Mithilfe von Ultraschall Lungenerkrankungen in der Notaufnahme diagnostizieren – diese Methode wurde im Zuge der Covid-19-Pandemie zunehmend eingesetzt. Immer mehr Studien – darunter eine, die wir gemeinsam mit dem Krankenhaus Bozen durchgeführt haben – zeigen, dass Ultraschall außerordentlich gut geeignet ist, um Lungenentzündungen zu erkennen.
Es war im Jahr 2005, als Alessandro Zanforlin in der pneumologischen Abteilung des Universitätskrankenhauses Sant'Anna in Ferrara begann, sich mit Ultraschallgeräten vertraut zu machen. Er war dabei, sich auf Atemwegserkrankungen zu spezialisieren, und in jenen Jahren wurden – zumindest in Italien – Ultraschalluntersuchungen der Lunge nur in sehr speziellen Fällen duchgeführt.
Es ist nicht wie bei der Leber, aber…
Um zu verstehen, warum ein Großteil der Ärzteschaft dem Einsatz von Ultraschall an der Lunge lange Zeit kritisch gegenüberstand, sollten wir uns vor Augen führen, wie das Gerät funktioniert: Es sendet Ultraschallwellen aus, die die Haut durchdringen und aufgehalten werden, wenn sie auf eine Struktur im Inneren des menschlichen Körpers treffen. Dort werden die Wellen reflektiert, anschließend von der Ultraschallmaschine registriert und auf einem Monitor als Bild dargestellt. Dieses Prinzip funktioniert vorallem bei Strukturen sehr gut, die viel Wasser enthalten. Allbekanntes Paradebeispiel sind Ultraschallbilder von Babys im Bauch der Mutter. Bei der Lunge verhält es sich anders: Rippen erschweren „die Sicht“ ebenso wie die in den Lungenbläschen enthaltene Luft. „In der Tat ist ein Ultraschallbild der Lunge ganz anders zu interpretieren als das einer Leber oder eines Herzens“, erklärt Dr. Zanforlin. „Auf dem Bildschirm erkennen wir die eigentliche Struktur der Lunge nur in sehr schweren Fällen, wenn sie fast keine Luft mehr enthält. In diesen Fällen sprechen wir von hepatisierten Lungen, das heißt von Lungen, die eine ähnliche Dichte wie die Leber haben.“ Beim Lesen von anderen Lungenultraschallbildern müssen hingegen Linien, Punkte und andere Zeichen interpretiert werden, die im Fachjargon als „Artefakte“ bezeichnet werden. Heute sind immer mehr Ärzte davon überzeugt, dass eine regelrechte Interpretation dieser Artefakte die Genauigkeit von Erstdiagnosen verbessert: Ultraschalluntersuchungen sind genauer als ein einfaches Abhorchen der Lunge mit dem Stethoskop und können invasive und teure Untersuchungen wie Röntgenaufnahmen oder CT-Scans zum Teil ersetzen. Eine erste Erhebung der Akademie für Thorax-Ultraschall (AdET) im Jahr 2018 zeigte, dass in Italien inzwischen die überwiegende Mehrheit der pneumologischen Abteilungen über ein – meist tragbares – Ultraschallgerät verfügte. Sie zeigte aber auch, dass nur wenige Untersuchungen pro Woche durchgeführt wurden und 70 Prozent jener Fachkräfte, die es bedienen konnten, erst in den vorhergehenden fünf Jahren ausgebildet wurden.
Von der pneumologischen Abteilung ins Covid-Triage-Zelt
Am Morgen des 20. März erhielt Alessandro Zanforlin von seinem Arbeitsgeber, dem pneumonologischen Dienst des Sanitätsbetriebs, einen Anruf: Er sollte mit Schutzanzug, Handschuhen und Schutzmaske zum Triage-Zelt vor dem Bozner Krankenhaus kommen. Bei Patienten mit Verdacht auf Covid-19 sollte er Ultraschalluntersuchungen an der Lunge durchführen und seine Kollegen darin unterweisen. Die Pandemie hatte gerade erst begonnen, und in den ersten Wochen dauerte es noch mehrere Stunden, um Patienten mittels Rachenabstrich auf COVID-19 zu testen. Während Patienten auf die Ergebnisse warteten, galt es, eine mögliche Covid-19-Lungenentzündung frühzeitig, anderweitig zu erkennen und die Betroffenen sofort zu isolieren. „Bei Symptomen wie Fieber und trockenem Husten läuteten bei uns die Alarmglocken“, erzählt Zanforlin. „Aber jemanden dann sofort zu einem CT-Scan zu schicken und dadurch Gewissheit zu bekommen, bedeutete ein größeres Ansteckungsrisiko auf dem Weg in die Radiologie und in den Räumen der CT Scanner in Kauf zu nehmen.“ Bald kursierte ein Video-Tutorial unter den Mitarbeitern der Notaufnahme in Bozen. In der Facebook-Gruppe „Academia di ecografia toracica" (Academy of thoracic ultrasonography) tauschten sich mehr als 4.500 Mitglieder mit Kollegen aus den am stärksten von der Pandemie betroffenen Gebieten aus und gaben sich gegenseitig Ratschläge. Ein clinical letter – das sind Empfehlungen, die auf klinischen Beobachtungen beruhen – wurde von einem italienischen Team Ende März im Journal of Ultrasound in Medicine veröffentlicht. Ebenfalls im März, im Lancet, machten drei Ärzte des Policlinico Gemelli in Rom darauf aufmerksam, dass Ultraschalluntersuchungen auch den Schutz des medizinischen Personals verbesserten: Es finde weniger Körperkontakt statt als bei einer traditionellen Untersuchung – es reiche, die Sonde zu desinfizieren, und es seien weniger Personen beteiligt als bei einer Tomografie. Aber wie hoch ist die Zuverlässigkeit der Diagnose?
