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Umfrage: Die Politik sollte den Klimaschutz vor wirtschaftliche Interessen stellen
Die Ergebnisse einer Umfrage in Südtirol zeigen, dass der Wunsch nach mehr Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit groß ist
Es sollte in Südtirol mehr für den Klimaschutz getan werden, und die Politik sollte Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels vor wirtschaftliche Interessen stellen. Dieser Meinung ist der Großteil der rund 1.300 Südtirolerinnen und Südtiroler, die im Rahmen einer Umfrage des Landesinstituts für Statistik ASTAT und Eurac Research zu ihren Einschätzungen, Ansichten und Verhaltensweisen in Bezug auf Klimawandel, Klimaschutz und Nachhaltigkeit befragt wurden.
„Die Ergebnisse zeigen ganz eindrücklich, dass der Klimawandel von fast allen Südtirolerinnen und Südtirolern, nämlich von über 96 Prozent, als ernstes Problem für die Welt wahrgenommen wird, das sich auch ganz konkret und mit überwiegend negativen Folgen auf das Leben in Südtirol auswirkt“, resümiert Felix Windegger, Sozioökonom von Eurac Research. Es ist daher nicht verwunderlich, dass fast zwei Drittel der Befragten angeben, dass in Südtirol mehr für Klimaschutz getan werden solle. In der Verantwortung sehen sie vor allem die Landesregierung (75 Prozent), die Unternehmen (74 Prozent) sowie die Bürgerinnen und Bürger selbst (69 Prozent). Etwa 84 Prozent sind der Ansicht, Südtirol müsse den Energie- und Ressourcenverbrauch zugunsten des Klimas reduzieren. 82 Prozent der Befragten gaben an, dass man auch in Sachen Klimaanpassung einen Zahn zulegen müsse, um für die Folgen gewappnet zu sein. Über 70 Prozent sind der Meinung, dass die Politik den Klimaschutz vor wirtschaftliche Interessen stellen sollte. Die Bevölkerungsbefragung zum Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit ist eine Kooperation von Eurac Research und dem Landesinstitut für Statistik ASTAT und wurde erstmals im Rahmen des ASTAT-Panels „So denkt Südtirol“ durchgeführt. „Das ASTAT-Panel wurde 2022 ins Leben gerufen. Es bietet eine gute Möglichkeit, um kurzfristig über statistische Daten zu verschiedensten Themen zu verfügen“, erläutert Timon Gärtner, der Direktor des Landesinstituts für Statistik – ASTAT.
Verantwortung beim Klimaschutz
Handlungswunsch beim Klimaschutz
Die Ergebnisse zeigen ganz eindrücklich, dass der Klimawandel von fast allen Südtirolerinnen und Südtirolern, nämlich von über 96 Prozent, als ernstes Problem für die Welt wahrgenommen wird, das sich auch ganz konkret und mit überwiegend negativen Folgen auf das Leben in Südtirol auswirkt.
Felix Windegger, Sozioökonom – Eurac Research
Im Zuge der Umfrage wurde außerdem erhoben, wie die Bevölkerung zu unterschiedlichen politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels steht. Ob es nun darum geht, klimaschädliche Produkte zu verteuern (84 Prozent) oder etwa im Falle von neuen Ölheizungen, diese zu verbieten (86 Prozent), verstärkt in die Forschung und Entwicklung zu klimafreundlichen Produkten und Technologien zu investieren (91 Prozent) oder die Umweltbildung an Schulen und in Betrieben zu fördern (95 Prozent): Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten Menschen die zum Klimaschutz notwendigen Schritte als eher bzw. sehr wichtig einstufen.
Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit
Klimawandelskeptisch äußerte sich mit 5 Prozent nur eine Minderheit der Befragten. „Fast 70 Prozent sind überzeugt, dass der Mensch mit seinem Handeln Hauptverursacher des Klimawandels sei. Knapp ein Viertel der Befragten gab jedoch an, dass menschliches Handeln und natürliche Prozesse zu gleichen Teilen Auslöser der Klimakrise seien – und das, obwohl in der Klimaforschung Konsens darüber besteht, dass menschliche Aktivitäten die Hauptursache des momentanen Temperaturanstiegs sind“, unterstreicht Windegger. Aufholbedarf gebe es daher immer noch in Sachen Information und Kommunikation. Das zeigt sich auch daran, dass fast ein Drittel der Südtirolerinnen und Südtiroler angibt, noch zu wenig über das Thema Klimawandel und Klimaschutz zu wissen.
