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„Das ist auch mein Zuhause“

Interview mit Tobias Stampfer, der als Mädchen zu Welt kam

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© Adobe Stock | nito
by Daniela Mezzena

Tobias Stampfer war der erste und ist bis heute der Einzige im Gadertal, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzog. Hier erzählt er, wie sein Weg aussah, was sich in den letzten Jahren verändert hat, und wie er sich dafür einsetzt, dass auch in einem kleinen Südtiroler Tal Vielfalt nicht als Bedrohung wahrgenommen wird.

Herr Stampfer, ein Mädchen aus dem Gadertal, das sich für eine Geschlechtsumwandlung entscheidet: Können Sie uns kurz schildern, wie das war?

Tobias Stampfer: Ich habe vor acht Jahren, 2016, mit der Transition begonnen; die Situation war damals noch ganz anders als heute, muss ich sagen – die Dinge ändern sich schnell, ohne dass wir es merken. Bis heute bin ich aber im Gadertal die einzige Trans-Person. Das Schwierigste war, zu verstehen: Was war mein Problem? Ich wusste es nicht, weil ich keine Beispiele hatte. Man lebt, als wäre man ständig von einem Schatten begleitet, man ist traurig, etwas stimmt nicht und man weiß es. Aber man kann dieses Gefühl nicht benennen. Ich war als Mädchen sehr maskulin, und ich merkte, dass mir Mädchen gefielen, allein das war vor zehn Jahren schon ein Problem. Es war also schwierig, sich dieser Gefühle bewusst zu werden. Eines Tages schickte mir eine Freundin ein Video von einem Mädchen, ich kann mich nicht erinnern ob aus den USA oder Kanada, das eine Transition gemacht hat. Da habe ich endlich verstanden, was mein Problem war – aber damit wurde dann die Lösung des Problems selbst zum Problem. Ich war sehr froh, die Lösung gefunden zu haben, aber auch erschrocken. Ein Jahr lang hab ich es verdrängt, weil ich zu viel Angst hatte. Ich wusste, dass ich meine Eltern verletzen würde, deshalb wartete ich ab. Aber irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten, in diesem Körper zu bleiben, als Frau behandelt zu werden, während ich fühlte, dass ich anders war; also habe ich den psychologischen Dienst in Bozen angerufen und erfahren, dass es dort für solche Fälle ein Team aus einem Psychologen, einem Anwalt und einem Endokrinologen gibt. Als ich die Transition machte, musste man auch zum Psychiater gehen, diese Erfordernis wurde dann abgeschafft; seit einigen Jahren bleibt es dem Richter überlassen, ob er auch ein psychiatrisches Gutachten anfordert oder nicht.

Also war es auch in Südtirol vor einigen Jahren möglich, eine angemessene Beratung zu erhalten?

Stampfer: Absolut! Da solche Situationen noch seltener waren, hatten nicht alle Erfahrung damit, aber alle waren sehr hilfsbereit. Sie waren sehr kompetent, und wenn sie mir die Informationen, nach denen ich fragte, nicht selbst geben konnten, versuchten sie immer jemanden zu finden, der mir weiterhelfen konnte.

Und wie verlief die Transition in rechtlicher und bürokratischer Hinsicht?

Stampfer: Das ist ein sehr langwieriger Prozess, denn als ich ihn begann, musste man sowohl für die Änderung des Namens, also der Geburtsurkunde, als auch für die Operation die Erlaubnis des Richters einholen. Das heißt, ohne die Erlaubnis des Richters konnte man keine Operation zur Geschlechtsumwandlung durchführen, weil an einem gesunden Körper eigentlich keine Eingriffe vorgenommen werden dürfen. Jetzt reicht ein einziger Antrag an den Richter, mit den verschiedenen medizinischen Berichten des Psychologen und/oder des Psychiaters. Ich musste auch meine Freunde bitten, einen Bericht zu schreiben, in dem sie erklärten, wie sie mich sahen, wie ich mich verhielt, wenn ich mit ihnen zusammen war, und wie schlecht es mir ging. Das Verfahren war viel mühsamer; inzwischen sind die Fälle aber sehr viel häufiger, und das Verfahren wurde beschleunigt.

