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Hanf als Motor der sozialökologischen Transformation

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Hanf als Motor der sozialökologischen Transformation
Hanfschäben – das eigentliche Abfallprodukt der Hanfpflanze – werden für die Produktion von Hanfziegeln verwendetCredit: Eurac Research | BASIS Vinschgau Venosta

Kann eine Pflanze unser Gesellschafts-, Politik- und Wirtschaftssystem umwälzen, es nachhaltiger und resilienter machen? Gar einiges spricht dafür, dass im Hanf – einer der ältesten Nutzpflanzen der Erde – ungeahntes Potential steckt.

Seit Januar 2021 arbeitet ein Forschungsteam des Center for Advanced Studies von Eurac Research gemeinsam mit anderen Partnern an einem EFRE-Projekt: „Tiny FOP MOB– ein rollendes Reallabor aus Holz und Hanf reist durch den Vinschgau“. Es sieht die Planung, den Bau und die Nutzung eines CO2-negativen, vorwiegend aus Holz und Hanf bestehenden Reallabors auf Rädern vor, und soll Menschen zum Nachdenken über Nachhaltigkeit anspornen und dafür ein konkretes Beispiel liefern. Der Prototyp soll Raum für die Entwicklung innovativer Lösungen und Ideen sowie transdisziplinärer Verbindungen zwischen Zentrum und Peripherie, Wissenschaft, Unternehmertum und Gesellschaft sowie Praxis und Theorie schaffen. Die transdisziplinäre und explorative Ausrichtung des Projekts ermöglicht spannende Einblicke in unterschiedliche Themen, Forschungsmethoden und Materialien – nicht nur für die vielen Beteiligten am Projekt, die ihrerseits voneinander lernen, sondern auch für die interessierte Öffentlichkeit. Das wichtigste im Projekt Anwendung findende Material ist die Hanfpflanze. Genauer gesagt der Hanfziegel, bestehend aus dem holzigen Anteil der Hanfpflanze.

Die CO2-speichernde und schnellwachsende Hanfpflanze ist eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. Bereits vor rund 12.000 Jahren wurde sie im asiatischen Raum eingesetzt, bevor sie nach Europa und Amerika exportiert wurde. Aus Hanf wurden seit jeher verschiedenste Dinge hergestellt, wie etwa Textilien, Papier, Lebensmittel, Arzneimittel und Farben. So präsentierte etwa Henry Ford 1941 sein Hemp Mobile, das zu einem großen Teil aus Hanf bestand und sogar mit Hanf angetrieben wurde. Und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 wurde auf Hanfpapier gedruckt!

Gleichzeitig weckt die Hanfpflanze auch negative Konnotationen. Hauptgrund dafür ist ihre Anwendung als Rauschmittel. Aber auch ökonomische Interessen etwa von großen Pharmakonzerne sowie politische Interessen, wie die War on Drugs-Maßnahmen im Rahmen der US-Drogenpolitik, stecken dahinter. Nichtsdestotrotz erlebt die Hanfpflanze seit einigen Jahren ein Revival, wird nun wieder verstärkt in Bereichen der Medizin, der Nahrungsmittelherstellung und nicht zuletzt im Bereich Bauen und Wohnen – wie im Rahmen des Projekts Tiny FOP MOB – eingesetzt.

Hanf als Inspiratorin und Motor für Veränderung

Nach Monaten der Projektarbeit und der mehrjährigen Auseinandersetzung mit dem Thema der sozialökologischen Transformation, den damit verbundenen Herausforderungen und Potenzialen, hat sich mir nun eine zentrale Frage gestellt: Inwiefern kann die uralte Nutzpflanze Hanf als Inspiratorin und demzufolge als Motor der sozialökologischen Transformation fungieren?

Transformation, lat. transformare, also umgestalten oder verändern, steht für einen tiefgreifenden, systemischen Wandel, einen Umbruch auf unterschiedlichen Ebenen (lokal, national, international) und in allen Teilsystemen (Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft etc.). Das Konzept der sozialökologischen Transformation, also eines sozial und ökologisch verträglichen, tiefgreifenden und systemischen Wandels, gibt Hinweis auf die Richtung der Veränderung.

