Ein kurzer Rückblick: Von der Grödner Bevölkerung waren es im Juni 2020 rund 27 Prozent, die seit Beginn der Pandemie mit Covid-19 in Berührung gekommen waren. Das geht aus der Studie hervor, die der Südtiroler Sanitätsbetrieb in Zusammenarbeit mit Eurac Research im Frühjahr 2020 durchgeführt hatte. Sie zeigt auf, dass Gröden zu jenem Zeitpunkt zu den Gebieten in Europa gehörte, wo sich Covid-19 am schnellsten ausgebreitet hatte. Nachdem die Infektionsverbreitung mithilfe von Antikörpertests ermittelt worden war, analysierte ein biomedizinisches Forscherteam von Eurac Research die weiteren Daten und untersuchte den Zusammenhang zwischen einer Infektion und bestimmten demografischen und sozialen Faktoren wie etwa Alter oder Geschlecht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ihr Arbeitsgebiet und die vorher aufgetretenen Symptome. Dank der Zusammenarbeit zwischen dem lokalen Gesundheitsdienst und dem Südtiroler Forschungszentrum wurden die Ergebnisse der Studie jetzt im Fachmagazin Epidemiology and Infection publiziert und stehen auf diese Weise der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft für die weitere Erforschung des Virus zur Verfügung.
Die Details zur Studie
Die gesamte Grödner Bevölkerung war im Mai des vergangenen Jahres zur Studie eingeladen worden, unabhängig davon, ob jemand Symptome für Covid-19 aufwies oder nicht. 2.244 Menschen folgten der Einladung. Sie unterzogen sich einem serologischen Antikörper-Test, einem Nasen-Rachen-Abstrich und füllten einen Fragebogen über ihren Gesundheitszustand zu Beginn der Pandemie aus. Die rund 30 Prozent der eingeladenen Bevölkerung, die teilnahmen, bildeten dank der guten Qualität der Proben eine repräsentative Stichprobe, mit der die Infektionsrate viel genauer berechnet werden konnte als allein aus den positiven Abstrichen während der ersten Welle der Pandemie. Die Auswertungen brachten unerwartete Ergebnisse ans Licht: Im Gegensatz zu anderen Gebieten schienen in Gröden Faktoren wie Alter und Geschlecht das Infektionsrisiko nicht zu beeinflussen, besonders wenn keine Symptome wie Fieber oder Schwäche auftraten. Bei den asymptomatischen Grödner Fällen zeigte sich also kein Zusammenhang zwischen Alter und Infektion. Außerdem geht aus den Daten hervor, dass Beschäftigte im Hotel- und Gastgewerbe einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind. Dieser Zusammenhang widerspiegelt die touristische Bedeutung des Gebiets, das in der Wintersaison stark besucht ist.
„Wir haben den Sanitätsbetrieb schon in der Vorbereitungsphase der Studie unterstützt, indem wir gemeinsam die ethischen und analytischen Protokolle festgelegt und das Sammeln der Proben und ihre Lagerung in unserer Biobank vorbereitet haben“, erklärt Peter Pramstaller, Leiter des Instituts für Biomedizin. Das Forscherteam von Eurac Research führte dann die epidemiologischen Analysen durch. „Diese Zusammenarbeit zwischen Forschung und Gesundheitswesen ist von entscheidender Bedeutung, wenn man das Wissen über das SARS-CoV-2-Virus voranbringen will – und wir werden den Sanitätsbetrieb auch weiterhin mit diesem Ziel unterstützen. Generell ist die gemeinsame Nutzung von Daten durch diejenigen, die vorwiegend in der Diagnose und Behandlung tätig sind, und diejenigen, die biomedizinische Forschung betreiben, der beste Weg, um relevante Ergebnisse zu erzielen, die sowohl die Gesundheitspolitik als auch die Prävention aktiv beeinflussen können“, schließt Pramstaller.
Über Eurac Research sind die Grödner Ergebnisse auch in das weltweit größte Forschungsprojekt zur Genetik und Covid-19 eingeflossen (mehr dazu im Artikel); vor kurzem gab das leitende Konsortium die Entdeckung eines Zusammenhangs zwischen bestimmten genetischen Regionen und der Schwere von Covid-19-Erkrankungen bekannt. „Lokale Studien haben eine doppelte Funktion: Einerseits ermöglichen sie es, die Situation vor Ort zu beobachten und Entscheidungen des Gesundheitsmanagements zu unterstützen. Andererseits sind sie eine wichtige Ressource für die internationale Forschung“, meint Michael Mian, Leiter des neuen Dienstes für Innovation, Forschung und Lehre beim Sanitätsbetrieb und Projektleiter der Gröden-Studie. Gesundheitslandesrat Thomas Widmann, der die Studie mit auf den Weg gebracht hat, betont: „Erhebungen wie diese liefern wichtige Ergebnisse, die die Diskrepanz zwischen gemeldeten Virusinfektionen und Antikörperaufkommen offenlegen. Infizierte Personen, die keine Covid-19-typischen Symptome entwickeln und nicht im Zuge von Contact-Tracings oder Screenings getestet werden, scheinen nicht in den offiziellen Daten auf. Diese Studie zeigt, dass insbesondere zu Beginn der Pandemie die Dunkelziffer in gewissen Gebieten hoch war und ermöglicht Rückschlüsse auf die damalige Ausbreitung des Virus.“