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Anpassungsfähigkeit und Resilienz stärken

Credit: Bergrettungsdienst im Alpenverein Südtirol – Landesverband EO / Soccorso Alpino dell‘Alpenverein Südtirol – Unione Provinciale ODV | All rights reserved

Berggebiete sind ständigen Veränderungen ausgesetzt. Das bringt Risiken für ihre Bevölkerung mit sich. Das zweibändige Handbuch SAFEGUARDING MOUNTAIN SOCIAL-ECOLOGICAL SYSTEMS, A GLOBAL CHALLENGE setzt sich genau damit auseinander: Der umfassende Überblick vereint Beiträge von Forschenden, sowie von Menschen aus der Praxis und Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen, die sich mit Gebirgssystemen in Afrika, Nord- und Lateinamerika, Europa, Zentralasien und dem Hindukusch-Himalaya befassen. Paola Fontanella Pisa und Stefan Schneiderbauer sind zwei der vier Herausgebenden.

Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?

Stefan Schneiderbauer: Es begann damit, dass vor fünf Jahren das Verlagshaus Elsevier an mich herantrat mit der Bitte, ein Buch zu Naturgefahren im Rahmen einer Buchreihe herauszugeben. Ich schlug dann ein anderes Konzept vor: Ein Buch, das sich systematisch und ganzheitlich mit den Herausforderungen befasst, denen Bergregionen gegenüberstehen. Sie stimmten zu. Tatsächlich ist einer der Herausgeber jener früheren Reihe John F. Shroder Jr., einer von uns Vieren, die SAFEGUARDING MOUNTAIN SOCIAL-ECOLOGICAL SYSTEMS, A GLOBAL CHALLENGE herausgegeben haben. Der vierte ist Joerg Szarzynski, unser Kollege, der das GLOMOS-Büro in Bonn leitet.

 Paola Fontanella Pisa: Die Idee für das Buch entstand aufgrund einer Lücke, die wir festgestellt hatten: Bisher gab es kein Buch, das sich umfassend mit Berggebieten und ihren Herausforderungen befasste. Besonders afrikanische Berggebiete wurden oft vernachlässigt. Sie sollten nicht nur in ein, zwei Beispielen erwähnt werden. Wir wollten verschiedene, regional gegliederte Kapitel einfügen, in denen Forschende vor Ort einen Überblick geben. Für GLOMOS war es auch eine gute Gelegenheit, sich über die laufenden Aktivitäten der wichtigsten Akteure weltweit im Bereich der Berggebiete zu informieren und die Verbindungen zu stärken. Das Ergebnis ist eine umfangreiche Publikation. Auch jetzt nutze ich diese beiden Bände oft, wenn ich Informationen über Herausforderungen und Aktivitäten in Berggebieten oder eine spezifische Fallstudie suche.

Ich schlug dann ein anderes Konzept vor: Ein Buch, das sich systematisch und ganzheitlich mit den Herausforderungen befasst, denen Bergregionen gegenüberstehen.

Stefan Schneiderbauer

Wie habt ihr euch als Herausgebende eingebracht?

SS: Das deckt sich mit der Hauptidee des Buches: Wir haben eine globale Perspektive eingebracht und Berggebiete, Netzwerke und Expertinnen und Experten weltweit berücksichtigt. Dabei haben wir erkannt, dass viele Lösungen für Bergregionen lokal spezifisch sind. Wir haben viele verschiedene große Gebirgsregionen analysiert und ihre unterschiedlichen Herausforderungen untersucht. Dabei sind wir sehr partizipativ vorgegangen, im Einklang mit den GLOMOS-Grundsätzen.

 PFP: Man muss sich vorstellen, dass wir dieses Projekt im Jahr 2019 begonnen haben. Es war eine Lernerfahrung für uns und auch eine Gelegenheit, ein Output zu generieren, das andere Forscher und Forscherinnen in diesem Bereich sowohl jetzt als auch in Zukunft unterstützt. Es ist jedoch nicht nur für Forschende gedacht, denn auch Menschen aus der Praxis haben zu diesem Buch beigetragen. Das Ziel war es, ein universelles Werk für alle zu schaffen, die zu Berggebieten arbeiten.

  Wie haben die Mitverfasserinnen und -verfasser auf die fertigen Bände reagiert?

SS: Im März 2025, auf der nächsten südafrikanischen Bergkonferenz, wird unser Buch vorgestellt werden. Es mag andere Bücher geben, die z.B. den Himalaya ausführlicher behandeln, aber für die afrikanischen Bergregionen ist es definitiv die bisher umfassendste Analyse. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für die zentralasiatischen Regionen – es gibt derzeit nichts Vergleichbares.

 Könnt ihr mehr darüber erzählen, wie die beiden Bücher aufgebaut sind?

PFP: Die Aufteilung der beiden Bücher war ziemlich einfach. Das erste Buch gibt einen grundlegenden Überblick über die wichtigsten Herausforderungen. Wir haben uns nicht nur auf die Verringerung des Katastrophenrisikos konzentriert, sondern auch Netzwerke und Initiativen zusammengeführt, die sich mit Problemen wie Dürre, Verlust der biologischen Vielfalt, Klimawandel usw. beschäftigen. Wir stellen auch Lösungen vor, die durch internationale Netzwerke für Schutzgebiete unterstützt werden oder Lösungen, die auf naturbasierten Ansätzen fußen.

