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„Es hat mich überrascht, wie unterschiedlich die Realität wahrgenommen wird“

Eine Studie beleuchtet Erfahrungen von Lehrlingen mit Migrationshintergrund

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by Laura Defranceschi

Es werden nur wenige Fälle von Diskriminierung in Südtirol offiziell gemeldet. Dabei machen viele Lehrlinge mit Migrationshintergrund Erfahrungen von Ausgrenzung und Alltagsrassismus, wie eine Studie von Eurac Research zeigt. Die Betroffenen sind sich dessen allerdings oft nicht bewusst. Welcher Vorfall der Anlass für die Untersuchung war und welches Bild sich in Südtirol zeigt, erzählt Johanna Mitterhofer, Sozialanthropologin von Eurac Research und Verantwortliche der Studie.

Warum wurde gerade jetzt eine Studie zu Lehrlingen und Diskriminierung durchgeführt?

Johanna Mitterhofer: Es gab einen Vorfall in einem Friseursalon, wo eine junge Frau als Lehrling arbeitete. Blond, blauäugig und akzentfrei Südtiroler Dialekt sprechend, frisierte sie einer Kundin die Haare. Als sie kurz mit einer Kollegin zwei Worte auf Albanisch wechselte, stand die Kundin – noch nicht fertig frisiert – unvermittelt auf und verließ den Salon mit den Worten: „Ich lasse mich doch von einer Ausländerin nicht anfassen!“ Der Vorfall sorgte für Betroffenheit, und als er der Gewerkschaft AGB-CGIL gemeldet wurde, wendete sich die an uns mit der Bitte, zu untersuchen, ob dies ein Einzelfall war oder inwieweit solche Vorkommnisse in Südtirol verbreitet sind.

Und welches Bild hat sich gezeigt – wie häufig kommt es vor, dass Lehrlinge mit Migrationshintergrund diskriminiert werden?

Mitterhofer: Während der Studie haben wir gesehen, dass nicht viel über Diskriminierung gesprochen wird. Viele Befragte waren der Meinung, dass es in der Arbeitswelt in Südtirol wenig Rassismus gibt. Aber in den vertiefenden Interviews hat sich gezeigt, dass Alltagsrassismus sehr wohl verbreitet ist. Das beginnt bei Witzen über den Akzent, oder dass man zur gemeinsamen Kaffeepause nicht eingeladen wird – also subtile Ausgrenzungen, die man als „kleinere“ und „nicht böse gemeinte“ Vorkommnisse abtun könnte – und geht bis hin zu ganz offensichtlicher Diskriminierung, etwa, dass man immer die schlechteren Arbeitszeiten zugeteilt bekommt als die einheimischen Kolleginnen und Kollegen. In unserer Studie hat sich gezeigt, dass es sehr viele Schattierungen von Diskriminierung gibt. Gerade deshalb ist es schwierig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was Diskriminierung oder Alltagsrassismus ist. Das aber ist die Voraussetzung, dass Betroffene darüber reden können – gerade wenn es Jugendliche sind, die als Lehrlinge in der Hierarchie ihres Arbeitsumfelds ganz unten stehen –, und dass man gezielte Maßnahmen dagegen ergreifen kann. Es hat mich schon überrascht, dass es diese Diskrepanz gab: Auf der einen Seite Interviews, in denen gesagt wurde, eigentlich sei alles in Ordnung und es gebe keine Probleme; und auf der anderen Seite Erzählungen von großen Schwierigkeiten, mit mannigfaltigen Beispielen von Diskriminierung.

Wo muss Ihrer Meinung nach angesetzt werden, um die Situation zu verbessern?

Mitterhofer: Zum einen muss mehr darüber geredet werden, was Diskriminierung bedeutet, welches die Rechte und Pflichten von Lehrlingen sind. Viele wissen nicht, was in einem Arbeitsvertrag steht, was Arbeitgeber dürfen und was nicht. Dadurch können sie leicht zu Opfern von ungerechter Behandlung oder Ausnutzung werden. Aufklärungsarbeit sollte aber vor allem auch außerhalb der Schulen geleistet werden, also in der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Es wird zwar sehr viel über Arbeitskräftemangel geredet, aber noch viel zu wenig über Diskriminierung. In den Unternehmen und Betrieben Südtirols muss mehr Sensibilisierung stattfinden und proaktiv mit dem Thema Diskriminierung umgegangen werden.

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„Lehrlinge, Diskriminierung und Alltagsrassismus in Südtirol“

Die Studie wurde von Eurac Research im Auftrag der Gewerkschaft AGB--CGIL durchgeführt. Die Datenerhebung erfolgte von Dezember 2023 bis März 2024. Es wurden Fragebögen ausgewertet, die von Lehrlingen aus drei Südtiroler Berufsschulen ausgefüllt worden waren, sowie Interviews mit Fachleuten aus den Bereichen Berufsbildung, Schule, Arbeit und Integration geführt und Workshops mit Lehrlingsklassen durchgeführt.

Die Ergebnisse wurden am 30. September im Rahmen einer Veranstaltung am Forschungszentrum Eurac Research vorgestellt und diskutiert.

Die Publikation zur Studie und ihren Ergebnissen kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://doi.org/10.57749/2fhc-0p09

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