null

magazine_ Article

Die künftigen Wächter der Obstbäume

Künstliche Intelligenz und Sensoren, um Schädlinge zu bekämpfen und den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren

Andrea De Giovanni
Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
by Andrea De Giovanni

Die exotische Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) und der Apfelwickler (Cydia pomonella) richten große Schäden im Obstanbau an. Die bisher ergriffenen Bekämpfungsmaßnahmen reichen nicht aus, um ihre Ausbreitung zu verhindern. Ein Forschungsprojekt zielt darauf ab, neue Lösungen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Sensoren zu entwickeln.

Im Kellergeschoss des Versuchszentrums Laimburg flattert ein Fliegenschwarm lautlos in einer Vitrine. Die Fliegen bewegen sich hektisch im bläulichen Licht, während das Brummen der wissenschaftlichen Geräte ertönt. Ihre Körper sind so klein wie Sesamkörner, ihre Augen groß und rot. Die Kirschessigfliegen, oder Drosophila suzukii, wie sie auch genannt werden, schaden unter anderem auch dem Obstanbau in Italien. Ständig ruht ein Blick auf ihnen, der jeden ihrer Flügelschläge prüft. Es ist kein menschlicher Blick. Was den Flug der Fliegen „beobachtet“, ist ein Infrarotsensor, der in der Lage ist, auch die kleinste Auffälligkeit zu erfassen. Jedes Mal, wenn der Sensor den Flug einer Fliege registriert, sammelt das System neue Daten. Aber das ist noch nicht alles. Der Sensor ist nur ein Teil einer viel komplexeren Technologie, die sich noch in Entwicklung befindet: ein Algorithmus. Dabei handelt es sich um eine künstliche Intelligenz, die, sobald sie ihr Training abgeschlossen hat, in der Lage sein wird, pflanzenschädliche Arten zu erkennen und ihre Anwesenheit frühzeitig zu melden. Der Algorithmus ist einer der künftigen Wächter der Obstanlagen und zählt zu den jüngsten Maßnahmen im Kampf gegen Schädlinge in der Landwirtschaft.

Für die Fliegenart Drosophila suzukii ist eine Kirsche nicht nur eine begehrte Mahlzeit, sondern auch die Absicherung ihrer Nachkommen. Dem saftigen Fruchtfleisch der Kirsche vertrauen die Weibchen dieser Art ihre Nachkommen an. Und im Gegensatz zu anderen Arten, die nur die weichen, faulenden Früchte fressen, legt die Kirschessigfliege ihre Eier im Inneren der unreifen Früchte ab. Die Larven fressen dann die Früchte von innen auf, und die Früchte sind dadurch nicht mehr für den Verkauf und Verzehr geeignet. Die exotische Kirschessigfliege kommt in Italien seit dem Jahr 2009 vor, in dem sie versehentlich aus Asien eingeschleppt wurde. Seitdem hat sich die Fliege dank ihrer ausgeprägten Anpassungsfähigkeit an gemäßigte Klimazonen und durch das Fehlen natürlicher Feinde rasant verbreitet. Dies alles zum Nachteil des Anbaus von Kirschen und Beerenobst wie Heidelbeeren und Himbeeren.

altCredit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
Eine Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) auf einer Kirsche.

Um das Problem einzudämmen, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen: So wurden beispielsweise Insektenschutznetze über die Obstbäume gespannt, um den Fliegen den Zugang zu verwehren, Pestizide eingesetzt und natürliche Feinde freigesetzt. Jede dieser Methoden ist zwar in der Lage, die durch den Befall verursachten Schäden einzudämmen, hat aber ihre Grenzen und unerwünschten Folgen. Netze verhindern nicht nur, dass die Kirschessigfliege die Kirschen erreicht, sondern auch bestäubende Insekten und verändern das Mikroklima der Bäume; Pestizide können dem Ökosystem und unserer Gesundheit schaden; natürliche Feinde bremsen die Vermehrung der Kirschessigfliege, sind aber nicht in der Lage, sie im Falle eines Befalls vollständig zu bekämpfen.

altCredit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
Die Kirschenanlage des Versuchszentrums Laimburg. Die Verwendung von Netzen zum Schutz von Obstanlagen ist eine der Maßnahmen, die gegen die Kirschessigfliege ergriffen werden können.

