magazine_ Article
Parkinsonforschung: Neue Ansätze zur Früherkennung
Auf Zellebene wurden erstmals Marker identifiziert, die mitochondriale Defekte anzeigen, auch wenn keine körperlichen Symptome auftreten
Viele gesunde Menschen tragen genetische Veränderungen in sich, die das Risiko, an Parkinson zu erkranken, erhöhen können. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sie aber nie daran erkranken. Eine Studie von Eurac Research hat gesunde Mutationsträgerinnen und -träger untersucht und erstmals anhand von Zellmodellen so genannte „molekulare Marker“ identifiziert, die für die Erkennung einer molekularen Dysfunktion in Frühstadien der Parkinsonerkrankung, aber auch für die Suche nach schützenden Faktoren eine wichtige Rolle spielen können.
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es für Parkinson noch keine Therapie, die den Krankheitsprozess aufhalten kann. Gerade die Früherkennung sowie die Untersuchung möglicher Risikofaktoren ist jedoch besonders wichtig. Denn wenn Parkinson diagnostiziert wird, hat die Krankheit meist schon großen Schaden angerichtet: Mindestens die Hälfte der Neuronen in der Substantia nigra im Mittelhirn geht zugrunde, bevor sich die typischen Symptome zeigen. Deshalb konzentriert sich die Forschung weltweit derzeit auf Methoden zur Früherkennung. Es geht darum, den Degenerationsprozess der Neuronen so früh wie möglich zu erkennen und aufzuhalten.
Das Besondere an unserer Studie ist, dass wir gesunde Menschen untersucht haben, die zwar eine genetische Veränderung in sich tragen, ansonsten aber keinerlei Krankheitssymptome aufweisen.
Irene Pichler, Molekularbiologin
Hier setzt auch die Studie der Molekularbiologin Irene Pichler von Eurac Research an: Sie untersuchte mit ihrem Forschungsteam Zellmodelle von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gesundheitsstudie CHRIS (eine auf lange Zeit angelegte Bevölkerungsstudie im Vinschgau, die Eurac Research mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb durchführt). Die Teilnehmer haben eine heterozygote Mutation im sogenannten Parkin-Gen, also eine Veränderung, die nur von einem Elternteil vererbt wurde; Parkin ist eines der Gene, das für eine erbliche Form von Parkinson verantwortlich ist, jedoch nur, wenn eine Mutation von beiden Elternteilen vererbt wird (homozygote Mutation). „Das Besondere an unserer Studie ist, dass wir gesunde Menschen untersucht haben, die zwar eine genetische Veränderung in sich tragen, ansonsten aber keinerlei Krankheitssymptome aufweisen“, so Pichler.
Von nur einem Elternteil vererbt oder von beiden?
Menschen, die eine Mutation im Parkin-Gen sowohl von ihrem Vater als auch von ihrer Mutter erben (homozygot oder compound heterozygot, ein und dieselbe oder zwei verschiedene Mutationen von beiden Elternteilen), werden mit hoher Wahrscheinlichkeit erkranken, und zwar meist an einer frühzeitig – häufig schon vor dem 45. Lebensjahr – auftretenden Form von Parkinson. Zum Glück ist dies jedoch selten. Häufiger wird eine Mutation nur von einem Elternteil vererbt (heterozygote Mutationen). Die CHRIS-Studie ermöglicht es, Träger von solchen heterozygoten Mutationen des Parkin-Gens zu identifizieren und zu untersuchen. Es sind Mutationsträger, die klinisch gesund sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Betroffenen erkranken, ist sehr gering; wenn die Krankheit aufritt, dann meist erst in fortgeschrittenem Alter und mit nur leichten Symptomen. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung vermutlich höher als bei Menschen ohne Mutation im Parkin-Gen, und deshalb ist es wichtig, molekulare Biomarker und schützende Faktoren zu identifizieren.
Die Analysen im Detail
Aus den Blutproben der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden Blutzellen entnommen und daraus sogenannte Lymphoblasten-Zellkulturen angelegt. Diese Zellmodelle wurden mehrere Wochen lang in Kultur gehalten und daraufhin untersucht. Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden auch sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen generiert, die zu Neuronen (Nervenzellen) differenziert werden und in der Zellkulturschale über Monate wachsen, bevor sie untersucht werden können. Dieser Vorgang muss mehrmals wiederholt werden.
