magazine_ Interview
Showtime für Südtirols Autonomie
Das Center for Autonomy Experience feiert seinen ersten Geburtstag. Marc Röggla, Leiter des Centers, zieht Bilanz
Das Center for Autonomy Experience hat vor einem Jahr den Betrieb aufgenommen. Sein Ziel: Delegationen, die aus aller Welt nach Südtirol reisen, um mehr über die besondere Autonomie in Erfahrung zu bringen, kompetent zu begleiten und ein weiterwirkendes Netzwerk aufzubauen. Der Startschuss erfolgte zu einem erdenklich schlechten Zeitpunkt, pandemiebedingt mussten Delegationenbesuche bisher ausfallen. Marc Röggla, Leiter des Center, hat die „Experience“ kurzerhand ins Digitale verlegt: Podcast, E-Learning, Web und Socials vermitteln nun die Südtirol-Autonomie in alle Winkel der Welt.
Herr Röggla, sind Sie technologisch versiert?
Marc Röggla: Als Jurist, machen Sie Witze. Noch heute wälzen wir im Studium Bücher. Programmiersprache ist nicht so unser Ding. Aber selbst ich habe in den letzten 12 Monaten meine Technologiescheu etwas abgebaut – wie viele von uns, um in der Pandemie auch weiterhin mit der Welt da draußen vernetzt zu bleiben. Ich habe E-Learning-Programme studiert und mit meinen Forscherkolleginnen und -kollegen zwei Kurse zur Südtirol-Autonomie konzipiert – einen auf Englisch für ein internationales Publikum, einen für Schüler ab der dritten Mittelschule (auf Deutsch und Italienisch, Anm. d R.), habe mich tiefer ins Social Media Thema hineingekniet, einen Podcast zur Option realisiert. Und siehe da, es ist uns gelungen Praxisnähe auch in der digitalen Welt zu erzeugen. Obwohl mein Credo auch weiterhin lautet: Am besten lernen wir durch den persönlichen Eindruck.
Was kann ein E-Learning Kurs, was Bücher nicht können?
Röggla: Für uns Produzenten bietet er die wunderbare Möglichkeit, Inhalte laufend zu adaptieren und aktualisieren. Ein Lehrbuch ist starr, hat Text und Bild, ein E-Learning Kurs bietet unendlich mehr: Ich kann ihn mit Audio- und Videodateien anreichern, kann auf andere Inhalte verlinken, kann den Lernstoff durch Methoden wie animierte Grafiken oder Quiz vertiefen. Für den Nutzer wird das Lernen zu einem multisensoriellen Erlebnis. Er ist ein bisschen mittendrin im Geschehen, auch wenn er daheimsitzt. In die beiden Kurse ist das Know-how meiner Forscherkolleginnen und -kollegen mit eingeflossen. Das war auch eine ganz neue Form der Kooperation, und wir haben viel gelernt.
Mein Credo lautet auch weiterhin: Am besten lernen wir durch den persönlichen Eindruck.
Marc Röggla
Was genau?
Röggla: Dass Inhalt nur das eine ist, die Darstellung, je nach Zielpublikum, nochmal was ganz anderes. Vor allem beim Kurs fürs junge Publikum haben wir uns da nicht immer leichtgetan. Zum Glück haben einige Kolleginnen und Kollegen Kinder in dieser Altersgruppe. Die haben für uns die Formate und Darstellungen getestet. Aber auch Lehrerinnen haben es sich angeschaut. Wir freuen uns auch jetzt über jedes Feedback, und bauen es durchaus auch ein. Es ist ein ständiges Work-in-Progress.
Was digitales Lernen betrifft, hat Europa – wie pandemiebedingte Schul-Lockdowns zeigen – noch Aufholbedarf. Glauben Sie, dass ihr E-Learning Angebot auch mit der Rückkehr in den Präsenzunterricht ein spannendes Zusatzangebot bleiben kann?
Röggla: Auf jeden Fall. Ein Blick in die USA reicht. Die von der Harvard University und dem MIT entwickelte eLearning Plattform edX kann es absolut mit Präsenzunterricht aufnehmen. 2020 haben weltweit 35 Millionen Menschen an edX Kursen teilgenommen. Sie sind also auch eine wichtige Einnahmequelle für die Universitäten. In den USA gibt es auch mittlerweile börsennotierte Unternehmen wie Coursera, das sich auf Online-Weiterbildungskurse spezialisiert hat, und 2020 mit 76 Millionen Teilnehmern 200 Millionen US-Dollar Umsatz machte.
