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Das Trojanische Pferd unter den Schmetterlingen

Was den Schwarzgefleckten Ameisen-Bläuling so besonders – und besonders gefährdet – macht

Chris van Swaay
Credit: Chris van Swaay | All rights reserved
by Laura Defranceschi

Er lässt seine Larven von Ameisen in ihren Bau tragen. Dort verspeisen sie Unmengen an Ameisenlarven und riskieren dabei, am Ende selbst zur Beute zu werden. Dieser außergewöhnliche Lebenszyklus macht den Schwarzgefleckten Ameisen-Bläuling (Phengaris arion) zum Lieblingsschmetterling unseres Entomologen Elia Guariento. Er hat den Spezialisten unter den Schmetterlingen, der selten ist und auf der Liste der global gefährdeten Arten steht, auf extensiven Wiesen in Südtirol gefunden.

Der Superspezialist mit dem spektakulären Lebenslauf

Eigentlich gehören die Ameisen zu den schlimmsten Fressfeinden des Ameisen-Bläulings. Dennoch schafft er es, sie – genauer: einige von ihnen – dazu zu bringen, seine Larven zu ernähren und zu beschützen. Er legt seine Eier auf der Futterpflanze ab; die geschlüpften Raupen fressen zunächst wie andere Schmetterlingsraupen auch. Sie häuten sich und ändern dann jedoch ihr Aussehen: Ihr Körper ähnelt nicht mehr dem einer Raupe, sondern eher dem einer Made. Was dann kommt, mutet seltsam an: Die Schmetterlingslarven lassen sich zu Boden fallen und warten – eigentlich auf ihren Feind. Dabei laufen sie Gefahr, dass sie gefressen werden, von anderen Ameisen, Vögeln oder anderen Fressfeinden – oder dass sie schlichtweg unentdeckt verhungert. Wenn jedoch die „richtige“ Ameise vorbeikommt – nur zwei Arten kommen in Frage: die Säbeldornige Knotenameise oder die Feuchtrasen-Knotenameise – und eine Larve findet, greift sie sie nicht etwa an, sondern „befühlt“ sie, um sie dann im besten Fall zu adoptieren. Denn die Larven sehen nicht nur täuschend echt wie Ameisenlarven aus – sie können ihren madenförmigen Körper krümmen und aufblähen, um ihnen zu ähneln –, sie machen auch dieselben Geräusche und verfügen über Duftdrüsen, mit denen sie für die Ameise sehr attraktive Düfte absondern und sich chemisch tarnen. Die nichts ahnende Ameise schleppt die Larve in ihr Nest und legt sie zu ihrer eigenen Brut. Hat es die Schmetterlingslarve bis hierher geschafft, hat sie fürs Erste ausgesorgt. Sie wird von den Ameisen mit Zuckerwasser gefüttert und lebt wie die Made im Speck: Bis zu 600 Ameisenlarven frisst sie in den Monaten ihres Aufenthalts in den Brutkammern ihres Feindes. Das ganze Unterfangen ist jedoch auch riskant. Raupen kommen im Ameisennest mitunter um, weil sie entweder von „duftimmunen“ Arbeiterinnen angegriffen werden, oder weil sie das Ameisennest leer plündern und damit ihre eigene Nahrungsgrundlage vernichten. Nach der Verpuppung der Larve im Ameisennest kann die Täuschung dann endgültig nicht mehr aufrecht erhalten werden. Deshalb muss der frisch geschlüpfte Schmetterling so schnell wie möglich aus dem Ameisennest flüchten. Erst wenn er an der Erdoberfläche ist, streckt und trocknet er seine Flügel. Er fliegt dann los, um sich zu paaren und als Weibchen auf der richtigen Futterpflanze seine Eier abzulegen, der Lebenszyklus des Ameisen-Bläulings beginnt damit wieder von Neuem.

Den Schwarzgefleckten Ameisen-Bläuling entdeckte Elia Guariento bei Erhebungen in Matsch im Obervinschgau.Credit: Eurac Research | Michael Steinwander