In der Transformationsliteratur lassen sich zahlreiche Hinweise auf Transformationsakteure finden. Häufig genannt werden Systeme wie Politik, Wirtschaft, Religion und Wissenschaft, aber auch Akteure wie etwa die Medien, Unternehmen oder sogenannte Pioniere des Wandels. Bislang nicht untergekommen sind mir Materialien bzw. sogenannte nichtmenschliche Aktanten, wie sie in der maßgeblich von M. Callon, J. Law und B. Latour geprägten Akteur-Netzwerk-Theorie genannt werden.

Das Festhalten an grenzenlosem Wachstum löst auf lange Sicht weder die Probleme auf globaler Ebene, noch führt es zu mehr Glück auf individueller Ebene.

Daria Habicher

Einfachheit, Resilienz und Multidisziplinarität

Das Projekt Tiny FOP MOB bot nicht nur die Gelegenheit, Hanf und dessen Nutzungsmöglichkeiten besser kennenzulernen – es zeigte auch die transformative Kraft der Pflanze. Hanf selbst kann ein Transformator sein. Die Pflanze hat drei merkliche Eigenschaften: Einfachheit, Resilienz und Transdisziplinarität. Alle drei sind Wesensmerkmale, welche die Welt derzeit dringend braucht, um sozial und ökologisch verträgliche Systeme zu etablieren, eine sozialökologische Transformation zuzulassen und zu fördern.

Einfachheit: Die Hanfpflanze verhält sich im Vergleich zu anderen Rohstoffen sowohl im Anbau als auch in der Verarbeitung relativ unkompliziert. Sie braucht verhältnismäßig wenig Wasser, kommt ohne Pflanzenschutzmittel oder andere Integratoren aus und erfordert wenig bis gar keine Pflege. In der Verarbeitung zeigt sich, dass sich die Pflanze mit etwas handwerklichem Geschick rasch in ihre zentralen Komponenten – Samen, Blüten, Blätter, Fasern und Hanfschäben – zerlegen lässt. Diese eine Pflanze ist theoretisch im Stande, die Basis zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse – Nahrung, Wohnraum und Bekleidung – zu liefern, um es mit den Worten des Südtiroler Hanfziegelpioniers und Tiny FOP MOB-Projektpartners Werner Schönthaler auszudrücken. Samen werden im Lebensmittel-Bereich eingesetzt, aus Blüten und Blättern werden Arzneimittel gewonnen, Pflanzenfasern – die stärksten der Welt – kommen in der Herstellung von Papier, Textilien und Dämmstoffen zur Anwendung, Hanfschäben – das eigentliche Abfallprodukt – werden für die Produktion von Hanfziegeln verwendet.

Resilienz: Resilienz bedeutet in anderen Worten Anpassungsfähigkeit oder Widerstandsfähigkeit. Es geht bei diesem Konzept darum, dass etwa die Natur, der Mensch oder eine Gemeinschaft sich laufend an auftretende Veränderungen anpassen. Hanf existiert seit Tausenden von Jahren und hat sich laufend den sich verändernden klimatischen Bedingungen angepasst. Auch hat der Mensch immer wieder neue Nutzungsmöglichkeiten der Pflanze entdeckt, sodass sie bis heute nicht an Potenzial verloren hat, sondern laufend neue Produkte entstehen. Die Pflanze befindet sich nach wie vor auf einem schmalen Grat zwischen Legalität und Illegalität und erfährt nichtsdestotrotz, eine hohe Nachfrage in unterschiedlichen Bereichen, Tendenz stark steigend.

Transdisziplinarität: Projekte oder Prozesse, die nicht nur aus der Perspektive einer Fachrichtung betrachtet bzw. behandelt werden, sondern im Zusammenspiel von Denkweisen, Methoden und Konzepten unterschiedlicher Disziplinen und beruflicher Hintergründe, bezeichnet man als transdisziplinär. Was hat Hanf also mit Transdisziplinarität am Hut? Hanf ist nicht nur sehr vielseitig einsetzbar, sondern hat das Potential, Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungs- und Berufsgruppen zusammenzubringen und ein fächerübergreifendes Arbeiten zu fördern. Eine gelungene Gewinnung, Verarbeitung und Veredelung der einzelnen Komponenten der Pflanze setzt sogar voraus, dass sich Menschen austauschen und zusammenarbeiten. So wird die Pflanze selbst zum zentralen Aktanten. Sie führt Menschen zusammen, fördert das Nachdenken über die nachhaltige Umgestaltung von Wirtschaftskreisläufen sowie Konsum- und Produktionsmustern und prägt so innovative, zukunftsorientierte Netzwerke mit.

