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Weltraumbeobachtung der Wiesen
Am Institut für Erdbeobachtung werden Satelliten eingesetzt, um die Landwirtschaft vor Dürreschäden zu schützen
Almen sind nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich wertvoll, doch die Klimakrise bedroht ihre Produktivität. Um landwirtschaftliche Betriebe bei Verlusten entschädigen zu können, ist es wichtig, die durch die Dürre verursachten Schäden abzuschätzen. Aus der Kombination von Satellitendaten und Felderhebungen hat ein Forschungsteam einen Dürreindex entwickelt, mit dem sich die Ertragsverluste auf Wiesenflächen objektiv quantifizieren lassen.
Inmitten der Stille des Kosmos umkreisen die beiden Satelliten der Mission Copernicus Sentinel-2 die Erde und lassen sie nicht aus den Augen. Das Radiometer, mit dem sie ausgestattet sind, tastet die Erdoberfläche ab und sammelt dabei physikalische und chemische Daten. 700.000 Meter weiter unten, umgeben vom ständigen Summen der Insekten, bahnt sich Abraham Mejia Aguilar, Forscher am Center for Sensing Solutions von Eurac Research, seinen Weg durch das hohe Gras einer Bergwiese. Seine Umhängetasche ist vollgepackt mit Sensoren. Um die Zuverlässigkeit der Satellitendaten zu überprüfen, muss er sie mit jenen vergleichen, die er im Feld misst. Auf diese Weise können die von den Satelliten gelieferten Informationen genutzt werden, um die Schäden abzuschätzen, die durch Dürre auf den Wiesen entstanden sind.
Alpine Bergwiesen erbringen zahlreiche Ökosystemdienstleistungen. So sind sie die wichtigste Futterquelle für das Vieh, ein beliebtes Tourismusziel und sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Klimaregulierung, dem Erhalt der Landschaft und der biologischen Vielfalt, der Bewahrung der Bodenqualität, und dem Schutz vor Erosion. In den letzten Jahrzehnten haben die menschlichen Aktivitäten dazu geführt, dass das Klima immer trockener wurde. Die Bergwiesen bestehen aus Pflanzenarten, die gegen Wasserknappheit resistent sind. Dennoch können häufige und langanhaltende Dürreperioden, wie sie von Klimamodellen vorhergesagt werden, die Futterproduktion gefährden, insbesondere wenn sie im Frühjahr auftreten. Zu dieser Jahreszeit, wenn die Pflanzen gerade erst zu wachsen beginnen, benötigen sie nämlich besonders viel Wasser. Außerdem gibt es immer weniger Schnee in den Bergen und damit auch weniger Schmelzwasser. Hinzu kommen extreme Wetterphänomene wie sintflutartige Regenfälle und Hagelstürme, die immer häufiger auftreten werden. Vor allem wenn die Böden sehr trocken sind, sind sie dann nicht mehr in der Lage, eine so große Wassermenge aufzunehmen. Das Wasser fließt also an die Oberfläche ab, ohne den Grundwasserspiegel anzufüllen. Um die Landwirtschaft vor dürrebedingten Risiken zu schützen, braucht es unter anderem auch Ad-hoc-Versicherungen. Damit die Betriebe entschädigt werden können, müssen die entstandenen Schäden geschätzt werden. Es gibt verschiedene Methoden, um Dürreschäden für Versicherungszwecke abzuschätzen. Eine Möglichkeit besteht darin, dass Fachleute vor Ort ein Gutachten über das Ausmaß des Schadens erstellen. Da verschiedene Sachverständige jedoch unterschiedliche Einschätzungen abgeben können, ist diese Vorgehensweise mit einer gewissen Subjektivität behaftet. Eine Alternative ist der Rückgriff auf objektive Daten. Bis vor kurzem wurden meistens meteorologische Daten verwendet, mit denen Forschende Informationen über die Wetterphänomene in einem bestimmten geografischen Gebiet erhielten. Doch