Es ist für mich sehr wichtig, den Menschen meinen ganzen Weg zu erklären; wenn man den Schmerz und das Drama hinter einer so wichtigen Lebensentscheidung nicht versteht, ist es leicht, sie abzuwerten, sich darüber lustig zu machen oder sich sogar gegen die Betreffenden zu stellen

Tobias Stampfer

Sie sagten, in den letzten Jahren habe sich viel verändert. Gilt das auch für Ihr Tal?

Stampfer: Ja, ich sehe mehr Offenheit. Ich engagiere mich sehr, um im Gadertal Informationsabende zu veranstalten, es wurde auch ein kurzer Dokumentarfilm auf Ladinisch über mich gedreht. Der Vorschlag dazu kam, als ich die Transition begonnen hatte. Ich habe zugesagt – nicht sofort, denn ich hatte immer noch sehr viel Angst – , weil es für mich sehr wichtig ist, den Menschen meinen ganzen Weg zu erklären; wenn man den Schmerz und das Drama hinter einer so wichtigen Lebensentscheidung nicht versteht, ist es leicht, sie abzuwerten, sich darüber lustig zu machen oder sich sogar gegen die Betreffenden zu stellen. Mir liegt also viel daran, dass das Gadertal nach und nach lernt, verständnisvoller und aufgeschlossener zu sein. Außerdem denke ich: Wenn alle weggehen, die in irgendeiner Weise anders sind, dann bleibt das Tal rein, ohne all diese Vielfalt, und wird nie in der Lage sein, mit all dem Andersartigen umzugehen, das es auf der Welt gibt. Das funktioniert nicht, denn so ist die Welt nicht gemacht. Irgendwer muss im Tal bleiben, und das Tal muss akzeptieren, was drumherum existiert. Außerdem ist es auch mein Tal, ich muss nicht weggehen. Sie müssen mich so akzeptieren, wie ich bin, denn ich gehöre zu diesem Ort, ich bin dort geboren und aufgewachsen. Mir liegt viel an meinen Leuten, und ich möchte, dass sie sich weiterentwickeln, so wie sich die Welt weiterentwickelt.

Sie sind Mitglied des Vorstandes von Centaurus Arcigay, des Vereins für LGBTI+ Menschen in Südtirol. Wer wendet sich an den Verein, und mit welcher Art Fragen oder Problemen?

Stampfer: Wir erhalten verschiedene Anfragen: Menschen wenden sich beispielsweise an uns, weil sie Opfer von Missbrauch, von körperlicher oder verbaler Gewalt geworden sind. Wir bringen diese Vorfälle der Presse zur Kenntnis, oder suchen Rechtsbeistand. Wir haben eine Mittlerrolle. Es gibt bei uns auch eine Beratungsstelle: Wer das Gefühl hat, nicht in ein gängiges Stereotyp von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung zu passen, oder wem es schlecht geht, weil er oder sie von der Umgebung verspottet oder diskriminiert wird, kann bei uns Hilfe finden. Glücklicherweise begleiten die Familien heute die Entwicklung ihrer Kinder viel aufmerksamer. Alle Trans-Menschen, die mit mir in der Gruppe waren, haben beispielsweise auch ihre Eltern zu den Sitzungen mitgebracht. Der Trend geht in diese Richtung; die Eltern stehen hinter ihren Kindern und versuchen, sie – wenn vielleicht auch nicht zu verstehen, denn sie zu verstehen ist nicht einfach – , aber sie zumindest zu unterstützen und sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Das sieht man, und das macht einen großen Unterschied.

Sie haben von der Schwierigkeit erzählt, ihr „Problem“ überhaupt zu begreifen, auch weil Sie niemanden kannten, der in der gleichen Situation war. Wie sehen Sie junge Trans-Menschen heute?

