Zwischen Krisenbewältigung und neuen Perspektiven für die Zukunft
Schon jetzt sprechen Expertinnen und Experten von der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Lage in Südtirol? Eine Gratwanderung zwischen Vorsicht und Aufbruchstimmung. Anja Marcher und Daria Habicher beschäftigen sich in ihrer Forschung mit der Zukunft der Arbeit und haben mit Hannes Mussak, dem Präsidenten des Südtiroler Wirtschaftsrings (SWR) gesprochen.
Dieses Interview ist der erste Beitrag der Serie “Crafts in Crisis: How to Deal With the Virus”. Forscherinnen und Forscher des Center for Advanced Studies beleuchten die Auswirkungen der Coronakrise auf das Handwerk – in Südtirol und darüber hinaus. Die Idee für diese Serie entstand in Zusammenhang mit dem EU-finanzierten Interreg-Projekt „FuturCRAFT“, welches sich mit der zukünftigen Entwicklung von Handwerksberufen und dem Einfluss der Digitalisierung auf das Handwerk beschäftigt. |
Eurac Research: Herr Mussak, wie wirkt sich die Coronakrise auf die Südtiroler Wirtschaft aus?
Hannes Mussak: Corona hat uns mit ganzer Wucht getroffen. Bislang waren wir vor allem damit beschäftigt, das Virus möglichst einzudämmen und zu Hause zu bleiben. Die nächste große Herausforderung besteht darin, die Wiederaufnahme der Arbeit zu ermöglichen – natürlich immer unter Einhaltung diverser Sicherheitsstandards. Wir sind überzeugt, dass die größte Wirtschaftsförderung das Arbeiten ist. Gleichzeitig ist klar, dass wir die Wirtschaft nicht sofort auf 100 Prozent hochfahren können. Wir brauchen also einen Mittelweg. Es bedarf eines langsamen, schrittweisen Zurückkommens. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu arbeiten. Das bedeutet, dass die Wiederaufnahme der Arbeit je nach Branche anders erfolgen wird. Schwieriger wird es vor allem für jene Bereiche, wo der direkte Kontakt zum Kunden ausschlaggebend und unvermeidbar ist, wie etwa in Friseursalons oder im Tourismus. Deshalb müssen wir jene Betriebe, die als erstes ihre Tätigkeit niederlegen mussten und vermutlich auch die letzten sein werden, die ihre Arbeit wieder aufnehmen können, dementsprechend unterstützen. Aber auch dort müssen wir Wege finden, um bald ein sicheres Arbeiten zu ermöglichen. Denn wenn wir abwarten, bis ein Impfstoff kommt, werden es viele Betriebe nicht schaffen.
Welche Wirkung haben die bisherigen Maßnahmen vonseiten der Provinz oder des Staates gezeigt?
Mussak: Es sind wichtige Schritte unternommen worden. Die Leute spüren, dass eine Unterstützung kommt. Die Sicherung der Liquidität und weitere Abfederungsmaßnahmen vonseiten des Staates und der Provinz geben den Unternehmen etwas Sicherheit. Ich denke, die Politik hat alle Schritte gemacht, die notwendig waren. Nichtsdestotrotz: Geld alleine reicht nicht aus. Finanzielle Unterstützungen oder Stundungen sind zwar wichtige Instrumente, das Aufschieben von Krediten oder Mieten verringert aber nicht die Last. Die Kosten verschieben und akkumulieren sich. Es braucht folglich nicht nur diese Form der Unterstützung: Das Arbeiten muss wieder möglich werden.
Und wie würden Sie die Stimmungslage beschreiben? Was bewegt die Südtiroler Unternehmen?