Das Buch beleuchtet wichtige Institutionen, die sich mit Bergthemen befassen, wie das UNDRR (Büro der Vereinten Nationen für
Katastrophenvorsorge), das eine politische Perspektive einbringt und das Umsetzen  des Sendai-Rahmenwerks voranbringt, oder das UNCCD (Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Desertifikation), das sich mit den Herausforderungen von Wüstenbildung und Trockenperioden  befasst. Wir geben auch Einblicke in das weltweite Netzwerk von UNESCO-Biosphärenreservate in Gebirgsregionen, das Vorbildfunktion hat  als institutionelles Setting für die nachhaltige Entwicklung in Bergen.

Das erste Buch zeichnet ein umfassenderes Bild der wichtigsten Herausforderungen und Lösungen, die auf globaler Ebene herausgearbeitet wurden. Das zweite Buch geht auf diese Herausforderungen und Chancen ein und fokussiert auf spezifische Regionen und deren  jeweilige Besonderheiten.

Das Ziel war es, ein universelles Werk für alle zu schaffen, die zu Berggebieten arbeiten.

Paola Fontanella Pisa

  Wie habt ihr es geschafft, so viel unterzubekommen?

PFP: Für jede Region haben wir einen koordinierende Person  vor Ort ernannt, die oder der die wichtigsten Forscher und Forscherinnen innerhalb der lokalen Netzwerke ausfindig gemacht und Fallstudien, spezifische Situationen oder Herausforderungen beigesteuert hat. Diese Koordinatoren waren dann dafür verantwortlich, diese Beiträge mit einem einleitenden Artikel zusammenzufassen, um ein Bild der wichtigsten Themen für jede Region zu vermitteln. Dieser Ansatz wurde konsequent auf alle ausgewählten Regionen angewandt: Lateinamerika, die Karibik, Afrika, Europa, Zentralasien oder Hindukusch-Himalaya. Interessant war, dass wir feststellen konnten, wie sich bestimmte Dynamiken und Herausforderungen in jedem Gebiet auf spezifische Weise manifestieren. Allerdings gibt es auch gemeinsame Schwachstellen und Probleme, die viele Bergregionen teilen. Sie wurden im Schlusskapitel zusammengefasst, in dem wir herausarbeiten, wie sich die Ziele für nachhaltige Entwicklung mit den im Buch vorgestellten Herausforderungen und Lösungen überschneiden.

Interessant war, dass wir feststellen konnten, wie sich bestimmte Dynamiken und Herausforderungen in jedem Gebiet auf spezifische Weise manifestieren. Allerdings gibt es auch gemeinsame Schwachstellen und Probleme, die viele Bergregionen teilen.

Paola Fontanella Pisa

Wie hat sich das Feld der sozial-ökologischen Systeme in den Bergen entwickelt?

 SS: Die größte Veränderung ist die wachsende Bedeutung des Klimawandels, der in den letzten Jahrzehnten viel deutlicher geworden ist. Ich würde aber behaupten, dass auch andere Prozesse im Zusammenhang mit der Globalisierung ebenso bedrohlich sind. Im Buch wollen wir uns nicht nur auf die klimatischen und biophysikalischen Parameter konzentrieren, sondern auch auf die sozioökonomischen Entwicklungen. Das Besondere daran ist, dass wir zwei Maßstabsebenen miteinander verbinden: die globale und die regionale. Wir untersuchen sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Besonderheiten der verschiedenen Bergregionen.

PFP: Beim Zusammenstellen der Bände wurde deutlich, wie wichtig internationale Rahmenbedingungen sind und dass die globalen Herausforderungen immer stärker miteinander verknüpft sind. Diese Faktoren treten immer mehr in den Vordergrund.

SS: Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die GLOMOS in den letzten fünf Jahren gewonnen hat, ist die Tatsache, dass Berggebiete oft keine angemessene Aufmerksamkeit erhalten. Es besteht die Tendenz, sie als isoliert von urbanen Realitäten und losgelöst von den globalen Herausforderungen zu betrachten.

 Und das sind sie nicht...

 PFP: Viele Auswirkungen sind nicht auf die Berge beschränkt, und viele Auswirkungen des Klimawandels haben dort zwar ihren Ursprung, aber ihre Folgen sind im Tiefland zu spüren. Es ist wichtig, das Bewusstsein für die Wechselwirkungen zwischen Hochland und Tiefland zu schärfen, denn die Auswirkungen gehen über die Berge hinaus.

 SS: Was in den Bergen passiert, bleibt nicht in den Bergen.

Was in den Bergen passiert, bleibt nicht in den Bergen.

Stefan Schneiderbauer

About the Interviewed


Paola Fontanella Pisa ist Anthropologin. Vor ihrer Tätigkeit am Institute for Environment and Human Security der United Nations University, arbeitete sie im Natural Science Sector der UNESCO, wo sie Projekte zur Stärkung der Resilienz von Bildungsinfrastrukturen unterstützte und entsprechende Projektvorschläge entwickelte. Heute untersucht sie, wie Geschichten unsere sozialen, kulturellen, spirituellen, politischen und wirtschaftlichen Landschaften prägen und wie sie zu praktischen Instrumenten zur Verringerung des Katastrophenrisikos werden können.

About the Interviewed


Der Geograf Stefan Schneiderbauer befasst sich seit mehr als 20 Jahren mit (Klima-) Risikomanagement in Berggebieten. Bei Eurac Research leitet er für die Universität der UNO das Programm GLOMOS, das die Erhaltung und nachhaltige Entwicklung von Berggebieten weltweit unterstützt.

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