Am Ende sind es die einfachen Dinge, die wir schätzen und pflegen müssen, um die Resilienz unserer selbst und unserer Gemeinschaft zu wahren.

Daria Habicher

Was lehrt das Arbeiten mit Hanf für die sozialökologische Transformation?

Einfachheit, Resilienz und Transdisziplinarität sind drei Wesensmerkmale, die wir in unserer stark individualistisch und neoliberal-kapitalistisch geprägten Welt wieder in den Vordergrund rücken müssen. Heute steht fest, dass wir für eine gelungene sozialökologische Transformation das aktuell vorherrschende Wirtschaftssystem grundlegend überdenken und das ihm zugrundeliegende Wachstumscredo aufheben müssen. Wirtschaftswachstum hat zwar den Wohlstand in weiten Teilen der Welt gesteigert, gleichzeitig aber eine Vielzahl von negativen Entwicklungen mit sich gebracht, wie etwa eine globale Umweltzerstörung und polarisierende soziale und materielle Ungleichheiten.

Das Festhalten an grenzenlosem Wachstum löst auf lange Sicht weder die Probleme auf globaler Ebene, noch führt es zu mehr Glück auf individueller Ebene. Im Gegenteil. Das Mehr an materiellen Dingen und unbegrenzten Möglichkeiten bewirkt oftmals ein Gefühl der Überforderung, ja der inneren Leere. Die soziale Beschleunigung, wie es Hartmut Rosa nennen würde, wird durch die modernen Technologien weiter befeuert. Und so entfernt sich der Mensch immer weiter von der Natur, von den einfachen Dingen des Lebens, die es lebenswert machen. Sich zur Einfachheit bekennen, bedeutet in diesem Zusammenhang, sich auf beinahe selbstverständliche Dinge wie saubere Luft, gesunde Ernährung und intakte Beziehungen zu besinnen.

Am Ende sind es die einfachen Dinge, die wir schätzen und pflegen müssen, um die Resilienz unserer selbst und unserer Gemeinschaft zu wahren. Die Hanfpflanze ist unter anderem deshalb so begehrt, weil sie zeigt, dass die Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse theoretisch im Kleinen und relativ simpel möglich wäre und sie im Großen zu einem nachhaltigen und deutlich klimaschonenderen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft beitragen kann. Der Nachhaltigkeitsforscher Tobias Luthe betont, dass Hanf zu mehr Resilienz verhelfen kann. Möglicherweise kann uns die Pflanze sogar helfen, eine neue Art von Community Resilience zu entwickeln, also die Resilienz unserer Gemeinschaften zu stärken, damit sie sich vor zukünftigen Herausforderungen und Krisen zu schützen weiß, wie es Fikret Berkes und Helen Ross formulieren. Doch damit dies gelingen kann, braucht es ein neues Denken und einen multidisziplinären Arbeitsethos, der auf Kollaboration setzt.

Im Projekt Tiny FOP MOB wurde versucht, für die Relevanz und Dringlichkeit einer sozialökologischen Transformation zu sensibilisieren und konkrete Lösungen für den Bereich Bauen und Wohnen zu entwickeln. Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Hanfpflanze. Durch sie ist es gelungen, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen und gemeinsam zu den drei Eigenschaften Einfachheit, Resilienz und Multidisziplinarität zu experimentieren. In meiner Wahrnehmung hat sich herausgestellt, dass die Hanfpflanze allein deshalb eine Transformatorin und somit ein potenzieller Motor der sozialökologischen Transformation ist.

Daria Habicher

Daria Habicher

Daria Habicher ist Sozioökonomin am Center for Advanced Studies von Eurac Research und Co-Leiterin des EFRE-Projektes „Tiny FOP MOB”. Sie ist überzeugt davon, dass Veränderung von innen und von unten kommen muss. Hoffnung machen ihr wertvolle Begegnungen auf der Straße, in der Projektarbeit und in den Tiefen des Ozeans.

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Citation

https://doi.org/10.57708/b111746966
Habicher, D. Hanf als Motor der sozialökologischen Transformation. https://doi.org/10.57708/B111746966

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