Mussak: Es herrscht vielfach eine gedrückte Stimmung – auch bei jenen, die arbeiten können. Die Unternehmen sind nervös und vielfach verunsichert. Alle möchten gerne wieder zu einer Form von Normalität zurückkehren, seien es Unternehmer als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein Grund dafür mag sein, dass wir es in Südtirol nicht gewohnt sind, einfach so in den Tag hineinzuleben. Wir wollen und brauchen Planung, denn Planung bedeutet Zukunft und Zukunft bedeutet Sicherheit. Plötzlich scheinen auch zuvor dringliche Fragen, wie beispielsweise der Fachkräftemangel, unwichtig. Nun geht es vor allem um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Der Überfluss an unterschiedlichsten Informationen, die mediale Berichterstattung oder Fake News tragen ihr Übriges dazu bei, die Situation mit dem Virus richtig einzuschätzen.
Wie können Wirtschaftsverbände den Unternehmen in dieser Ausnahmesituation helfen?
Mussak: Für uns als SWR ist es ganz wichtig, den Unternehmerinnen und Unternehmern neben den gesicherten Informationen zur aktuellen Lage, zukunftsweisende Lösungen und Perspektiven aufzuzeigen und zu sensibilisieren. Die Kommunikation mit unseren Mitgliedern ist hier ausschlaggebend. Zudem sehen wir es als zentrale Aufgabe, gemeinsam mit der IDM und mit unseren Mitgliedern auf regionaler Ebene, die Vielfalt unserer Unternehmen zu präsentieren. Wenn wir dies schaffen, hat unsere Region am Markt einen großen Vorteil. Die Verbände nehmen hier eine Zwischenrolle ein und handeln als Multiplikator. Es geht nicht zuletzt auch darum, den Mitgliedern Mut zuzusprechen, die Überzeugung, dieser Krise Herr zu werden, zu teilen. Wir als Stellvertreter der Wirtschaft sind ein wichtiges Sprachrohr und möchten gemeinsam mit der Politik Lösungen für die Unternehmen erarbeiten.
Wie kann man sich nun diesen neuen Arbeitsalltag für die Betriebe und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorstellen?
Mussak: Für die Rückkehr brauchen wir zuallererst neue Arbeitsmodelle und Organisationsstrukturen. Durch die Schließung der Schulen stellt uns auch die Kinderbetreuung vor große Herausforderungen. Die Südtiroler Wirtschaft ist sehr daran interessiert, diesbezüglich neue Lösungen zu finden. Was die Südtiroler Unternehmen besonders auszeichnet, ist, dass sie sehr viel Wert auf ihre Mitarbeiter legen. Die Mitarbeiter sind das höchste Gut eines Unternehmens, deshalb glaube ich, dass sich die Betriebe sehr viel einfallen lassen, damit ein sicheres Zurückkehren an den Arbeitsplatz möglich ist. Die Politik sollte den Unternehmen dahingehend etwas mehr Vertrauen entgegenbringen.
Was schlagen Sie vor?
Mussak: Wir müssen neue Regeln für die Sicherheit am Arbeitsplatz etablieren und Arbeit anders koordinieren, um sie auch in Zukunft erfolgreich ausführen zu können. Jede Branche und jedes Berufsfeld braucht spezifische Ansätze, denn Smart Working alleine wird nicht ausreichend sein und ist für einen Großteil der Betriebe nicht oder nur teilweise umsetzbar. Sicheres Arbeiten mit Corona bedeutet deshalb, auch am Arbeitsplatz gewisse Distanzen einzuhalten, adäquate Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen und Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Weniger Mitarbeiter gleichzeitig auf der Baustelle oder Turnus-Arbeit im Betrieb sind Möglichkeiten, den Betrieb wieder hochzufahren. Klarerweise müssen auch die Angestellten Verantwortung übernehmen – und das beginnt schon beim Händewaschen. Das schrittweise Aufnehmen der wirtschaftlichen Tätigkeiten geht mit einer Entschleunigung der Arbeit einher. So unter Druck zu arbeiten, wie es vor einigen Wochen noch selbstverständlich war, wird nicht mehr gehen.
Das heißt, wir werden lernen müssen, anders zu wirtschaften?