2020 haben wir aber auch neue Möglichkeiten ausgelotet. Nehmen wir die Webinare: Ich muss heute nicht mehr um den halben Erdball tingeln, um die Südtiroler Autonomie zu vermitteln oder an interessanten Events teilzunehmen. Ich kann mir namhafte Referenten aus ins Homeoffice beamen oder an einem Nachmittag einen Vortrag in München und Bangkok halten. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wäre kaum ins schwer erreichbare Südtirol gekommen. Eurac Research konnte ihn für ein Webinar gewinnen. Das wird auch nach der Pandemie so bleiben. Auch weil Videokonferenzen klimafreundlicher sind. Schon ab fünf Kilometer Anfahrtsweg mit dem Auto lohnt sich der Umstieg ins virtuelle Meeting, hat eine Studie des Verkehrsclubs Deutschland ausgerechnet.
Den allgemeinen E-Learning Kurs zur Südtiroler Autonomie gibt es nur auf Englisch, für all jene internationalen Delegationen, die gerade nicht in Südtirol vorbeischauen können. Haben Sie schon erste Rückmeldungen?
Röggla: In den allerersten Wochen wurde der englische Kurs im Schnitt fünfzig Mal pro Woche besucht. Er wurde bereits auf Thai übersetzt und in Armenien möchte eine Universität den Kurs im Lehrprogramm aufnehmen. Armenien und das benachbarte Aserbaidschan streiten seit 1917 um die Grenzregion Bergkarabach. Im Sommer 2020 mündete der Konflikt in eine weitere kriegerische Auseinandersetzung. Aber auch der deutsche und italienische Kurs stoßen auf Interesse. Die Fortbildungswebseite der Provinz Copernicus hat sie beispielsweise in das Kursangebot für Landesbedienstete aufgenommen. Und viele Schulen haben sie schon in den Unterricht integriert.
Wissen selbst wir Südtiroler zu wenig über unsere Autonomie?
Röggla: Lassen Sie es mich so formulieren: Wir Südtiroler haben uns daran gewöhnt, dass es uns gut geht. Der Konflikt zwischen den Sprachgruppen ist befriedet und Südtirol ist eine der reichsten Regionen Europas. Die meisten Südtiroler beschäftigen sich nicht täglich mit dem Thema und wissen vielleicht auch gar nicht, in wie viele Bereiche ihres Alltags die Autonomie hineinspielt. Etwas mehr Bewusstsein wäre oft nicht schlecht. Denn die Autonomie ist kein Standbild. Sie entwickelt sich ständig weiter und wir müssen sorgsam mit ihr umgehen. Und da sollte doch jede Südtirolerin und jeder Südtiroler mitreden können. Als Center for Autonomy Experience organisieren wir auch lokale Projekte und Initiativen zur politischen Bildung in Sachen Autonomie.
Die Autonomie ist kein Standbild. Sie entwickelt sich ständig weiter und wir müssen sorgsam mit ihr umgehen.
Marc Röggla
In Ihrem Podcast Option. Stimmen der Erinnerung. Le Opzioni in Alto Adige/Südtirol erzählen Stimmen Südtiroler Geschichte. An dem Projekt haben auch die Vereinigte Bühnen Bozen (VBB) mitgewirkt. Wie ist es dazu gekommen?
Röggla: Die VBB hat bereits zwei erfolgreiche Optionsdramen mit Zeitzeugen auf die Bühne gebracht. Als ich dort im Publikum saß, habe ich mir gedacht: Mensch, all diese Erinnerungen sind vergänglich. Wie können wir sie zumindest in Teilen erhalten? Da habe ich zum ersten Mal an einen Podcast gedacht. Etwas Erfahrung darin habe ich ja: Seit zwei Jahren produziere ich sozusagen hobbymäßig mit meinem Freund dem Naturmuseums-Direktor David Gruber den Podcast „Isch gleich“ auf Südtirolerisch. Ich habe mich dann an Irene Girkinger und Elisabeth Thaler von den VBB gewandt. Die hatten schon in Vorbereitung auf das Bühnenstück zusammen mit dem Institut für Zeitgeschichte Innsbruck 60 Interviews aufgezeichnet. Die beiden musste ich nicht lange überreden. Zu den acht deutschen Zeitzeugen haben wir noch zwei italienische Stimmen dazu genommen, die wir neu aufgenommen haben. Uns war auch der andere Blickwinkel wichtig. In der letzten Episode kommen dann noch Historikerinnen zu Wort: Eva Pfanzelter, Alessandra Zendron und Hannes Obermair, die das Ganze noch geschichtlich einordnen.
