Menschen, die hinter Gardinen starren: Your Mitbürger Is Watching You
Überwachung 2.0 in Zeiten von Corona
Es gibt sie noch. Menschen, die sich hinter Gardinen verstecken, unlautere Passanten argwöhnisch im Schutze feiner Klöppelarbeit beobachten und sich ihre Meinung bilden. Ja, es gibt sie noch. Und nicht nur das: Ihr Smartphone und die sozialen Netzwerke öffnen ihnen ungeahnte Möglichkeiten.
Man solle bloß aufpassen, denn da sei wohl verdächtiges Diebesgesindel auf Auskundschaftung in dieser oder jener Wohngegend, las ich nicht nur einmal in sozialen Medien. Wenn möglich noch mit einem Foto der als suspekt eingestuften Personen. Der Gedanke, selbst durch besagte Gegend zu streifen, nur, um als potenzielle Einbrecherin im Newsfeed einer Facebook-Gruppe zu landen (und mich dann maßlos darüber aufzuregen) – ich gebe zu: Der Reiz war groß.
In Zeiten von Corona ist nun aber anscheinend jede und jeder, der sich außerhalb der vier Wände aufhält, mit Argwohn zu betrachten. Trotz des vielbeschworenen Zusammenwachsens der Gesellschaft und des gegenseitigen Mutmachens, gibt es leider auch andere Extreme: Misstrauen gegenüber seinen Nächsten und teils perfider Ehrgeiz, diesem Misstrauen nachdrücklich Ausdruck zu verleihen. Da wird jeder Passant kritisch beäugt, ob er denn wohl auch wirklich berechtigt sei, das Haus zu verlassen. Ein Generalverdacht gegenüber jedem, der sich auch nur räuspert, scheint in diesen Tagen angebracht und so mancher Nichts-Böses-Ahnender mag dankbar sein, dass der Zoom der Smartphone-Kamera dann doch nicht so weit reicht, dass man ihn auf dem Video zu seiner Überführung tatsächlich erkennen könnte.
Heute schon kontrolliert (worden)?
Ja, in Krisenzeiten müssen offizielle Beschränkungen ernst genommen werden. Ja, man sollte ihnen tunlichst Folge leisten. Ja, man darf andere auch darauf aufmerksam machen, wie wichtig es nun ist, zuhause zu bleiben und Abstand zu halten, aber nein, man sollte sich nicht unkritischem Denunziantentum hingeben. Ich gebe zu, was die Ausgangssperre betrifft, bin ich tatsächlich privilegiert. Als Mitglied einer mehr oder weniger bäuerlichen Familie weiß ich um die Vorteile der Abgeschiedenheit, wie sie an Konsortialwegen oder Anrainerwegen herrscht. Dieses Wissen teilen wohl aber auch viele andere, die sich dort spazierengehenderweise dem Daheimbleibgebot widersetzen – in gebührendem Abstand wohlbemerkt und mit Hausverstand wie ich meine.
Und trotz gewisser Faktoren, die auch auf mich zutreffen – etwa der Besitz von Gardinen, eines Smartphones und ausgeprägter Neugier – wäre mir nicht im Traum eingefallen, mich in sozialen Medien maßregelnd zu äußern oder gar „Beweisfotos“ für solches „Vergehen“ zu posten. Viele andere sehen sich aber offenbar als privates Kontrollorgan. Der Staat dürfte erleichtert davon absehen, die Ortungsdaten der Mobilfunkanbieter auszuwerten oder gar Drohnen einzusetzen, um seine Bevölkerung zu überwachen. In der bayrischen Presse lese ich von eifrigen Bürgerinnen und Bürgern, die der Polizei die Verstöße ihrer Nächsten zutragen und auch in Südtirol sind wir nicht weit davon entfernt, denn auch hier trudeln wohl regelmäßige Meldungen bei den Behörden ein. Eifrig? Na bravo. Vor solch beflissen Eifrigen mag man sich manchmal genauso fürchten, wie vor einem Virus.
Valeria von Miller ist Communication Manager im Center for Advanced Studies von Eurac Research. Sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie ihren Internetzugang in Zeiten sozialer Deprivation nun als Rettungsanker oder als ihren Untergang bezeichnen sollte. |
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