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Menschen, die in hoch gelegenen Berggebieten leben, sind besser vor Covid-19 geschützt als Menschen im Flachland – diese These wurde besonders in südamerikanischen Ländern weit verbreitet, mit verheerenden Folgen, wie die stetig ansteigenden Zahlen von Covid-19 in Peru und Bolivien zeigen.
Forscher des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research veröffentlichten nun gemeinsam mit nepalesischen und amerikanischen Fachkollegen eine wissenschaftliche Abhandlung im renommierten Fachmagazin „HIGH ALTITUDE MEDICINE & BIOLOGY“, in der sie die These aus verschiedenen Blickwinkeln entkräften. Ihre Grundlage war eine umfassende Auswertung der gesamten medizinischen Literatur zum Thema. Die aktuellen Spekulationen haben ihren Ursprung in jüngsten Analysen weltweiter epidemiologischer Daten, die auf eine geringere gemeldete Fallzahl von Covid-19 und eine scheinbar schwächere Übertragungsrate von schweren Krankheitsverläufen in Höhenlagen hinweisen. Die vorherrschende Schlussfolgerung macht die Anpassung der Höhenbewohner an den geringeren Sauerstoffgehalt der Luft dafür verantwortlich. Dadurch würden im Körper weniger ACE2-Rezeptoren ausgebildet, so die Argumentation – Rezeptoren sind Proteine, die im Zellinneren Signalprozesse auslösen können; speziell die ACE2-Rezeptoren, die besonders in den Atemwegen verteilt sind, gelten in Verbindung mit Covid-19 als Eintrittspforten für das Virus, da sie es wie einen Anker in die Zellen eindringen lassen. Weniger ACE2-Rezeptoren würden also weniger Eintrittsmöglichkeiten für das Virus bedeuten. Die Durchforstung der medizinischen Literatur zeigte jedoch, dass die Erkenntnisse dazu höchst widersprüchlich sind. „Es gibt keine Human- oder Tierstudie, die die ACE2-Expression entlang der Deckschicht in den Atemwegen bei anhaltendem Sauerstoffmangel untersucht hätte. Daher ist es höchst verfrüht zu schließen, dass die Ausbildung von ACE2-Rezeptoren in Höhenlagen gehemmt ist und dass dies die Anfälligkeit für Virusinfektionen verringern würde“, unterstreicht Rachel Turner von Eurac Research. Das Forscherteam ging einem weiteren Aspekt im Zusammenhang mit den ACE2-Rezeptoren nach: Im Zuge der Pandemie entstand der Eindruck, dass Patienten mit Bluthochdruck, die ACE-Hemmer zur Senkung des Blutdrucks einnahmen, schwerer an Covid-19 erkrankten. Studien widerlegten jedoch diesen Zusammenhang und erbrachten einen weiteren Hinweis, dass die Anzahl der ACE-Rezeptoren keinen Einfluss auf die Erkrankung an Covid-19 hat. Schlussendlich richteten die Forscher ihr Augenmerk auf die UV-Strahlung, die in der Höhe stärker ist und eine virentötende Wirkung hat. Doch auch in diesem Punkt weisen die Experten von Eurac Research darauf hin, dass nur UVC-Strahlen diese Wirkung haben, die neben den UVA- und UVB-Strahlen lediglich einen Bruchteil der Strahlung ausmachen und damit nicht zu berücksichtigen sind. „Die Gründe, warum sich das Virus in Berggebieten zum Teil weniger ausbreitet, liegen vor allem in der Bevölkerungsstruktur: Die Berge sind weniger dich besiedelt und social distancing ist einfacher einzuhalten als in den dichtbesiedelten Ebenen. Dies gilt natürlich nicht für Großstädte im Gebirge wie La Paz oder Mexico City, wo die Verbreitung rasant voranschreitet. Leider müssen wir feststellen, dass die Fakten die gefährliche Hypothese vom Schutz der Höhe mittlerweile widerlegt haben“, resümiert Hermann Brugger, der Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research.