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Über Naturwein: Nature Writing aus dem Weinfeld
![Thomas Philipp Streifeneder](https://webassets.eurac.edu/31538/1599757011-streifenederthomas.png?w=352&h=352&fit=crop&crop=focalpoint&fp-x=0.5&fp-y=0.5&auto=format)
Trinkmilch 2.0: Spezial- und Premiummilchkonzepte für die Südtiroler Berglandwirtschaft
Die Südtiroler Milchwirtschaft stand bisher im europäischen Vergleich ausgezeichnet da. Der Auszahlungspreis für die Bauern war und ist einer der höchsten in Europa. Trotz kontinuierlicher Auflassungen von Lieferantenhöfen blieb durch die Produktionsausweitungen der verbliebenen Betriebe die gesamte Milchliefermenge über die letzten Jahre konstant. Obwohl die etwa 400 Mio. kg Milch pro Jahr den Südtiroler Eigenbedarf mehr als zweimal deckt, ist diese Menge nur ein Tropfen im europäischen Milchmeer. Etwa ein Viertel Prozent der europäischen Milch produziert Südtirol. Das deckt ungefähr den Bedarf von Mailand aber gerade 80-90% den von München. Diese Minimilchmenge eröffnet jedoch die Möglichkeit, sich erfolgreich vom Massenmarkt abzugrenzen und an Zielgruppen zu verkaufen, welche für andere Milcherzeuger zu klein und aufwändig sind.
Dass die Südtiroler Milch von besonderer Qualität ist, bezweifelt niemand. Es gilt, diesen Gütevorsprung in einen Marktvorteil umzusetzen. Möglich ist das durch geschicktes Marketing. Über Produktdifferenzierung basierend auf Selektion und Klassifizierung des Rohstoffs Milch kann zusätzliche Wertschöpfung für Südtirols Landwirte geschaffen werden. In anderen Worten, durch das Abfüllen eigener „Milchsorten“ kann man sich von der Konkurrenz abgrenzen und höhere Verkaufspreise zu erzielen. Dieses alleine vermag den laufenden Strukturwandel, also den Übergang von der traditionellen zur modernen Landwirtschaft, nicht verhindern, könnte ihn aber zumindest verlangsamen.
Spezialmilch ist Milch, die sich von der Massenmilch durch eine oder mehrere Eigenschaften unterscheidet und einen höheren Marktpreis erzielt. Premiummilch ist noch höherpreisige Spezialmilch von noch besserer Qualität. Die Tabelle fasst derzeitige europäische Spezialmilch-Konzepte zusammen:
Differenzierungsbasis | Trinkmilch Beispiele |
Topografie | Berg-, Alpen-, Alm- / Alpmilch |
Fütterung / Haltung | Heu-, Gras-, Weide-, Wiesenmilch; Hörnermilch |
Geografie | Regio-Milch; Bayrische Bauern-Milch, Tiroler Milch, etc. |
Produktion | Biomilch; Alta Qualita Milch |
Zeit | Jahreszeitenmilch; Nachtmilch |
Inhaltsstoffe | Laktose freie Milch, Kalzium angereichte Milch; A2 Milch |
Technische Funktionalität | Cappuccino-Milch (Aufschäumeigenschaft) |
Quelle: Christian Fischer |
Die meisten dieser Konzepte sind kopierbar und führen bei Erfolg häufig zur Konkurrenzsituation, einem Anstieg der Menge mit anschließendem Preisverfall. Beispielsweise produziert Österreich heutzutage allein mehr Biomilch als Südtirol Milch. Die höheren Verkaufspreise der Biomilch reflektieren meist nur höhere Herstellungskosten. Mit anderen Worten: Der Wettbewerb zwischen den zahlreichen Biomilchproduzenten sorgt dafür, dass die Verkaufspreise fast genauso hoch sind wie die Produktions- und Distributionskosten.
Wer sich erfolgreich vom Rest des Marktes abheben will, braucht also schwer kopierbare Alleinstellungsmerkmale. Hohe Preise können langfristig nur mit begrenzten Mengen, also einem verknappten Angebot bei hoher Nachfrage gehalten werden.
Einige dieser Alleinstellungsmerkmale hat Südtirol bereits. Die Milchwirtschaft produziert, im Vergleich zu den Alpennachbarn Österreich, Bayern und Schweiz, in Klein- und Kleinstbetrieben, per handwerklicher Produktion (wenige Melkroboter), Genossenschaften übernehmen Verarbeitung und Vermarktung. Einheimische Rassen sind in Südtirol von starker Bedeutung, und das sonnige Wetter und besondere Panorama tun ihr Übriges, um Verbraucher von der Güte des Produktionsstandorts zu überzeugen. Bei den Tierhaltungsstandards gibt es jedoch noch Defizite.
Die Besonderheit Südtirol wird in der Vermarktung heute schon durch das Gütesiegel „Qualität Südtirol“ herausgestellt. Allerdings sind die zugrundeliegenden Produktions- und Produktstandards gerade für tierische Erzeugnisse nicht stringent und zeitgerecht definiert. Das Gütesiegel hat auf dem Markt derzeit nicht die Stärke, die es haben sollte.
Kurzum, die spezielle Südtiroler Situation würde sich für das Schaffen von erfolgversprechenden Spezial- und Premiummilch-Konzepten anbieten. Die Produktqualität ist vorhanden und ausbaufähig, die verfügbare Menge gering, leistungsfähige Vermarktungsstrukturen bestehen. Zudem zeigt sich derzeitig ein starker Trend in anderen Lebensmittelmärkten (z.B. Bier, Schokolade, Kaffee) zur Produktdifferenzierung, insbesondere vertikaler Art, also bei der Entwicklung hochqualitativer Produkte.
Wie in anderen Lebensmittelmärkten ließe sich bei Frischmilch Produktdifferenzierung durch eine getrennte Erfassung, Verarbeitung und Vermarktung verschiedener Teilqualitäten erzielen. Konkret bieten sich die folgenden Qualitätsstufen an.
Die aufgezeigte Differenzierung führt zu Mehrkosten (getrennte Sammlung, Verpackung, Transport zu Absatzmärkten), erlaubt aber gleichzeitig das Erzielen höherer Preise. Es versteht sich von selbst, dass die Differenzierung ökonomisch nur dann sinnvoll ist, wenn deren Mehrerlöse die Zusatzkosten übersteigen.
Die Zeit und die Märkte sind reif für Veränderungen im Milchsektor. Die Wissenschaft kann dabei Rezepte liefern. Kochen müssen die Praktiker.
![]() | Christian Fischer ist Professor für Agrar- und Ernährungswirtschaft (an der Freien Universität Bozen). Seit vielen Jahren erforscht und lehrt er die ökonomischen Aspekte der Nahrungsversorgung auf regionaler und globaler Ebene. |
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