auch diese Datenquelle hat ihre Grenzen. Die meteorologischen Wetterstationen sind nämlich nicht so flächendeckend verteilt, dass alle Wiesen überwacht werden können. Außerdem spiegeln die Witterungsbedingungen nicht unbedingt die tatsächlichen Schäden auf den Wiesen wider, da diese auch von Faktoren wie der Bewirtschaftung der Flächen und der Bodenart abhängen. Um diese Grenzen der traditionellen Methoden zu umgehen, setzen manche Forscher und Forscherinnen auf die Genauigkeit von Satelliten. Vom abbrechenden Eisberg bis zu illegaler Fischerei, von der Verschmutzung der Meere bis zur Abholzung der Wälder: Es gibt zahlreiche Phänomene, die sich mit Hilfe von Satelliten beobachten lassen. Am Institut für Erdbeobachtung von Eurac Research werden Daten des Satelliten Sentinel-2 verwendet, um auszuwerten, wir ertragreich die Bergwiesen in Trentino-Südtirol sind. Alles begann mit dem Bedarf der Landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaft Südtirol nach einer auf objektiven Parametern basierenden Versicherungspolice für den Schutz der Almen. So entstand das Forschungsprojekt DRI2, dessen Ziel es ist, einen aus Satellitendaten, physikalischen Modellen und meteorologischen Informationen abgeleiteten Trockenheitsindex zu entwickeln. Der wichtigste Parameter, den die Forscherinnen und Forscher aus den Satellitendaten ableiten, ist der Blattflächenindex, der die Oberfläche der Blätter auf einer bestimmten Bodenfläche misst. Das Forschungsteam nutzt diesen Parameter, um den Ertrag der Wiese zu schätzen. Ein hoher Blattflächenindex ist also gleichbedeutend mit einer reichen Ernte. Um die Zuverlässigkeit der Satellitendaten zu prüfen, muss eine Reihe von Messungen direkt auf den Almen durchgeführt werden. Hier kommt das Center for Sensing Solutions von Eurac Research ins Spiel. Die Forscher und Forscherinnen des Zentrums verwenden verschiedene Sensoren im Feld, um biophysikalische Parameter wie Bodenfeuchtigkeit, Chlorophyllgehalt der Pflanzen, Grashöhe und Blattflächenindex zu messen. Außerdem wird das Gras von einer ein Quadratmeter großen Wiesefläche abgeschnitten, gewogen und ins Labor gebracht, wo es in einem Ofen getrocknet wird. Nach dem Trocknen wird das Gras erneut gewogen, um so den Ertrag der Wiese zu ermitteln. Alle aus den Feldmessungen gewonnenen Daten werden dann mit den Satelliteninformationen verglichen, um sicherzustellen, dass der Satellit auch „richtig sieht“.
Das Projekt DRI2 endete im Dezember 2022 mit der Fertigstellung des neuen Trockenheitsindexes. Dieser basiert jedoch nur auf den optischen Satellitendaten von Sentinel-2, also jenen Daten, die die natürlich vorhandene, von Objekten reflektierte, oder freigesetzte Sonnenstrahlung nutzen. Das Problem bei diesen Daten ist, dass sie an wolkigen Tagen, an denen der Satellit die Erdoberfläche nicht „sieht“, nicht erfasst werden können. Nun soll in einem zweiten Projekt die Indexberechnung mit Hilfe der Daten der Sentinel-1-Radarsatelliten verfeinert werden, die über Mikrowellen gewonnen werden und nicht von Wolken behindert werden können. Die Sentinel-1-Satelliten senden nämlich Mikrowellen auf das Untersuchungsobjekt aus und zeichnen die von ihm reflektierte Strahlung auf. Am Projekt ScaleAgData, das im Januar 2023 begann und bis 2026 läuft, arbeiten das Institut für Erdbeobachtung und das Center for Sensing Solutions zusammen. Die im Feld erhobenen Daten sowie die im Rahmen der Studie entwickelten Modelle und Indizes werden der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt.