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Klein ist schön! Oder doch nicht immer?

Der Agrarwissenschaftler Matthias Gauly und der Geograf Thomas Marsoner im Gespräch über nachhaltige Landwirtschaft

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Ein kleiner Hof, auf dem der Bauer jede Kuh mit Namen kennt, stellt für den Konsumenten vom Image her das Ideal dar. Ein großer Betrieb kann aber ganz anders investieren – etwa in Laufställe, die für die Tiere besser sein können als die Anbindehaltung.

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Rolf Fischer

Sind Südtirols landwirtschaftliche Produkte so nachhaltig produziert, wie das Marketing uns weismachen will? Keineswegs immer, sind sich der Geograf Thomas Marsoner von Eurac Research und der Agrarwissenschaftler Matthias Gauly von der unibz einig. Was also braucht es für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft?

Nachhaltigkeit ist ein strapazierter Begriff, den jeder ein wenig so auslegt, wie es gerade ins Konzept passt. Deshalb: Was verstehen Sie unter einer nachhaltigen Landwirtschaft?

Thomas Marsoner: Nachhaltigkeit hat drei Komponenten, da sind alle Definitionen sich einig: eine wirtschaftliche, eine soziale und eine ökologische. Landwirtschaft ist demnach nachhaltig, wenn der Bauer von seiner Arbeit leben kann und soziale Faktoren wie Arbeitsbedingungen oder Geschlechterrollen im Betrieb ebenso stimmen wie ökologische. Bislang erhalten die Umweltaspekte am wenigsten Aufmerksamkeit – auch in der Forschung; und wenn, dann ist der Blickwinkel meist anthropozentrisch, das heißt, es geht um die Qualität der Produkte bzw. die Unversehrtheit des Menschen. Doch die Umwelt leidet auch unter Mitteln oder Methoden, die für Menschen nicht schädlich sind.

Wir bräuchten also im ökologischen Bereich eine ganzheitlichere Perspektive?

Marsoner: Ja, und da geht es dann zum Beispiel darum, zu prüfen, wie ressourcenschonend die Landwirtschaft arbeitet, ob Böden, Wasser und die Luft geschützt werden, ob Ökosysteme und die biologische Vielfalt auch für kommende Generationen erhalten werden. Und das nicht nur aus regionaler, sondern auch aus globaler Perspektive.

In vielen Bereichen verfügen wir gar nicht über ausreichend Daten und Informationen, um die Nachhaltigkeit zu bewerten.

Thomas Marsoner

Wenn wir bei der regionalen Perspektive bleiben: Herr Prof. Gauly, welche Note würden Sie Südtirols Landwirtschaft in puncto Nachhaltigkeit geben?

Matthias Gauly: Eine Note zu geben, ist fast unmöglich. Was man aber sicher sagen kann: In einigen Bereichen muss sich in Zukunft etwas ändern. Denn wie uns Beispiele wie die Diskussion in Mals zeigen: die drei Säulen der Nachhaltigkeit stehen teilweise in Konflikt miteinander. Es gilt also, Kompromisse zu finden, ohne das zu gefährden, was wir erhalten wollen – zum Beispiel die heutige Form einer kleinstrukturierten Berglandwirtschaft.

Eine kleinstrukturierte Landwirtschaft wird uns – zumindest vom Marketing – als per se nachhaltiger verkauft.

Gauly: Die Kleinstrukturiertheit bringt Vor- und Nachteile. Vom Image her stellt ein Bergbauernhof, auf dem der Bauer jede Kuh mit Namen kennt, für den Konsumenten natürlich das Ideal dar. Auch die soziale Kontrolle ist hier größer, jeder im Dorf weiß, was der Bauer wie macht. Doch die Formel: „Klein ist gut und groß ist schlecht“ funktioniert sicher nicht. Ein großer Betrieb kann ganz anders investieren – etwa in Technologien für eine präzisere, effizientere Gülleausbringung, oder in Laufställe, die für die Tiere besser sein können als die Anbindehaltung.

Der Geograf Thomas Marsoner (links) und der Argrarwissenschaftler Matthias GaulyCredit: Eurac Research

Sie beide haben an einem Landwirtschaftsbericht zur Nachhaltigkeit mitgearbeitet, den Eurac Research gerade herausgebracht hat. Kann man sagen, wo er besondere Defizite aufzeigt?

Marsoner: Generell ist der Bericht als ein erster Schritt zu sehen, um in Zusammenarbeit verschiedener Forschungsrichtungen den Status quo zu erfassen. Dabei zeigt sich vor allem, dass wir in vielen Bereichen gar nicht über ausreichend Daten und Informationen verfügen, um die Nachhaltigkeit zu bewerten. Vieles wurde noch nicht angedacht – manches will man vielleicht auch gar nicht erheben und untersuchen.

