Solawi: was hat Landwirtschaft mit Solidarität zu tun
Solidarität: während der Ausgangsbeschränkungen im Zuge der Covid-19-Pandemie wurde dieses Wort oft in den Mund genommen. Schade, dass es im Zusammenhang mit Landwirtschaft in Südtirol bislang eher selten genannt wird.
Solidarische Landwirtschaft meint den Zusammenschluss, auf lokaler Ebene, eines landwirtschaftlichen Betriebs mit einer Gruppe privater Haushalte zu einer Wirtschaftsgemeinschaft. Im Englischen spricht man von Community Supported Agriculture (CSA), also gemeinschaftlich getragener Landwirtschaft. Im deutschen Sprachraum ist die fröhlich klingende Abkürzung Solawi gebräuchlich.
Eine Win-Win-Situation
Die Partner in einer Solidarischen Landwirtschaft sind auf der einen Seite ein bäuerlicher Betrieb, der eine möglichst vielfältige Produktpalette erzeugt, und auf der anderen Seite eine Gruppe von Menschen, die sich über einen im Voraus festgesetzten, meist monatlich zu bezahlenden Betrag an der Ernte, den Kosten und den Risiken des Betriebs beteiligen. Dafür erhalten sie ihren jeweiligen Anteil an der Ernte: lokal erzeugte saisonale Lebensmittel, zum Teil auch handwerklich verarbeitete Produkte, die sie in der Regel wöchentlich abholen können. Das Neue an diesem Konzept ist, dass die Mitglieder nicht für einzelne Lebensmittel bezahlen, sondern den ganzen landwirtschaftlichen Betrieb finanzieren. Solidarität gibt es vielfach auch unter den Mitgliedern: wenn diejenigen, die es sich leisten können, freiwillig einen höheren Beitrag bezahlen, kommt das den finanziell schwächeren Mitgliedern zugute.
Transparenz und Mitbestimmung für die Mitglieder
Solawi-Mitglieder schätzen die lokale Herkunft und die Vielfalt der Produkte. Sie erhalten maximale Transparenz darüber, was und auf welche Weise „ihr“ Betrieb produziert und wie hoch die Kosten des Betriebs sind. Auf vielen Solawi-Betrieben können die Mitglieder freiwillig bei der Arbeit am Betrieb mithelfen – manche tun das auch tatsächlich. Besonders vorteilhaft für die Verbraucher und Verbraucherinnen ist, dass sie die Anbauplanung mitgestalten können, ihre Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt werden. Durch die Beteiligung an den Kosten und am Risiko übernehmen die Mitglieder Verantwortung für das Wohlergehen des Betriebs und identifizieren sich mit „ihrem“ Betrieb.
Sicherheit und Unabhängigkeit vom Markt für den Bauern und die Bäuerin
Der Solawi-Betrieb passt die Anbauplanung an die Wünsche der Mitglieder an und hat eine Abnahmegarantie für die erzeugten Produkte. Der Betrieb und die Mitglieder bilden einen eigenen kleinen Wirtschaftskreislauf – somit ist der Bauer bzw. die Bäuerin nicht vom „Markt“ und möglichen Preisschwankungen abhängig. Bei vielen Solawi-Betrieben geht die gesamte Ernte an die Mitglieder, die Abnahme aller Erzeugnisse ist also garantiert, und das zu einem fixen Preis. Der Bauer bzw. die Bäuerin weiß, für wen er oder sie produziert, wen er oder sie mit wertvollen Lebensmitteln versorgt: Identifikation findet auch in diese Richtung statt. Fällt einmal ein Teil der Ernte aus, so trägt der Betrieb nicht allein das Risiko dafür, dieses wird, so wie die Kosten, auf die Mitglieder aufgeteilt. Die Solidarische Landwirtschaft sichert die Existenz des Betriebes und der dort lebenden Menschen ab.
Über die beteiligten Personen hinaus: ein Modell für das Morgen
Das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft bietet viele Chancen. Es fördert eine bäuerliche, vielfältige Landwirtschaft und kleine, lokale Wirtschaftskreisläufe. Die „Vermarktung“ der Produkte im Umkreis von meist nur wenigen Kilometern entspricht dem Null-Kilometer-Gedanken. Die Solidarische Landwirtschaft bietet bäuerlichen Betrieben eine konkrete Perspektive: dank dieses Konzepts könnten sie Abhängigkeiten (von schwankenden (Welt-)Marktpreisen, von Subventionen, von Handelsketten…) und Zwänge (z.B. vom Zwang, maximalen Ertrag erwirtschaften zu müssen) reduzieren und mehr Autonomie erlangen. Die Solidarische Landwirtschaft kann zu Regionalisierung, Diversifizierung und Ökologisierung in der Landwirtschaft beitragen. Betriebe können Innovationen wagen und Neues ausprobieren, natürlich immer in Absprache mit den Mitgliedern. Produziert ein Betrieb für den Lebensmitteleinzel- oder den Großhandel, muss er damit rechnen, dass ein beträchtlicher Teil der Ernte nicht abgenommen wird, weil nicht alle Erzeugnisse den hohen optischen Anforderungen des Handels genügen. In einer Solawi dagegen nehmen die Mitglieder auch Mini- und Riesenkartoffeln oder zweibeinige Karotten ab, eben die gesamte Ernte. Damit wird die Lebensmittelverschwendung auf der Ebene der Landwirtschaft verringert.
Von Japan in die Schweiz, von den USA nach Deutschland… und nach Dorf Tirol
Der Online-Enzyklopädie Wikipedia zufolge wurde das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft in den 1960er Jahren in Japan entwickelt. Ende der 1970er Jahre konnte die Idee in der Schweiz Fuß fassen, Mitte der 1980er Jahre in den USA und wiederum wenige Jahre später in Deutschland.
Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft listet für Deutschland 284 bestehende Solawis und weitere 63 Solawis in Gründung auf (Stand: Mai 2020).
Die erste Solawi in Italien wurde 2013 in Bologna gegründet. Die erste Solawi in Südtirol ist der Bachguterhof der Familie Laimer in Dorf Tirol – seit 2015 wird hier Solidarische Landwirtschaft betrieben. Der Bachguterhof versorgt knapp 40 Haushalte im Jahresverlauf mit über 70 saisonalen, biologisch erzeugten Gemüse- und Obstarten, von A wie Artischocken bis Z wie Zuckermais.
Solawi zum Hören, Lesen und Ansehen
Zur Vertiefung stehen Radio-Beiträge bzw. -Interviews, Bücher und Broschüren sowie Filme zur Verfügung.
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