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Fahrerlose Busse in den Tälern
Autonom fahrende öffentliche Fahrzeuge könnten die Mobilität in ländlichen Gebieten verbessern. Eine Grundlagenforschung untersucht, wie.
Ein Team von Eurac Research und der Technischen Universität Wien hat untersucht, wie selbstfahrende – also fahrerlose – Fahrzeuge die Mobilität in einem abgelegenen Alpental in den kommenden Jahrzehnten verändern könnten. Die Forschung regt uns dazu an, heute schon darüber nachzudenken: Wie sehr beeinflusst die Art der Mobilität in einem Gebiet das Leben der Menschen unterschiedlichen Alters und Einkommens dort?
Eine Woche lang fuhr im Winter 2019 ein ungewöhnlich kleiner, weißer Bus durch die Straßen der Meraner Innenstadt seine Runden um den Weihnachtsmarkt. Das Fahrzeug beförderte jeweils ein Dutzend Personen und zwei Techniker, die gewährleisteten, dass alles einwandfrei funktionierte. Denn dem Bus fehlte etwas Grundlegendes: eine Person am Steuer.
Für Italien war dies eine Neuheit – es war noch nicht oft ein autonomes, d.h. fahrerloses, öffentliches Fahrzeug in einer realen Situation getestet worden. Zu den technischen Partnern dieses Projekts gehörte, neben den Verkehrsunternehmen und der Stadt Meran, auch der NOI Techpark. Einige Jahre später, genauer gesagt im Jahr 2022, startete auch in der Stadt Turin ein ähnliches Experiment. Im restlichen Europa waren fahrerlose Busse – auf experimenteller Basis – beispielsweise in den Straßen von Paris, Edinburgh, Stockholm und Wien unterwegs.
Die Zulassung dieser Art von Technologie stößt jedoch noch auf organisatorische und technische Hürden. Sie im Feld zu testen, hilft dabei, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sich die Mobilität in den nächsten Jahrzehnten verändern könnte. In diesem Zusammenhang ist auch die Grundlagenstudie zur fahrerlosen Mobilität zu sehen, die ein Team von Eurac Research und der TU Wien durchführt. Sie enthält einige Neuheiten.
Haben selbstfahrende Busse im ländlichen Raum eine Zukunft?
Ohne fahrerlose Fahrzeuge direkt zum Einsatz kommen zu lassen, sondern mit Simulationen und Berechnungen am Schreibtisch, hat ein Forschungsteam von Eurac Research und der Technischen Universität Wien untersucht, auf welche Weise autonome öffentliche Fahrzeuge wie Busse, Sammeltaxis und andere sogenannte Demand-Responsive-Transport-, kurz DRT-Systeme, die Mobilität gerade in „abgelegeneren“ Gebieten verändern könnten.
„Normalerweise konzentriert sich die wissenschaftliche Forschung auf selbstfahrende öffentliche Verkehrsmittel in Städten, wo das Fahrgastaufkommen natürlich höher ist“, sagt Alberto Dianin, Forscher am Institut für Regionalentwicklung und einer der Autoren der Studie, „aber eigentlich könnten diese Systeme auch im ländlichen Raum enorme Vorteile bringen.“ Im Rahmen des Projekts wurden zwei ausgewählte ländliche Gebiete in Österreich und Südtirol untersucht.
Wir lassen uns vom Wissenschaftler das Südtiroler Untersuchungsgebiet beschreiben: Mühlwald, ein Seitental des Ahrntals am Fuße der Dreitausender des Grenzkamms. „Dieses Tal hat nur sehr wenige Einwohner, etwa 1.400, und nur eine Buslinie. Der derzeitige Linienbus verkehrt stündlich, von etwa sechs Uhr morgens bis etwa acht Uhr abends. Das ist kein schlechtes Angebot, aber für die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht ausreichend“, erklärt Dianin. „Wir haben uns auf eine Reise in die Zukunft aufgemacht und uns gefragt: Könnten neue autonome Fahrtechnologien den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln in den entlegensten Gebieten unseres Landes verändern? Und vor allem: Wie müssten solche Dienste organisiert sein, damit sie der Bevölkerung des Tals den maximalen Nutzen bringen?“
Vorläufige Ergebnisse der Studie und ein Blick in die Zukunft
Ausgehend vom aktuellen Budget und den aktuellen Fahrgastzahlen wurden fünf Szenarien zur Verbesserung des Dienstes mit selbstfahrenden Fahrzeugen entwickelt. Würde man beispielsweise den derzeitigen Linienbus durch einen autonom fahrenden ersetzen, könnte man die Anzahl der Fahrten auf eine alle 25 Minuten erhöhen und die Betriebszeiten auf von 6 Uhr bis 22 Uhr verlängern.
