschritt schon immer beschleunigt. Zumindest, wenn man die richtigen Fragen stellt und versucht, gute Antworten darauf zu finden.
Massimo Tagliavini
Machen es die Monokulturen leichter oder schwerer, sich an den Klimawandel anzupassen?
Tagliavini: In gewisser Weise sind Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel bei Monokulturen sogar einfacher, weil das Systems weitgehend mit Hilfe von Technologie standardisiert ist. Denken wir nur an die Frostschutzbewässerung. Südtirol ist ein Meister im Umgang mit dem Risiko von Spätfrost. Aber natürlich haben Monokulturen auch Nachteile. Mischkulturen, also mehrere Arten und unterschiedliche Sorten, ermöglichen mehr Spielraum im Umgang mit klimatischen Schwankungen.
Wie kann die Wissenschaft den Landwirten und Landwirtinnen zur Seite stehen?
Niedrist: Ich sehe unsere Aufgabe auf zwei Ebenen. Einmal auf der angewandten, wo es darum geht, Antworten auf konkrete Fragestellungen zu geben: Genetische Züchtungen, Bodenfeuchtesensoren, automatisierte Systeme, also ganz praktische Lösungen. Die Wissenschaft hat aber auch die Aufgabe, einen anderen Zeithorizont im Blick zu haben als ein Landwirt oder eine Touristikerin, die sich vorwiegend mit dem Alltagsgeschäft auseinandersetzen müssen. Um Szenarien aufzuzeigen oder Problemstellungen anzustoßen, die in diesem Moment vielleicht noch verfrüht erscheinen. Vor 20 Jahren war es kaum denkbar, dass wir in Südtirol einmal ein derart gravierendes Wasserproblem haben werden wie im Frühjahr 2023.
Massimo Tagliavini
Professor Massimo Tagliavini ist Expert für die Ökophysiologie von Bäumen. Zu diesem Thema hat er mehr als 200 Arbeiten veröffentlicht, davon über 80 in Fachzeitschriften mit Peer-Review. Seine Forschungsschwerpunkte sind: die ökologisch verträgliche Bewirtschaftung von Baumkulturen, Baumphysiologie und Ökosysteme im Zusammenhang mit dem Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf, den Wasserflüssen, der Mineralernährung und der Abgabe organischer Stoffe durch die Wurzeln in den Boden.
Georg Niedrist
Georg Niedrist hat an der Universität Innsbruck im Fach Ökologie promoviert und forscht seit 2006 am Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research. Sein Forschungsfeld liegt im Schnitt- und Reibepunkt zwischen Gebirgsökosystemen, Landwirtschaft und Klima. Aktuell beschäftigt er sich mit grundlegenden Fragen im Bereich Klimawandelanpassung con Pflanzen. Darüber hinaus sucht er zusammen mit der Praxis nach Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft.