Urlaub auf dem Bauernhof ist eine Form des Tourismus, die in den letzten Jahrzenten immer mehr an Beliebtheit gewonnen hat. Die Gäste schätzen die Verbundenheit zur Natur, die hofeigenen Produkte und die Nähe zur Familie, die den Betrieb führt. In Südtirol ist die Anzahl der Übernachtungen in Agrotourismus-Betrieben stark gestiegen. Kaum irgendwo auf der Welt gibt es eine so große Anzahl an Betrieben, die Urlaub auf dem Bauernhof anbietet, wie hier. Großteils zu verdanken ist dies der Dachmarke „Roter Hahn“, zu der mehr als 1.600 Urlaubsbetriebe gehören. Was steckt hinter der Erfolgsgeschichte?
In Vorbereitung auf den bevorstehenden zweiten Agrotourismus-Weltkongress, der unter dem Motto »Agritourism is more!« der vom 16.-18. Mai 2024 wieder im Hauptsitz von Eurac Research in Bozen stattfindet, durfte ich Hans J. Kienzl treffen. Er ist Leiter der Marketingabteilung des Südtiroler Bauernbunds und war federführend an der Erschaffung der Dachmarke „Roter Hahn“ beteiligt. Hier erzählt er über die Herausforderungen und Chancen des Agrotourismus, die Bedeutung des Weltkongresses für die Branche sowie seine persönlichen Erwartungen und Hoffnungen für diese Veranstaltung.
Das »Roter Hahn«-Logo ist im Alltag kaum mehr zu übersehen, auch beispielsweise beim Einkauf Südtiroler Lebensmittel. Was ist der Rote Hahn? Und warum braucht Urlaub auf dem Bauernhof in Südtirol diese Dachmarke?
Der Rote Hahn ist seit über 20 Jahren eine Dachmarke, die sich aus einem Logo für Urlaub auf dem Bauernhof entwickelt hat. Eine Marke muss nämlich erst entstehen. Das passiert dann, wenn dazu Bilder im Kopf entstehen, sobald man die Augen schließt. Diese werden dann automatisch mit der Marke in Verbindung gebracht und stehen für bestimmte Werte, die diese verkörpert. In diesem Sinne soll der Rote Hahn ein Versprechen an die Gäste sein. Wir wollen den Menschen ein Stück bäuerliche Lebensart näherbringen. Jede Säule der Marke Roter Hahn unterliegt diesem Versprechen. Kann dieses nämlich nicht gehalten werden, darf man auch nicht Teil der Marke Roter Hahn sein. Sie steht für ein Lebensgefühl und impliziert den Bauernhof mit seinen Werten und Traditionen. Die Gäste begegnen diesem, indem sie auf dem Hof Produkte wie Honig, Marmeladen oder eingelegtes Gemüse kaufen oder die Kochschule besuchen. Es soll ein Versprechen sein, das tief in der Marke verankert ist und das eigentlich jedes Mitglied der Marke, egal welcher Produktgruppe er oder sie angehört, verinnerlichen und auch nach außen tragen soll.
Auf welche Errungenschaft des Roten Hahns sind Sie besonders stolz?
Es ist wunderschön zu sehen, dass es uns gelungen ist, die Marke bekannt und begehrlich zu machen. Besonders freut es mich, dass so viele Bauern und Bäuerinnen in Südtirol an die Marke glauben und Teil der Marke oder Teil dieses Versprechens an die Gäste, das ich vorhin angesprochen habe, werden wollen. Es ist umso schöner zu sehen, dass wir dazu beitragen konnten, dass sich die Bauern am Hof mit Hilfe dieser Marke ein zweites Standbein aufbauen konnten und damit auch vom Hof leben können.
Was würden Sie mit dem Roten Hahn gerne als nächstes erreichen?
Das Ziel ist in erster Linie die Marke bekannt und begehrlich zu machen. Wichtig ist auch, dass die Bauern immer an sie glauben und uns vertrauen. Aber grundsätzlich besteht unser größtes Ziel weiterhin darin, durch die Marke das Südtiroler Lebensgefühl, das wir vermitteln wollen, bzw. dieses Versprechen einzuhalten. Für die Marke wäre es fatal, wenn sie ihre Begehrlichkeit verlieren würde und als Folge davon dieses Versprechen bzw. dieses Lebensgefühl nicht mehr da wäre. Das hieße, dass Urlaub auf dem Bauernhof austauschbar wird mit jedem anderen Beherbergungsbetrieb oder Produkt, das in Südtirol produziert wird. Das müssen wir vermeiden. Mir ist es wichtig, dass wir es schaffen, auch weiterhin dieses Versprechen zu halten und dieses Spitzenprodukt nach außen zu tragen. Momentan sieht es gut aus, aber man muss immer auf der Hut sein. Ich glaube, die Bäuerinnen und Bauern denken sich manchmal: „Wieso sollte ich noch Tiere am Hof haben? Wieso muss ich den Hof bewirtschaften? Das würde auch einfacher gehen, ich kann ja von den Gästen leben”. Doch das würde eine große Gefahr darstellen, die Authentizität des Betriebes würde verloren gehen und das darf die Marke nicht akzeptieren.
Was wissen wir über die typischen Agrotourismus-Urlaubsgäste?
