Wolfram Sparber, Leiter des Instituts für Erneuerbare Energie von Eurac Research
Credit: Eurac Research | Annelie Bortolotti
Zu Beginn dieses Jahres flammte der Optimismus unter den Verfechtern der sauberen Energie in Europa neu auf: Mitte Januar verabschiedete das Europäische Parlament den Green New Deal, einen tausend Milliarden schweren Plan, der die Emissionen der Mitgliedsländer bis 2050 auf Null reduzieren sollte. Dann kam Covid-19. Auf dem Papier sind die Absichten dieselben geblieben. Aber was sind die Hindernisse? Und welche Richtung sollte die Forschung im Bereich der erneuerbaren Energiequellen und der Energieeffizienz jetzt einschlagen?
Wie hat sich Ihr Alltag verändert?
Sparber: Seit mehr als einem Monat sind alle unsere Mitarbeiter zuhause. Für unsere Forschung ist das weniger ein Problem, wir arbeiten in Online-Meetings weiter an unseren Projekten, Datenanalysen und Simulationen. Doch unsere Labore stehen im Moment still. Nur eine Klimakammer ist in Betrieb, in der wir einen Langzeittest durchführen, für den keine Forscher ständig anwesend sein müssen.
Wie wird sich die Forschungsarbeit in nächster Zukunft verändern und welche Herausforderungen kommen auf den Sektor der erneuerbaren Energien zu?
Sparber: Seit Montag konnten wir unsere Labore endlich wieder in Betrieb nehmen. Wir können unter rigiden Sicherheitsvorkehrungen arbeiten, mit Abstand und notwendiger Schutzausrüstung. Das ist uns besonders wichtig, weil wir eine Reihe von Aufträgen haben. Die Zusammenarbeit mit Photovoltaik-Unternehmen und Unternehmen, die sich mit Energieeffizienz befassen, spielt für uns eine große Rolle. Vor Covid-19 hatten wir eine ganze Reihe von Projekten und Tests im Gange. Im Moment haben wir keine Stornierungen, aber ich frage mich, was in sechs Monaten passieren wird: In Zeiten von Umsatzeinbußen und großer Unsicherheit über die Zukunft – werden die Unternehmen noch in der Lage sein, in Forschung und Entwicklung zu investieren? Das ist die größte Unbekannte für die Zukunft der erneuerbaren Energien auch außerhalb Südtirols. Die aus erneuerbaren Quellen erzeugte Energie erfordert hohe Anfangsinvestitionen für die Anlagen – werden die Unternehmen das Budget und den Mut haben, sich dafür zu entscheiden? Heute muss alles neu überdacht werden: Die vor der Krise aufgestellten Businesspläne für Photovoltaik- und Windkraftanlagen sind unter Umständen nicht mehr so rentabel – in Italien ist der einheitliche nationale Strompreis innerhalb von einem Jahr von 53 Euro pro Megawattstunde auf 32 Euro gefallen. Dazu kommt noch ein zweiter Faktor, der dem Neustart der erneuerbaren Energien entgegensteht: Die Preise für fossile Brennstoffe waren noch nie so niedrig wie heute. Wenn in den Phasen nach dem Lockdown der Energiebedarf steigt, wird es rein wirtschaftlich äußerst günstig sein, alte Wärmekraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen – mit billigem Rohstoff und Amortisationskosten, die schon getilgt sind. Unter welchen Bedingungen werden die Betreiber dieser Anlagen bereit sein, sie umzustellen? Die niedrigen Kosten für fossile Brennstoffe könnten sich auch negativ auf den Markt für alternative Heiz-Anlagen wie Wärmepumpen oder Biomassekessel auswirken.
Die Frage ist, ob das Wirtschaftsmodell nach der Krise gleich jenem sein wird wie das Wirtschaftsmodell vor der Krise.
Es gibt noch viele offene Fragen. Was täte dem Sektor der erneuerbaren Energien jetzt gut?
Sparber: Da das Ende der gegenwärtigen Notlage noch nicht abzusehen ist, ist es schwierig, Vorhersagen zu treffen. Gegenwärtig werden diverse Pakete geschnürt, um dem Markt sehr viel Liquidität zu zu führen. Die Frage ist, ob das Wirtschaftsmodell nach der Krise gleich jenem sein wird wie das Wirtschaftsmodell vor der Krise. Oder kann diese Situation auch eine Chance sein, unsere Gesellschaft effizienter und emissionsärmer zu gestalten? Kann es Anreize geben z.B. im Mobilitätssektor insbesondere Null-Emissionsfahrzeuge zu fördern, oder Anreize im Bausektor insbesondere für die Renovierung von Gebäuden und die Installation von erneuerbaren Energien? Gleichzeitig erfordern Genehmigungsverfahren oft langwierige Prozeduren. Können diese vielleicht beschleunigt und vereinfacht werden, um zeitnahe Investitionen zu ermöglichen? Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, die noch vor der Krise für 2030 festgesetzt worden sind, sind erhebliche Entwicklungen in sehr kurzen Zeiten erforderlich.
Gibt es wirtschaftliche Vorteile, die Erneuerbare Energien mit sich bringen?
Sparber: Investitionen in diesen Sektor haben sowohl kurzfristige wie auch langfristige Auswirkungen. Kurzfristig führt zum Beispiel die Sanierung von Gebäuden zu Arbeit für Bauunternehmen, Installateure und Handwerker. Selbst bei der Realisierung einer Photovoltaikanlage ist die Wertschöpfung auf lokaler Ebene größer als man denken mag: Der Kauf von Modulen – meist importiert – macht weniger als 40 Prozent der Gesamtkosten aus, der Rest sind zusätzliche Komponenten und Installationsarbeiten. Auch reduzieren solche Maßnahmen die Kosten für fossile Energieträger nachhaltig. Geldmittel, welche hier eingespart werden, können dann anderweitig genutzt werden.Schließlich ist es wichtig zu bedenken, dass ein stabiler Trend in einem Marktsektor auch eine neue langfristige Chance für eine europäische Industrieentwicklung im Bereich der Komponentenherstellung ist. Im Batteriesektor erleben wir zum Beispiel massive Investitionen in Europa. Im Photovoltaiksektor hat der Marktrückgang der letzten 10 Jahre zu einer starken Produktionsverschiebung nach Asien geführt. Im Laufe der kommenden Jahre könnte ein stabil wachsender Markt aber durchaus zu einer Wieder-Ansiedlung von Produktionskapazitäten führen.
Wolfram Sparber
Wolfram Sparber leitet das Institut für Erneuerbare Energie von Eurac Research. Unter seiner Führung arbeiten mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in internationalen Projekten und Forschungskonsortien. Mit ihrer Arbeit unterstützen sie die lokalen Unternehmen in der Forschung und Entwicklung. Sparber ist auch Vizepräsident im Aufsichtsrat von EUREC (European Renewable Energy Research Centers Association) und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Plattform Rebuild Italia. Er ist Mitglied im Aufsichtsrat des regionalen Energieversorgungsunternehmens Alperia AG (der er auch als Präsident vorstand).