Das trockene Flussbett der Talfer in Bozen am 24. März 2022.
Credit: Eurac Research | Giacomo Bertoldi
Die anhaltende Trockenheit in Südtirol und ganz Norditalien ist - trotz einiger derzeitiger Regenstunden - alarmierend. Aber wie extrem ist die Situation wirklich? Und steht diese Trockenheit in einem Zusammenhang mit dem Klimawandel? Unsere Expertinnen und Experten haben einige Punkte zum Thema zusammengefasst.
Es war ein trockener, aber nicht außergewöhnlich trockener Winter, der jedoch wärmer als der Durchschnitt war.
Betrachtet man die Niederschläge von Dezember bis Februar, so kann man feststellen, dass dieser Winter in Südtirol überdurchschnittlich trocken war: 40 Prozent weniger Niederschlag als im errechneten Durchschnitt in 30 Jahren (1981-2010). Betrachtet man die Herbstmonate von Oktober bis November, so lagen die Niederschläge zehn Prozent unter dem Durchschnitt (250 Millimeter statt 276 Millimeter).
Es fällt also auf, dass dieser Winter zwar trocken war, aber nicht in einem extremen Ausmaß; der Winter 2016-17 war noch trockener, was im Frühjahr 2017 zu schweren Trockenheitsproblemen in ganz Norditalien führte. Auch anfangs der 2000er Jahre gab es mehrere besonders regenarme Winter.
Niederschlags- und Temperaturschwankungen im Vergleich zum Durchschnitt im 30jährigen Zeitraum 1981-2010
-40%
Niederschläge
+1.6° C
Temperatur
Das Besondere an diesem Jahr ist, dass im Winter zudem Temperaturen herrschten, die um 1,6 Grad Celsius über dem Durchschnitt des 30-jährigen Zeitraums von 1981-2010 lagen. Es gab häufige Nordströmungen, die nur in der Grenzregion Niederschläge brachten, und warme Föhnwinde in den Tälern. Die Kombination aus geringen Niederschlägen und überdurchschnittlichen Temperaturen führte zu der derzeitigen Trockenheit.
Die Diagramme zeigen, wie stark Niederschlag und Temperatur vom berechneten 30-jährigen Durchschnitt (1981-2010) abweichen.
Die Grafik zeigt, wie die Winter von 1981 bis heute nach ihren Niederschlags- und Temperaturanomalien im Vergleich zum Durchschnitt des 30-jährigen Zeitraums 1981-2010 verteilt sind. Im oberen linken Quadranten waren die niederschlagsreichsten und kältesten Winter, im oberen rechten die niederschlagsreichsten und wärmsten, im unteren linken die trockensten und kältesten und im unteren rechten die trockensten und wärmsten. Der Winter 2021-2022 liegt in diesem letzten Quadranten. Noch trockener, aber etwas kälter war der Winter 2016-2017, der im Frühjahr und Sommer in Norditalien große Trockenheit verursachte. Darüber hinaus sind die außergewöhnlich nassen Winter 2020-2021 und 2013-2014 verzeichnet. (Ausarbeitung: A. Crespi)
Die Flüsse leiden
In diesem Winter war die Durchflussmenge der Etsch unterdurchschnittlich. Insbesondere im März lag die geführte Wassermenge 25 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt. In der Vergangenheit wurden jedoch noch niedrigere Werte erreicht.
Eine vorläufige Analyse der Durchflussmengen der Etsch in Branzoll zeigt, dass die durchschnittliche Durchflussmenge im März 57 Kubikmeter pro Sekunde betrug, 25 Prozent weniger als der historische Durchschnitt von 75 Kubikmeter pro Sekunde, der für den Zeitraum 1980-2022 berechnet wurde. Eine solche Anomalie tritt etwa alle 20 Jahre auf.
Durchflussmenge der Etsch im März 2022
-25%
Die niedrigste Durchflussmenge betrug nur 46 Kubikmeter pro Sekunde. In der Vergangenheit gab es jedoch noch niedrigere Werte, z.B. 27 Kubikmeter pro Sekunde im März 2000, 32 Kubikmeter pro Sekunde im Februar 1991 und 36 Kubikmeter pro Sekunde im Januar 1996. Diese Werte stehen jedoch hauptsächlich im Zusammenhang mit Kälteperioden, in denen die Wasserläufe teilweise zugefroren waren, und nicht unbedingt mit einem Mangel an Winterniederschlägen.