Primäre Ursache des Klimawandels (nach Alter & Bildungsabschluss)
Die Ergebnisse der Umfrage weisen auf einen starken Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit in der Südtiroler Bevölkerung hin, der sich durch alle Altersgruppen und Bildungsstufen zieht. So denken 94 Prozent der Befragten, dass in Südtirol mehr für Nachhaltigkeit getan werden sollte, vor allem in den Bereichen Mobilität, Tourismus, Handel und Konsum sowie in der Landwirtschaft. Der Großteil der Südtirolerinnen und Südtiroler ist laut eigenen Angaben bemüht, sich im Alltag nachhaltig zu verhalten, allerdings nur, solange es sich auch ohne großen Aufwand umsetzen lässt. Das spiegelt sich auch in den konkreten Verhaltensweisen wider. Während Mülltrennung und die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten beim Lebensmittelkauf für die meisten zum Alltag gehört, könnte sich mehr als die Hälfte der Südtirolerinnen und Südtiroler nicht vorstellen, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Auch das aktive Engagement für mehr Nachhaltigkeit – beispielsweise durch die Mitarbeit in einer Umweltschutzorganisation oder die Teilnahme an Demonstrationen – ist in der Bevölkerung gering ausgeprägt.
Die Wichtigkeit der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit
Einschätzung des Handlungsbedarfs in Bezug auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit
Wie wichtig sind den Menschen in Südtirol eine intakte Natur und Ökosysteme, soziale Gerechtigkeit und eine starke, wettbewerbsfähige Wirtschaft? Die Ergebnisse zeigen, dass der intakten Natur die größte Bedeutung für die Entwicklung Südtirols in den kommenden zehn Jahren zugeschrieben wurde. 95 Prozent stufen diese als eher bzw. sehr wichtig ein, dicht gefolgt von der sozialen Gerechtigkeit (92 Prozent). Deutlich abgeschlagen findet sich die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit (79 Prozent). Den größten Handlungsbedarf sehen die Befragten im Bereich der sozialen Gerechtigkeit (fast zwei Drittel). Etwa 60 Prozent sprechen sich dafür aus, dass mehr Maßnahmen zum Schutz unserer Ökosysteme ergriffen werden. In Bezug auf die wirtschaftliche Situation zeigt sich eine völlig andere Einschätzung: Beinahe die Hälfte (46 Prozent) ist mit den derzeitigen Bemühungen in diesem Bereich zufrieden. Jede und jeder Fünfte findet sogar, dass diesbezüglich zu viel getan werde.
Jüngere Menschen fühlen sich zwar gut informiert, schätzen ihr eigenes Verhalten – vielleicht auch gerade weil sie bereits sensibilisiert sind – als weniger nachhaltig ein.
Felix Windegger, Sozioökonom – Eurac Research
Was den Blick in die Zukunft anbelangt, so zeigt die Studie ein gespaltenes Bild. Beinahe die Hälfte der Befragten, nämlich 45 Prozent, gab an, pessimistisch in die Zukunft zu schauen. Als die größten globalen Herausforderungen wurden ökologische Krisen wie der Klimawandel und die Zerstörung der Natur sowie bewaffnete Konflikte genannt. Auch Armut, Hunger und Trinkwassermangel sind in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor sehr präsent.
Ein zwiegespaltener Blick in die Zukunft
Ökologische Krisen und Kriege als zentrale globale Herausforderungen
Unterschiede stellt die Studie nach Geschlecht, Sprachgruppe, Bildung und Alter fest. „Jüngere Menschen fühlen sich zwar gut informiert, schätzen ihr eigenes Verhalten – vielleicht auch gerade weil sie bereits sensibilisiert sind – als weniger nachhaltig ein und sind auch seltener dazu bereit, mehr für klimafreundliche Produkte auszugeben. Gleichzeitig ordnen sie Wirtschaftskrisen als größere globale Herausforderungen ein als es etwa die ältere Generation tut“, sagt Felix Windegger. Eine genaue Interpretation sei schwierig. Die Ergebnisse könnten aber durchaus auf ein generelles Unsicherheitsempfinden junger Menschen hinweisen – auch, was ihre finanzielle Zukunft anbelangt.
Die Umfrage - Hintergrund und Methodik
Die Bevölkerungsbefragung zum Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit ist eine Kooperation von Eurac Research und dem Landesinstitut für Statistik ASTAT und wurde im Sommer 2022 mit rund 1.300 Bürgerinnen und Bürgern der Autonomen Provinz Bozen durchgeführt. Die Umfrage erfolgte auf Basis einer Zufallsstichprobe und lässt daher Rückschlüsse auf die Gesamtbevölkerung zu. Die Befragung wurde erstmals im Rahmen des ASTAT-Panels „So denkt Südtirol“ durchgeführt. Eine regelmäßige Wiederholung der Befragung ist angedacht. Die detaillierten Ergebnisse stehen hier zum Download zur Verfügung.