„Die derzeitige Buslinie könnte zum Beispiel durch gemeinsam genutzte sogenannte Dial-a-Ride-Shuttles, also Busse auf Abruf, ersetzt werden. Die Nutzer könnten den Service online oder per Telefon anfordern, an Haltestellen im gesamten Gemeindegebiet auf den Bus warten und dann zu einem der angegebenen Zielorte fahren“, erklärt Dianin. „Dieser Service könnte während der Hauptverkehrszeiten am Morgen und am Nachmittag etwa alle 10 Minuten und während des restlichen Tages etwa alle 25 Minuten eine Busverbindung auf Abruf anbieten.“
Über eine gerechte Zugänglichkeit der Gebiete
Untersuchungen dieser Art veranlassen dazu, über die Zugänglichkeit des öffentlichen Verkehrs für verschiedene soziale Gruppen nachzudenken. Haben ältere Menschen in einem ländlichen Gebiet die gleichen Möglichkeiten sich fortzubewegen, zu leben und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen wie jüngere Menschen? Können weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten gleich mobil sein wie die reicheren?
Es geht darum, zu verstehen, ob und wie die Einführung neuer Technologien den Verkehr nachhaltiger und gerechter machen kann. „Wenn wir von Zugänglichkeit sprechen, beziehen wir uns auf einen sehr präzisen technischen Parameter“, erklärt Elisa Ravazzoli, Soziologin und Expertin für Humangeographie am Center for Climate Change and Transformation. Zugänglichkeit ist definiert als das Ausmaß, in dem Flächennutzung und Verkehrssysteme es den Menschen ermöglichen, Aktivitäten oder Ziele mit einem oder mehreren Verkehrsmitteln zu erreichen. „Im Wesentlichen handelt es sich um einen Parameter, der uns sagt, ob die Art und Weise, wie wir ein Gebiet und die Verkehrsmittel organisieren, es allen ermöglicht, sich auf faire Weise fortzubewegen, ohne dass es zu Unterschieden zwischen Gruppen von Menschen kommt – wie etwa Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten oder Menschen unterschiedlichen Alters“, so Ravazzoli weiter. Zukünftige Technologien wie selbstfahrende Fahrzeuge werden auf der Basis dieser Überlegungen entwickelt. „Natürlich sind dies Annahmen, die sich auf neuartige Technologien auswirken, die im Alltag noch gar nicht vorkommen“, merkt Dianin an. „Wenn wir uns solche Szenarien anschauen, beinhaltet das eine gewisse Ungewissheit in Bezug auf die künftige Entwicklung der Automatisierung. Nichtsdestotrotz erlauben uns diese Studien, darüber nachzudenken, wie diese Technologien die Lebensqualität und die Nachhaltigkeit ländlicher Gebiete in den kommenden Jahrzehnten verbessern könnten.“
Kurz gesagt, es ist durchaus sinnvoll, sich mit möglichen zukünftigen Entwicklungen zu befassen, wenn man dabei die Bedürfnisse und Probleme von heute mitbedenkt.
Die wissenschaftlichen Paper
Die vorläufigen Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Public Transport veröffentlicht worden. Hier geht’s zum Open-Access-Artikel “What can be done with today’s budget and demand? Scenarios of rural public transport automation in Mühlwald (South Tyrol)”.
Eine Analyse zur Fachliteratur über die Auswirkungen von autonomen Fahrzeugen auf die Zugänglichkeit und Gerechtigkeit im Bereich der Mobilität wurde in der Fachzeitschrift Sustainability veröffentlicht. Hier geht’s zum Open-Access-Artikel “Implications of Autonomous Vehicles for Accessibility and Transport Equity: A Framework Based on Literature”.