Gauly: Im Bereich Tierwohl ist das ganz deutlich: Da fehlt ein Monitoring. So ist es unmöglich, zu sagen, wo wir stehen, was gut oder was schlecht läuft. Dass es einen Nachhaltigkeitsbericht geben wird, zeigt aber schon, dass sich hier langsam etwas ändert, auch weil der Druck vom Markt immer größer wird. Südtirol verkauft seine Produkte ziemlich gut und teuer – auch und vor allem dank des Images von Naturnähe, das vermarktet wird. Doch der Beweis dafür muss erbracht werden, und dafür brauchen wir Zahlen.

Man müsste die Konsumenten in Dubai oder China überzeugen, dass so ein bisschen Schorf auf dem Apfel schon in Ordnung ist, weil wir biologisch erzeugen.

Matthias Gauly

Das heißt, wenn Südtirol seine Milch weiterhin sehr viel teurer verkaufen will als deutsche oder holländische Bauern, dann muss man hier nachhaltiger produzieren?

Gauly: Langfristig wird man nicht behaupten können, unsere Bergmilch stamme rein aus unserer Natur, wenn etwa die Hälfte der Energie für ihre Produktion in Form von Kraftfutter von außerhalb der Region importiert wird. Hier muss sicher extensiviert und auch stärker auf lokale Rassen gesetzt werden, damit die Geschichte, die das Produkt uns erzählen will, tatsächlich stimmt. Schwieriger ist es im Apfelbereich, wo der Großteil der Ernte in die ganze Welt geht: Man müsste die Konsumenten in Dubai oder China überzeugen, dass so ein bisschen Schorf auf dem Apfel schon in Ordnung ist, weil wir biologisch erzeugen.

Ist die Vision eines nachhaltigen Südtirols automatisch mit biologischer Produktion verbunden?

Gauly: Wenn wir eine Vision für Südtirol entwickeln, müssen wir alle drei Aspekte der Nachhaltigkeit beachten. Man kann nicht sagen, ich will morgen nur noch Bio – auch weil eine biologische Produktion nicht automatisch nachhaltiger ist. Die Bioeffizienz in der Tierhaltung, also zum Beispiel die Futterverwertung, ist etwa in der konventionellen Landwirtschaft viel besser.

Marsoner: Ich denke, um die Vision eines nachhaltigen Südtirols auszuarbeiten, brauchen wir noch viel mehr Daten und Forschung. Und wie die Überlegungen zum Apfel zeigen: Eine Bioregion erfordert die Bereitschaft der Gesellschaft, das eigene Konsumverhalten teilweise umzustellen.

Sollte das System Landwirtschaftsförderung verändert werden, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen?

Marsoner: Fördermittel können ein wichtiges Instrument sein, wenn sie gezielt eingesetzt werden, etwa um ökonomische Nachteile auszugleichen, die sich für den Bauer eventuell ergeben, wenn er verstärkt auf Umweltaspekte achtet. Da besteht noch viel Potenzial. Denkbar ist zum Beispiel, Ökosystemleistungen zu entlohnen, die im Moment keinen Marktwert haben, obwohl sie unbestreitbar von großem Wert sind. Man kann argumentieren, dass die Berglandwirtschaft für Südtirol sehr viel mehr Wohlstand erzeugt, als an ihren Produkten zu ermessen ist – weil sie beispielsweise die Landschaft schafft, die die Region als Tourismusdestination attraktiv macht.

Gauly: Grundsätzlich ist Südtirol bei den Agrarförderungen erst mal zu loben, denn da ist man weiter als der Rest Europas. Während dort nämlich der Großteil der Gelder über die sogenannte erste Säule der EU-Förderung ausbezahlt wird – das sind Direktzahlungen an die Landwirte, einfach dafür, dass sie einen Hektar Land bewirtschaften oder eine Kuh halten – werden bei uns schon viele Mittel über Säule zwei ausgeschüttet, also über gezielte Förderprogramme für eine umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung. Die Steuermöglichkeiten, die das bringt, kann man aber sicher noch besser ausschöpfen. Besonders wichtig wäre aber auch mehr Forschungsförderung: Da liegt Südtirol erschrecken weit unter dem Durchschnitt. Das Land würde sich selbst viel Gutes tun, wenn es mehr in Forschungsprogramme im Bereich Nachhaltigkeit, ökologische Landwirtschaft und landwirtschaftliche Innovationen investierte.

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