Entwicklung der in Branzoll gemessenen Durchflussmenge der Etsch im Zeitraum Oktober-März (Tagesdurchschnitt). In Rot das Jahr 2021-2022, in Blau der historische Durchschnitt 1980-2022, in Grau die einzelnen Tage. Es ist zu erkennen, dass die Durchflussmengen ab März 2022 nahe am historischen Minimum liegen. (Ausarbeitung: D. Quintero)
Es fehlte der Schnee
Die derzeitige Schneebedeckung liegt weit unter dem Durchschnitt, sowohl in Bezug auf die Größe der bedeckten Oberfläche als auch auf die äquivalente Menge an gespeichertem Wasser.
Satellitenbilder vom selben Tag im März 2021 und 2022
Satellitenbilder Modis, Nasa World view. (Ausarbeitung: G. Bertoldi)Credit: Modis / Nasa World view Credit: Modis / Nasa World view
Was erwartet uns in den kommenden Monaten?
Die geringe Schneebedeckung in Verbindung mit der derzeitigen Trockenheit bedeutet, dass wir in den kommenden Monaten mit wenig Schmelzwasser rechnen können. Der Wasserkraftsektor befürchtet, dass die Stauseen in diesem Frühjahr nicht ausreichend gefüllt sein werden.
Mit dem Beginn der Vegetationsperiode wird auch mehr Wasser benötigt, sowohl für die Pflanzen, um zu wachsen, als auch für die Landwirte zur Bewässerung: Es kann daher zu Auswirkungen auf den Agrarsektor und die Trinkwasserversorgung in der Poebene kommen, wie es bereits im Frühjahr 2017 geschehen ist. Auch das Waldbrandrisiko ist auf Grund der Trockenheit besonders hoch.
Um diese Situation zu verbessern, müsste es in diesem Frühjahr und Sommer mehr Niederschläge geben, als es normalerweise der Fall ist, was trotz der technisch möglichen Langzeitprognosen mit dem derzeitigen Wissen nicht vorhergesagt werden kann.
Darüber hinaus dürfte sich die geringe Schneebedeckung vom Winter stark auf die Gletschermassenbilanz auswirken, es sei denn, der Sommer wird unterdurchschnittlich warm, was aber immer seltener der Fall ist.
Kann man diese Situation auf den Klimawandel zurückführen?
Dies lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber die Beobachtungen der vergangenen Jahre zeigen einen klaren Trend hin zu einem Anstieg der Temperatur und zu Schwankungen bei den winterlichen Niederschlägen.
In dieser Analyse betrachten wir lediglich Trends auf der Grundlage von Beobachtungen, ohne zukünftige Klimaszenarien zu berücksichtigen.
Ein einzelner Winter kann nicht auf den Klimawandel zurückgeführt werden, aber die Beobachtungen der vergangenen 40 Jahre zeigen, dass:
- die Temperaturen im Durchschnitt schon um ca. 2°C angestiegen sind
- die Niederschläge im Winter nicht ab-, sondern eher leicht zunehmen;
- allerdings die Schwankungen bei den Niederschlägen zunehmen: Sehr trockene Winter wechseln sich mit sehr feuchten Wintern ab;
- die Temperaturen deutlich ansteigen, es immer mehr regnet und immer weniger schneit, vor allem in niedrigeren Lagen;
- die Wahrscheinlichkeit von „Schneedürren“ aufgrund von geringen Niederschlägen und/oder flüssigem statt festem Niederschlag zunimmt.
Projekte und Publikationen
Im Rahmen des Interreg ADO-Projekts „Alpine Drought Observatory” entwickeln wir eine Plattform zur Überwachung der Trockenheit in Echtzeit für den gesamten Alpenraum.
Im Rahmen des EU-Projekts Nexogenesis arbeiten wir an einem integrierten und nachhaltigen Management der Wasserressourcen im Flusseinzugsgebiet der Etsch.
Im Rahmen der Projekte SnowTinel, in Zusammenarbeit mit dem WSL Davos, und ESA OPTION CCI+ SNOW, in Zusammenarbeit mit der ESA, versuchen wir, die Schneeansammlungen im gesamten Alpenraum genau zu berechnen.
Neueste wissenschaftliche Publikationen
Zur Klimaforschung in Trentino-Südtirol
Zur Entwicklung der Schneebedeckung in den Alpen
Zu der globalen Entwicklung der Schneebedeckung
Unsere Studien wurden kürzlich auch von National Geographic aufgegriffen .