Trotz Tricks extrem gefährdet

„Unter den Bläulingen ist der Schwarzgefleckte Ameisen-Bläuling einer der größten. Dass er die Ameisen so austrickst, macht ihn für mich zum spannendsten unter den Schmetterlingen“, erzählt Elia Guariento, Entomologe von Eurac Research. „Er ist somit eine hochspezialisierte Art: Er braucht genau die richtige Futterpflanze – den Thymian oder den Origano – und genau die richtige Ameisenart – die Säbeldornige Knotenameise oder die Feuchtrasen-Knotenameise -, um seinen Lebenszyklus abschließen zu können“, fügt Guariento hinzu. „Anders als beispielsweise der weit verbreitete Kleine Kohlweißling oder der Kleine Fuchs, die kilometerweit fliegen, um neue Lebensräume zu erschließen, verbringt der Schwarzgefleckte Ameisen-Bläuling sein ganzes Leben auf einer limitierten Fläche, wo eben alle Bedingungen stimmen müssen. Das macht ihn als Art sehr verletzlich.“ Trotz seiner Seltenheit – der Schwarzgefleckte Ameisenbläuling steht auf der globalen Liste der gefährdeten Arten – hat Guariento ihn in Südtirol auf extensiven Wiesen und Weiden gefunden. „Früher waren extensive Weiden und Wiesen die Norm. Vor diesem Hintergrund ist die besondere Lebensweise des Schmetterlings gar nicht mehr so abwegig, ganz im Gegenteil: Die Larve hat einen Vorteil, wenn sie von den Ameisen gefüttert und beschützt wird und damit weniger Gefahr läuft, gefressen zu werden“, sagt Guariento. Mittlerweile sind extensive Wiesen und Weiden jedoch immer seltenere Lebensräume, deren Erhalt besonders wichtig ist, wie Guariento deutlich macht: „Was man für den Erhalt der Landschaft und damit für den Erhalt des Schmetterlings tut, ist nicht nur gut für den Schmetterling, sondern für das gesamte Ökosystem und alles, was damit zusammenhängt, also letztendlich die Grundlage unseres Lebens und Wirtschaftens.“

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Elia Guariento - Eurac ResearchCredit: Eurac Research | Martina Jaider
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Der Entomologe Elia Guariento beim Einfangen der Schmetterlinge.Credit: Eurac Research | Martina Jaider
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Schmetterlingsgemeinschaften an verschiedenen Standorten in Südtirol

Das Paper “From diverse to simple: butterfly communities erode from extensive grasslands to intensively used farmland and urban areas”

In extensiven Wiesen und Weiden fand das Forschungsteam von Eurac Research im Rahmen des Biodiversitätsmonitorings Südtirol eine hohe Diversität an Tagfalterarten vor. Gleichzeitig ist es der Lebensraum, wo die gefährdeten und besonders schützenswerten Arten vorkommen. Untersucht wurden auch Weinberge, intensiv genutzte Wiesen, Äcker sowie urbane Lebensräume und Apfelanlagen. Die Daten zeigen, dass die Artenvielfalt graduell abnimmt, am schlechtesten geht es den Schmetterlingen in den intensiven Apfelanlagen. Vor diesem Hintergrund unterstreicht das Forschungsteam, dass die bestehenden Landschaftspflegeprämien, die den Erhalt extensiver Wiesen fördern, sehr viel für die Biodiversität bringen und auch auf Weiden ausgedehnt werden sollten. Flächen in tieferen Lagen sollten besonders berücksichtigt werden. Fazit: Die intensiv genutzten Flächen haben laut Studie einen geringen Wert für den Erhalt der Schmetterlinge. Auch eine Verbesserung dieser Flächen durch Hecken oder Blühstreifen ist erstrebenswert, kann jedoch den Erhalt der extensiven Grasländer nicht ersetzen.

Die Studie gibt die Daten wieder, die in drei Jahren zu den verschiedenen Landnutzungsformen quer durch ganz Südtirol erhoben worden waren: Insgesamt wurden in dieser Zeit 93 Standorte untersucht, 5.513 Individuen und 100 Schmetterlingsarten gefunden.
Die große Menge an Daten – interessant auch auf europäischer Ebene – erlaubt einen Vergleich darüber, welche Schmetterlingsarten wo vorkommen und wie sich die jeweilige Art der Landnutzung auf die Artenvielfalt an bestimmten Standorten auswirkt.

Link zum Paper: https://doi.org/10.1007/s10531-022-02498-3

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Das Biodiversitätsmonitoring Südtirol

Seit 2019 wird das Biodiversitätsmonitoring Südtirol von Eurac Research in Zusammenarbeit mit dem Naturmuseum Südtirol, den Abteilungen Landwirtschaft, sowie Natur, Landschaft und Raumentwicklung durchgeführt und vom Land finanziert. Untersucht werden die wichtigsten Lebensräume Südtirols, verteilt über das ganze Land: Wälder, Feuchtlebensräume, Siedlungsgebiete, alpine Lebensräume, Fließgewässer, Äcker und Dauerkulturen, sowie Wiesen und Weiden. 360 Standorte an Land und 120 Fließgewässerstandorte werden in einem Zeitraum von fünf bzw. vier Jahren untersucht. Danach wird der Erhebungszyklus wiederholt, um Veränderungen und Tendenzen feststellen zu können. Das Langzeitprojekt dient einerseits der Grundlagenforschung, andererseits soll es die Basis für wissenschaftliche Entscheidungen in Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung liefern.

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