Der Podcast zur Option ist eine schnelle und emotionale Reise in die Vergangenheit.
Röggla: Wir haben die Aufnahmen bewusst nicht zusammengeschnitten. Da merkt man an den Pausen, an der Stimme, am Ringen nach Worten, dass das, was wir rückblickend als Geschichte bezeichnen, sich aus vielen Einzelschicksalen und natürlich Emotionen zusammensetzt. Das berührt erst einmal. Darin liegt auch die große Stärke der Podcasts, da kann kein geschriebener Text mithalten.
Ihr Podcast ist ja auch sehr erfolgreich.
Röggla: Da unser Zielpublikum vor allem Südtiroler sind, sind wir sehr zufrieden. Allein zur digitalen Präsentation haben sich weit über 200 Interessierte angemeldet. Wir mussten erst mal unsere Eurac-Zoom-Lizenz erweitern, die reichte bis dato grad mal für 100. Im Anschluss meldeten sich viele Leute, die noch Groß- oder Urgroßeltern haben, mit spannenden Geschichten zur Option, ob wir diese nicht auch aufzeichnen wollen. Und weil uns ehrlicherweise das Geld und die personellen Ressourcen dazu fehlten, haben wir nun gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte und dem Amt für Film und Medien ein Citizen Science Projekt zur Option in die Wege geleitet. Jeder kann also selbst die Erinnerungen seiner Lieben aufzeichnen und einsenden. Bis jetzt haben sich schon über 50 Citizen Scientists gemeldet und auch die ersten Interviews sind schon eingegangen.
Seit fast 30 Jahren beschäftigt sich Eurac Research mit der Südtirol-Autonomie. Warum plötzlich dieses Bedürfnis, den doch eher fachlichen Forschungskontext in eine populäre „Experience“ zu übersetzen?
Röggla: Ich nenne es mal Bringschuld. Unsere Autonomie funktioniert, wir sind im weltweiten Vergleich eine sehr gutgeschützte Minderheit, und wir haben bereits ein paar Jahrzehnte „Experience“, also Erfahrung damit. Das Interesse daran ist in den letzten Jahren gestiegen, Konfliktlösungsmechanismen werden in unserer vielschichtigen Welt immer wichtiger. Man kann so eine Autonomie allerdings nicht exportieren, Konfliktlösungsmechanismen müssen sich an die Umstände anpassen. Das ist zunächst mal die Arbeit von Fachleuten. Und dieses Know-how haben wir in Südtirol und an Eurac Research. Aber ich halte mich auch gerne an die Worte von Sir Mark Walport: Science is not finished until it’s communicated. Und genau das machen wir als Center for Autonomy Experience, wir kommunizieren Südtirols Know-how. Es ist eine Form von Science Diplomacy. Schlussendlich hat Südtirol auch was von unseren Aktivitäten: Je mehr die Menschen – in Südtirol und außerhalb – über die Autonomie wissen, desto mehr Aufmerksamkeit erhält sie. Und je mehr Südtirols Autonomie als Best Practice wahrgenommen wird, umso besser ist es um ihren Schutz bestellt.
Marc Röggla
- 2020 - Heute: Leiter des Center for Autonomy Experience, Eurac Research
- 2018 – Heute: Generalsekretär der Europäischen Vereinigung von Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen MIDAS
- 2015-2017: Co-Koordination des Südtiroler Autonomiekonvents für Eurac Research
- 2018 - Heute: Co-Host des Wissenschafts-Podcast „Isch-Gleich“
- 2013 - 2020: Wissenschaftler am Institut für Minderheitenrecht von Eurac Research, Forschungsschwerpunkte: Südtirol-Autonomie und Minderheitenmedien in Europa
- 2012: Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck
Nützliche Links
- Center for Autonomy Experience: https://www.autonomyexperience.org
- Kurs fürs junge Publikum: https://e-learning.eurac.edu/de/autonomie-1/#/
- Allgemeiner E-Learning Kurs zur Südtiroler Autonomie: https://e-learning.eurac.edu/en/autonomy-south-tyrol/#/
- Podcast zur Option: https://open.spotify.com/show/0vqjUF47mHgzSvWvLwV38d
- Citizen Science Projekt zur Option: https://www.autonomyexperience.org/erinnerungskultur-zeitzeuginnen-und-zeitzeugen-gesucht-2/