In den letzten 20 Jahren haben sich die Urlaubsgäste sehr stark verändert. Wir haben vielleicht vor 25 Jahren genau jene Gäste auf dem Hof gehabt, welche sich vielleicht keinen anderen Urlaub leisten wollten oder konnten. Heute gehört die Person, die sich in einem UaB-Betrieb einbucht, zur bürgerlichen Mitte oder zur sozial gehobenen Schicht. Aus Milieu-Studien wissen wir, dass die Gäste zur sozialen Mitte gehören. Gesucht wird am Hof vor allem ein unbeschwerter Urlaub. Die Gäste wollen eintauchen in den Bauernhof und sich mit der Bauernfamilie austauschen. Familienanschluss, Gastfreundschaft, das Unbeschwerte schätzen unsere Gäste am meisten. Dasselbe gilt auch für die Ruhe am Hof, die viele Gäste in größeren Unterkünften vermissen. Auch prominente Menschen, die ihre Ruhe haben wollen, sagen, dass sie während des ganzen Urlaubs nicht mit der Krawatte im Hotel rumlaufen wollen. Sie wollen lockere Kleidung tragen, Jeans und ein bequemes Shirt und einfach in Ruhe mit ihrer Familie beisammen sein. Die typischen Agrotourismus-Urlaubsgäste wollen nicht an Uhrzeiten gebunden sein müssen, wie beispielsweise beim Abendessen in Hotels. Sie möchten auch mal einen Sonnenuntergang sehen, suchen das Unbeschwerte und auch die Möglichkeit mal so sein zu können, wie sie möchten: ungezwungen. Dieses Gefühl, kombiniert mit der Herzlichkeit, die die Bauernfamilie einem übermittelt, sind besonders wichtig.
Was bringen Sie Spannendes zum Weltkongress mit - und was erhoffen Sie sich, davon mitzunehmen?
Ich möchte zu verstehen geben, dass nur Werbung allein nichts bringen wird. Weder in Südafrika noch in Japan noch in Südamerika oder Nordamerika oder Deutschland oder Österreich. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir zuerst Agrotourismus als Produkt in Ordnung bringen und ihn attraktiv machen müssen. Erst dann bringt es etwas, die Kommunikation und die Preise anzupassen. Das Wichtigste ist, dass jede Person auf der Welt, die mit Urlaub auf dem Bauernhof zu tun hat, sich zuerst um das Produkt kümmert. Wie soll das Produkt »Urlaub auf dem Bauernhof« an unterschiedlichen Orten der Welt aussehen, damit es attraktiv wird? Wir wollen Gäste in Tokio genauso wie solche in New Delhi oder Johannesburg von dieser ländlichen Urlaubsform begeistern. Das ist das Entscheidende. Die Betriebe, die genau das hinbekommen und sich fortgehend weiterentwickeln, werden es weit bringen. Ich persönlich werde auf dem Kongress sicherlich sehr viel lernen, so wie es mir immer passiert, wenn ich irgendwo in der Welt draußen bin und in diese Realität eintauche. Jedes Jahr sehe ich mir Realitäten irgendwo in Europa an und es ist mir noch nie passiert, dass ich da nicht viel gelernt hätte. Jede neue Erfahrung oder Begegnung gibt wichtige Impulse, vielleicht fallen sie einem erst nach drei Wochen ein, vielleicht schon gleich. Es ist immer ein Austausch und bringt immer etwas für die eigene Arbeit.
Was ist für die UaB-BetreiberInnen drin, wenn sie am Kongress teilnehmen?
Ich glaube, die »Urlaub auf dem Bauernhof«-Betriebe können am meisten von den Plenarsitzungen lernen, wenn sie die Arbeitsweise in den anderen Regionen der Welt kennenlernen dürfen. Das weckt Interesse, es regt an, und bringt neue Ideen. Ich glaube für Forschungsfragen ist eine Person, die einen UaB-Betrieb leitet, weit weg, aber sie kann meiner Meinung nach trotzdem etwas mitnehmen. Die Bauern interessiert in erster Linie, wie es der Kollegin oder dem Kollegen in Südafrika oder Tokio oder Vancouver geht. Das ist spannend. Das, denk ich mir, weckt Interesse, also da fühlt man sich verbunden, da fühlt man sich verwandt mit der Situation. Man kann sich bis zu einem gewissen Punkt damit identifizieren.
Das Motto des Weltkongresses lautet »Agritourism is more…« im Sinne der Nachhaltigkeit und Resilienz. Was bedeutet dieses „Mehr“ für Sie?
Ich mache selbst jedes Jahr zwei oder drei Wochen Urlaub auf dem Bauernhof und daher weiß ich genau, was dieses „Mehr“ für mich ist: Immer mehr Gäste auf der Welt haben das Urbedürfnis, wenn sie irgendwo ihren Urlaub verbringen, dass sie in das Umfeld des Ortes eintauchen können. Dass sie sich mit der dortigen Bevölkerung austauschen können und die Produkte an Ort und Stelle konsumieren können. Und wo kann man das besser als auf einem anderen Bauernhof? Da hat man die Personen vor Ort, die genau dieses Umfeld verkörpern: Sie sind diejenigen, die jeden Sonnenaufgang und jede Ecke besser kennen als jeder andere, diejenigen die genau wissen, welche Produkte vor Ort wie gedeihen, welche Geschmäcker dabei entstehen und wie die Produkte veredelt werden können. Man kann für eine gewisse Zeit ein Teil dieser neuen Umgebung werden. Das ist besonders für Stadtbewohner etwas ganz Besonderes. Das ist es, was einem Hof dieses „Mehr“ gibt. Und das alles mit dieser eingebundenen, unbeschwerten Gastlichkeit. Mehr Urlaub geht nicht.
Anmerkung der Autorin: Ein besonderer Dank gilt auch unserer Praktikantin Raffaella Mena, die bei der Transkription des Interviews tatkräftig unterstützt hat.
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