Mussak: Ich kann nur eines unterstreichen: Jede Krise bietet neue Chancen und diese zeigen sich schon allein durch das Engagement und den Einfallsreichtum einzelner Unternehmen, wenn etwa der Tapezierer nun beginnt Masken zu produzieren. Unsere KMUs sind sehr innovativ, und das tagtäglich. Gerade jetzt liefert beinahe jedes Unternehmen die Produkte zum Kunden nach Hause. Lokale Produkte werden aufgewertet. Man sieht, dass ganz plötzlich die kleinen Geschäfte in den Dörfern wieder gefragt sind. Corona verändert folglich auch die Kundenansprüche. Sicher fallen auch Aufträge weg, aber gleichzeitig entsteht ein neues Kundenverhalten.
Was wäre also für die Zeit nach der Pandemie ratsam?
Mussak: Man wird in Zukunft wohl bestimmte Wirtschaftsfelder wieder an ihre ursprünglichen Standorte in Europa zurückholen und nicht weiter auslagern. Bestes Beispiel dafür ist der medizinische Bereich. Für viele war es ein Schreckensmoment, als so plötzlich und so deutlich klar wurde, in welches Abhängigkeitsverhältnis Europa sich hier begeben hat. Nun erkennt man, wie sinnvoll es wäre, die Produktionen wieder nach Europa zu holen und somit auch für mehr Sicherheit in der Verfügbarkeit von medizinischen Produkten zu sorgen. Wir müssen uns überlegen, wie wir in diesen Modus der Regionalität zurückkehren und bleiben können. Eine weitere Chance bietet die Digitalisierung, etwa zum Bürokratieabbau. Anstatt zehn Zettel für die Arbeitssicherheit auf der Baustelle mit sich zu führen, sollte eine Online-Lösung hierfür in Zukunft reichen. Darüber hinaus können sich die Unternehmen derzeit auf ihre Kernkompetenz besinnen und diese wenn möglich mit digitalen Modellen verknüpfen. Auch kann die Zeit genutzt werden, um mehr Visibilität am Markt zu erlangen und gleichzeitig die eigene Marke zu stärken.
Ihr persönlicher Ausblick?
Mussak: Es wird ein langer Weg sein, bis Südtirol wieder auf die Beine kommt. Eines hat Südtirol aber immer schon ausgezeichnet: Seine Fähigkeit, gemeinsam Krisen zu bewältigen. Gemeinsam sind wir stark, gemeinsam werden wir Modelle finden, gemeinsam zukunftsweisend denken. Dem Südtiroler Wirtschaftsring ist es in dieser so schwierigen Phase wichtig, den Menschen und Unternehmen zu zeigen, dass wir da sind, dass wir uns für sie einsetzen. An unseren Südtiroler Unternehmen hängen Arbeitsplätze und letztlich unsere Familien. Es ist unsere Aufgabe und unser erstes Anliegen ihnen Sicherheit zu geben.
Hannes Mussak kommt aus Bozen und ist Vater zweier Kinder. Gemeinsam mit seiner Frau führt er die „BAU-TEC“ in Bozen, ein Betrieb der spezifische Dienstleistungen in den Bereichen Wasser und Wasserschäden anbietet. Seit September 2018 ist er Präsident des Südtiroler Wirtschaftsrings – Economia Alto Adige. Zudem ist er Vizepräsident beim Wirtschaftsverband Handwerk und Dienstleister (lvh). |
Anja Marcher ist Geographin am Center for Advanced Studies von Eurac Research. In Zeiten von Corona versucht sie, die Vorzüge des ländlichen Raumes und die gewonnene Zeit durch das Wegfallen der Pendelstrecke für sich zu nutzen. |
Daria Habicher ist Politologin und Sozioökonomin am Center for Advanced Studies von Eurac Research. Sie ist überzeugt davon, dass das Virus uns zur Entschleunigung zwingt und das Überdenken nicht-nachhaltiger Verhaltensmuster fördert. |
Citation
This content is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International license except for third-party materials or where otherwise noted.