„Ein wichtiger Fortschritt wäre es, genau zu wissen, wann sich ein Befall anbahnt. Auf diese Weise könnten Netze und Pestizide nur dann eingesetzt werden, wenn sie tatsächlich benötigt werden“, sagt Silvia Schmidt, Entomologin am Versuchszentrum Laimburg. Und genau hier kommen Sensoren und künstliche Intelligenz ins Spiel. Silvia Schmidt leitet ein Forschungsprojekt zur Entwicklung innovativer Lösungen für die Schädlingsbekämpfung im Obstanbau. An diesem Projekt mit dem Namen INSTINCT sind das Versuchszentrum Laimburg, das Center for Sensing Solutions von Eurac Research, die unibz und zwei Unternehmen beteiligt, die sich auf die Entwicklung von Technologien mit künstlicher Intelligenz spezialisiert haben. „Eines unserer Ziele ist es, Insektenfallen zu entwickeln, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Kirschessigfliege identifizieren können. Jedes Mal, wenn eine Kirschessigfliege in die Falle gerät, sendet sie einen Alarm an den Obstbauer, der dann die entsprechenden Maßnahmen ergreifen kann“, erklärt die Projektleiterin. Damit die Fallen jedoch erkennen können, zu welcher Art die Fliegen gehören, müssen sie „geschult“ werden. „Wir sammeln derzeit Daten, mit denen wir den Algorithmus so lange schulen, bis er die Kirschessigfliege von ähnlichen Arten unterscheiden kann“, sagt Silvia Schmidt. Dazu verwendet das Projektteam einen Sensor, der erkennen kann, wie die einzelnen Arten während des Fluges mit Infrarotstrahlen interagieren. Sobald der Sensor Tausende dieser Schädlinge erkannt hat, werden die Daten an eine künstliche Intelligenz weitergeleitet und dienen als Anleitung zur Erkennung dieser Insekten.

Um das Vorhandensein von Kirschessigfliegen zu überwachen, muss man derzeit eine Anzahl an Kirschen sammeln und sie einzeln mit einer Vergrößerungslupe untersuchen, um nach dem Einstichloch zu suchen, das die Fliegen bei der Eiablage erzeugen.

altCredit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
Die Kirschessigfliegen legen ihre Eier im Inneren des Fruchtfleisches ab. Mit einem Mikroskop kann man das Einstichloch erkennen.

Um die Kontrolle der Kirschen zu vereinfachen, testet das Center for Sensing Solutions den Einsatz spezieller optischer Sensoren. „Diese Geräte senden einen Lichtstrahl aus und ermöglichen es, zu untersuchen, wie das Licht von der Frucht reflektiert wird“, sagt Gianluca Scuri, ein Forscher des Centers. „Denn wir nehmen an, dass gesunde Kirschen das Licht anders reflektieren als solche, die Eier der Kirschessigfliege enthalten.“

altCredit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
Das Spektralradiometer sendet einen Lichtstrahl aus und analysiert, wie es von der Frucht reflektiert wird. Die zu prüfende Hypothese lautet, dass Kirschen, die von Larven der Kirschessigfliege befallen sind, das Licht anders reflektieren als gesunde Kirschen.