Stampfer: Sie sind viel besser informiert, ich denke, dank des Internets, und sie sind viel, viel jünger, wenn sie sich ihrer Situation bewusst werden. Für Jugendliche gibt es so genannte Pubertätsblocker, Medikamente auf Tryptorelin-Basis, die die Entwicklung des jeweiligen Geschlechts blockieren, also verhindern, dass man die Pubertät in einem Geschlecht durchmacht, mit dem man sich nicht identifiziert. Wenn also jemand zwölf Jahre alt ist und – natürlich nach umfassender Beurteilung durch Fachleute – diese Blocker einnimmt, wird bei Jungen die Stimme nicht tiefer, oder Mädchen bekommen ihre Periode nicht. Sobald die Betreffenden volljährig sind, können sie selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen, und es ist dann viel einfacher, einzugreifen. Die Regierung will die Verabreichung dieser Medikamente an Minderjährige verhindern; sie hat erklärt, es handle sich um eine Form von Gewalt, die das Leben der Minderjährigen gefährde. Aber viele Mütter lehnen sich dagegen auf, denn sie sehen, dass die Geschlechtsidentität bei ihren Kindern ein starkes soziales und kulturelles Unbehagen verursacht, und diese Gefühle können in kurzer Zeit so unerträglich werden, dass auch extreme Reaktionen möglich sind.

Was könnte beitragen, die Situation dieser Menschen zu verbessern?

Stampfer: Meiner Meinung nach wäre der Zugang zu diesen Blockern sehr wichtig, denn es ist viel schwieriger, die Transition zu vollziehen, nachdem sich die primären Geschlechtsmerkmale bereits voll entwickelt haben. Für mich als Frau war der Wechsel der Stimme, sagen wir, eine natürliche Folge. Aber wer vom Mann zur Frau wird und eine tiefe Stimme hat, für den ist es sehr schwierig, sie höher zu machen, es braucht logopädische Behandlung. Ein früheres Eingreifen würde also vieles erleichtern, der Weg wäre nicht so beschwerlich. Wenn du früh eingreifen kannst, dann kennen die Freunde dich auch bereits als jemanden ohne spezifisches Geschlecht, dein Leben verläuft dann ohne harte Brüche.

Was würden Sie sich von der Politik in Südtirol wünschen?

Stampfer: Ich würde mir wünschen, dass jeder die Hand hebt, um diese Minderheiten zu verteidigen, die leider nicht immer die Mittel haben, sich selbst zu verteidigen, und nicht immer groß genug sind. Und die sehr oft auch Angst haben. Für die Entwicklung der gesamten Gesellschaft wäre es wichtig, wenn jeder die Stimme gegen Ungerechtigkeiten erhebt, egal ob sie sich gegen eine Trans-Person oder eine spärlich bekleidete Frau richten. Genau hier kann die Politik eingreifen, denn wenn wir selbst nicht erreichen können, dass man uns respektiert, dann ist es die Politik, das Gesetz, die Regierung, die sicherzustellen können, dass die Rechte aller respektiert werden.

Ist die Möglichkeit einer dritte Option für den Geschlechtereintrag in Dokumenten für Sie eine wichtige Forderung?

Stampfer: Für sehr viele Menschen wäre es wichtig, sich nicht immer als schwarz oder weiß identifizieren zu müssen. Wenn ich mich weder schwarz noch weiß fühle, sollte ich die Möglichkeit haben, mich als grau zu erklären, und die Gesellschaft und die Gemeinschaft sollten mich auch als grau anerkennen. Die Freiheit der Wahl zu haben, das ist es, was zählt.

Tobias Stampfer

Tobias Stampfer war die erste Person aus dem Gadertal, die die Geschlechtsangleichung öffentlich thematisiert hat. Er ist Aktivist für die Rechte der LGBTQIA+ Community, Mitglied des Vorstands von Centaurus Arcigay Südtirol und von ARCI-Diverkstatt in Bruneck. Seit 2015 lebt er in Bruneck, wo er als Buchhalter in einer Versicherungsagentur arbeitet. Er ist ein begeisterter Bergsteiger, außerdem spielt er in seiner Freizeit gerne in der Theatergruppe seines Heimatdorfes La Villa.


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