Lungen mit Fleckenmuster
„In den meisten Fällen erkennen Ärzte, die etwas Übung mit einem Ultraschallgerät haben, eine Covid-19-Lungenentzündung, auch wenn sie keine Pneumologen sind“, erklärt Zanforlin. „Auf dem Bildschirm sind die Umrisse der Lunge unscharf. Die Stellen der Lunge, in denen keine Luft vorhanden ist sind fleckenförmig verteilt– ähnlich einem Leopardenmuster – und auf beiden Lungenflügeln vorhanden. Klassische bakterielle Lungenentzündungen hingegen erkennt man an einzelnen Flecken in einem bestimmten Bereich der Lunge.“ Von März bis April untersuchte Zanforlin zahlreiche Fälle. Die Daten von 111 Ultraschalluntersuchungen wurden den Kollegen von Eurac Research weitergeleitet. „In unseren Studien zur Notfallmedizin in den Bergen ist das tragbare Ultraschallgerät ein unverzichtbares Hilfsmittel. Wir haben damit schon viel Erfahrung und sind damit die richtigen Ansprechpartner“, unterstreicht Giacomo Strapazzon, Arzt und stellvertretender Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin. Die Forschergruppe verglich die Ergebnisse von Covid-19-Abstrichen mit denen mittels Ultraschall gestellten Covid-19 Diagnosen. Sie bewertete zwei Parameter: die Sensitivität und die Spezifität der Untersuchung. Eine Untersuchung ist „sensitiv“, wenn sie kranke Patienten richtig diagnostiziert, in diesem Fall eine Lungenentzündung richtig erkennt. Eine Untersuchung ist „spezifisch“, wenn sie wenig falsch-negative Ergebnisse liefert; das heißt, es gibt nur wenige Patienten, die eine Lungenentzündung haben, die nicht erkannt wird. „Die ROC-Kurven, also die Diagramme, mit denen wir Sensitivität und Spezifität bewerten, haben uns sehr gute Ergebnisse geliefert, vor allem für die Sensitivität“, resümiert Strapazzon. „Mithilfe von Ultraschall wurden 90 Prozent der Covid-19-Lungenentzündungen erkannt.“
Nach links: Ultraschallbild von gesunden Lungen Nach rechts: Ultraschallbild, auf dem der Arzt aufgrund der Flecken und Linien Anzeichen für eine Covid-19-Lungenentzündung erkennt
Notfall oder beschleunigte Innovation?
Die gemeinsame Studie von Eurac Research und dem Sanitätsbetrieb, die kürzlich im Fachmagazin Respiration veröffentlicht wurde, fließt in eine zunehmend umfassende Reihe von Arbeiten ein, darunter ähnliche Veröffentlichungen des Molinette-Krankenhauses in Turin und die Forschungsarbeit der Universität Trient, die künstliche Intelligenz einsetzt, um Ultraschallbilder des Brustkorbs besser zu interpretieren, um die geographisch nächstgelegenen zu nennen. Alle bestätigen die Zuverlässigkeit der Methode, die sich in den vergangenen Monaten etabliert hat. Im Krankenhaus Bozen und in ganz Italien hat der Lungenultraschall durch die Pandemie eine neue Bedeutung erlangt: Der Einsatz von Ultraschall beschleunigt die Triage in der Notaufnahme. Bei weniger schwerwiegenden Fällen wird eine CT-Untersuchung vermieden; die Patienten werden nicht unnötig Strahlung ausgesetzt und die Kosten sind geringer. Auf der Intensivstation, wo Patienten oft nicht in der Lage sind bei Untersuchungen zu kooperieren und es riskant ist sie zu bewegen, kann der Verlauf der Lungenentzündung direkt am Bett engmaschig überwacht werden. Derzeit werden auch mobile Einheiten mit tragbaren Ultraschallgeräten ausgestattet, um bei Covid-19 Patienten, die aufgrund einer weniger schwerwiegenden Symptomatik nicht im Krankenhaus betreut werden, während Hausbesuchen den Krankheitsverlauf besser erfassen zu können. „Sicherlich ist der Ultraschall im Notfall eine sehr wertvolle Hilfe, doch müssen wir aufpassen, dass wir nicht nachlässig werden. Wir müssen die Diagnosen stets überprüfen, daher werden wir auch in Zukunft nicht auf andere diagnostische Methoden verzichten“, schließt Zanforlin.
2016 erschien in der Zeitschrift Acta Medica Academica ein Artikel mit dem enthusiastischen Titel „Ist der Lungenultraschall das Stethoskop des neuen Jahrtausends? Eindeutig ja! (Is lung ultrasound the stethoscope of the new millennium? Definitely yes!). Die Pandemie scheint diese Zukunft vorwegzunehmen.
Die Pubblikation
Hier geht’s zum Artikel in vollständiger Länge: Respiration.