Im Rahmen des Projekts werden die Kirschen mit dem Spektralradiometer analysiert, einem Messgerät, das nicht nur sichtbares Licht, sondern auch infrarotes und ultraviolettes Licht aussenden und aufzeichnen kann. Ziel ist es, die Art des Lichts zu identifizieren, das von den befallenen Kirschen reflektiert wird. „Dies ermöglicht uns, Instrumente zu entwickeln, die nur diese Wellenlängen ausstrahlen und erfassen“, erklärt Roberto Monsorno, der Leiter des Center for Sensing Solutions. „Wenn wir das Untersuchungsfeld dieser Sensoren eingrenzen, werden sie zugänglicher und praktikabler für den Einsatz im Feld.“ Ein ähnliches Messgerät, die Hyperspektralkamera, wird bereits von Monsornos Team in der Kirschobstanlage des Versuchszentrums Laimburg getestet.

altCredit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
Das Team des Center for Sensing Solutions testet eine praktische Outdoor-Version des Spektralradiometers in der Kirschenanlage des Versuchszentrums Laimburg.

Drosophila suzukii ist nicht der einzige Schädling, der die Obstbauern in Italien beschäftigt. Cydia pomonella, gemeinhin als Apfelwickler bekannt, ist eine Motte, die in den europäischen Wildapfelbäumen heimisch ist. Ihre Larven dringen in die Früchte ein, vor allem in Äpfel und Birnen, beschädigen sie und lassen sie vom Baum fallen. Die bisher am weitesten verbreitete Bekämpfungsmethode gegen den Apfelwickler ist die „sexuelle Verwirrung“: Dabei werden sogenannte Pheromone eingesetzt, chemische Stoffe, die denen ähneln, die von den Apfelwicklern zur Kommunikation auf weite Distanz verwendet werden. Durch den Einsatz dieser Stoffe werden die Männchen der Apfelwickler daran gehindert, Weibchen zu finden und sich fortzupflanzen.

Image 1 of 2
Die Kammer, in der die Motten der Art Cydia pomonella im Versuchszentrum Laimburg gezüchtet werden. Die Exemplare werden verwendet, um den Algorithmus für die künstliche Intelligenz zu schulen, auf den sich die intelligenten Fallen stützen werden.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
Image 2 of 2
Cydia pomonella PuppenCredit: Eurac Research | Andrea De Giovanni

Die Technik der sexuellen Verwirrung funktioniert jedoch nicht immer. Pheromone haben keine weitreichende Wirkung. Um wirksam zu sein, müssten sie in allen Obstanlagen freigesetzt werden. Eine Alternative ist die Verwendung eines Virus, der die Larven angreift und abtötet. Dieser Virus muss jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt im biologischen Lebenszyklus der Motte eingesetzt werden: zu dem Zeitpunkt, an dem die meisten Weibchen ihre Eier ablegen. Wenn dieses Zeitfenster verpasst wird, ist der Eingriff nutzlos. „Zur Bekämpfung des Apfelwicklers arbeiten wir an zwei Fronten: mit intelligenten Fallen, wie bei der Kirschessigfliege, und mit Umweltsensoren“, sagt Roberto Monsorno. „Wir verwenden Sensoren für Feuchtigkeit, Temperatur, Sonnenlicht, Niederschlag, Windstärke und -richtung, um die Umweltbedingungen in der Obstanlage zu überwachen. Die so gewonnenen Informationen werden zusammen mit der Anzahl der Fänge analysiert, um einen Zusammenhang zwischen den Umweltparametern und der Häufigkeit der Motten zu finden.“ Der letzte Schritt der Studie besteht in der Entwicklung einer EDV-Anwendung, die auf der Grundlage von Echtzeit-Sensormessungen und künstlicher Intelligenz die Obstbauern bei einem drohenden Befall warnt.

altCredit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
Eine der Fallen zur Feststellung des Apfelwicklers, die in der Apfelanlage des Versuchszentrums Laimburg getestet werden.

Das Projekt


Das von der Europäischen Union (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung EFRE) kofinanzierte Projekt INSTINCT wird vom Versuchszentrum Laimburg geleitet und zusammen mit der Freien Universität Bozen, dem Center for Sensing Solutions von Eurac Research und dem privaten Unternehmen FOS SpA durchgeführt.

share
Credits: undefined

Related Content

Eurac Research Magazine