Induzierte pluripotente Stammzellen sind Zellen, die so umprogrammiert werden, dass sie in ein Stadium zurückversetzt werden, das dem von Embryonalzellen ähnelt. Sie werden also zu „neutralen“ Stammzellen. Anschließend können sie in jeden beliebigen Zelltyp verwandelt (differenziert) werden, im Fall dieser Studie in Neuronen.Video: Eurac Research | Fabio Dalvit
„In beiden komplementären Zellmodellen haben wir die Auswirkungen der Mutation auf Zellebene untersucht“, unterstreicht Maria Paulina Castelo Rueda, die an diesem Projekt für ihre Doktorarbeit gearbeitet hat. Sowohl in den Zellmodellen der Blutzellen als auch in jenen der Neuronen hat das Forschungsteam die Mitochondrienfunktion gemessen. Denn es ist bekannt, dass die Mitochondrien, die die Zellen mit Energie versorgen, bei Mutationen des Parkin-Gens beeinträchtigt sind.
Das große Potential der Studienergebnisse liegt darin, dass die Marker in Zukunft dazu dienen können, zum einen früh – also bevor die Krankheit schon großen Schaden angerichtet hat – durch Interventionsstrategien entgegenzuwirken und zum anderen neue Therapieansätze und ihre Wirksamkeit zu überwachen.
Irene Pichler, Molekularbiologin
Marker zur Früherkennung – das Potential der Studienergebnisse
Bei beiden Zellmodellen – jenen der Blutzellen und jenen der Neuronen – zeigten sich Abweichungen der Mitochondrienfunktion, wie beispielsweise eine geringere Effizienz der Atmungskette und eine erhöhte Produktion von freien Radikalen, sodass die Energieproduktion nicht mehr optimal funktioniert. „In den Blutzellen, die sich fortlaufend erneuern, sieht es danach aus, als ob ein Kompensationsmechanismus im Gange wäre, der die Mitochondrien noch mehr arbeiten lässt, um den Stress auszugleichen, der durch eine Parkin-Mutation erzeugt wird“, erklärt Pichler. Während das Team bei den Blutzellen also eine erhöhte Mitochondrienfunktion messen konnte, war in den Nervenzellen hingegen eine abgeschwächte Mitochondrienfunktion zu sehen. Der Defekt ist dort auch deswegen schwerwiegender, da gerade Neuronen besonders viel Energie für ihre Stoffwechselprozesse benötigen und daher besonders von den Mitochondrien abhängig sind. „Das Spannende ist, dass man solche Defizite in der Mitochondrienfunktion auf der Zellebene auch bei gesunden Mutationsträgern nachweisen kann; die Effekte sind dabei kleiner als bei Patienten mit der Parkinson-Erkrankung“, sagt Pichler. „Der nächste Schritt besteht nun darin, dies mit einer größeren Anzahl von Studienteilnehmern zu vertiefen. Auch ist noch nicht klar, welche zusätzlichen Faktoren, beispielsweise Alter und Umwelteinflüsse, die Funktion der Mitochondrien im Zusammenspiel mit einer Parkin-Mutation so weit beeinträchtigen können, dass dies Krankheitsprozesse begünstigen kann. Mit solchen Markern könnte man aber möglicherweise sehr früh – wir sprechen von Jahren oder vielleicht sogar Jahrzehnten , bevor eventuell Gesundheitsprobleme oder Symptome einer Erkrankung auftreten – Funktionseinschränkungen der Mitochondrien nachweisen“, so Pichler. Es ist damit allerdings nicht möglich vorherzusagen, ob heterozygote Träger möglicherweise Krankheitssymptome entwickeln werden. Doch das große Potential der Studienergebnisse liegt darin, dass die Marker in Zukunft dazu beitragen können, zum einen früh – also bevor die Krankheit schon großen Schaden angerichtet hat – durch Interventionsstrategien entgegenzuwirken und zum anderen neue Therapieansätze und ihre Wirksamkeit zu überwachen.
Mehr zum Thema Parkinson finden Sie in unserem Dossier
Die Studie "Molecular phenotypes of mitochondrial dysfunction in clinically non-manifesting heterozygous PRKN variant carriers" kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: https://www.nature.com/articles/s41531-023-00499-9