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Post von der Genderpolizei

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Post von der Genderpolizei
Geschlechtergerechter Sprachgebrauch bringt auch die größten Schreibmuffel dazu, ihre Meinung wortreich kundzutun. Und die ist dagegenCredit: Adobe Stock | redline1980 | All rights reserved

Der Streit ums Gendern: die unendliche Geschichte eines emotionalen Dauerbrenners

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich nach einem Interview im ORF, in dem ich mich als Befürworterin des sogenannten Genderns geoutet habe, einen handgeschriebenen Brief bekommen. Der Absender (männlich, verheiratet - auch seine Frau ist gegen das Gendern!) mahnte mich, meine „Anpassungsforderungen“ würden nach „Totalitarismus“ riechen. Er verstehe zwar, dass ich Teil eines „Ideologiegrüppchens“ sein möchte, aber an diese „Ideologie der Sprachverrenkungen“ passe er sich jedenfalls nicht an. Dem Brief war eine „Infobroschüre“ und sogar ein Anti-Gender-Gedicht beigelegt. Schließlich hätte ich ja offensichtlich ein Problem mit dem grammatischen Geschlecht.

Das Engagement, tatsächlich einen Brief an meinen Arbeitsplatz zu schicken und nicht nur anonym in mein Postfach zu sliden, hat mich in diesem Fall doch überrascht. Andererseits wird aktuell kaum eine andere sprachliche Angelegenheit so intensiv diskutiert wie das Gendern und es ist bekannt, dass Anfeindungen eine Folge sind. Ein Beispiel dafür ist die italienische Soziolinguistin Vera Gheno, deren gesamte Forschungsleistung regelmäßig in Frage gestellt wird, weil sie sich öffentlich zum Thema Gendern äußert.

Während ein Student der Uni Wien gegen einen vermeintlichen “Genderzwang” klagt, bringt ein VW-Angestellter den Tochterkonzern Audi vor Gericht, weil dieser gegenderte Mails verschickt. In Niederösterreich wurde die Debatte soeben neu aufgerollt, nachdem sich der FPÖ-Politiker Udo Landbauer in den sozialen Medien lieber als Landeshauptmann-Stellvertreter statt wie offiziell korrekt als Landeshauptfrau-Stellvertreter bezeichnet - die weibliche Form ist der männlichen Form wohl doch nicht ganz gleichgestellt. Niederösterreich ist nun zudem das erste österreichische Bundesland, das verpflichtende Regeln zum Gendern anordnet: Per Gendererlass wurde festgelegt, dass das 2021 noch empfohlene Binnen-I sowie neuere Formen wie Genderstern und Gender-Gap in offiziellen Dokumenten des Landes fortan nicht mehr benutzt werden dürfen. Wer darin weiterhin Schreibweisen wie BürgerInnen, Bürger*innen oder Bürger_innen verwendet, muss nun sogar mit disziplinären Maßnahmen rechnen.

Genderwahn, Gender-Neusprech oder Gendersprache: Jeder Versuch, Sprache in irgendeiner Form gerechter zu gestalten, wird sofort mit solchen Bezeichnungen gelabelt und vehement bekämpft.

Karoline Irschara

Die Diskussion ist natürlich nicht an nationale oder sprachliche Grenzen gebunden, sondern findet in ähnlicher Weise auch in anderen Sprachräumen statt. Wenn wir den Blick auf Italien richten, fallen einige Parallelen ins Auge: Die Dirigentin Beatrice Venezi fordert beim Sanremo-Festival 2021, direttore und nicht direttrice genannt zu werden und natürlich präferiert auch die amtierende Ministerpräsidentin Meloni die männliche Anrede Signor Presidente del Consiglio. Die Argumente gegen neue Vorschläge, die aus der LGBTQIA+-Community kommen (z.B. Formen, die geschlechtliche Vielfalt markieren möchten, wie etwa ragazz*, ragazzə, ragazzз, ragazzu, ragazz@), sind weitgehend identisch mit denen, die im deutschsprachigen Raum auftauchen: zu kompliziert, unleserlich, eine Ästhetik gleich Null. So gab es in Italien erst 2022 eine Petition gegen das Gendern mit -schwa (also die Endungen -ə/-з), in Deutschland und Österreich folgten 2023 sogar Anti-Gendern-Volksbegehren.

In der öffentlichen Debatte dominieren also Positionen gegen gendergerechte Sprache bzw. werden gerade solche Positionen medial forciert und für politische Zwecke instrumentalisiert. Zudem ist die Debatte stark auf bestimmte Einzelformen (z.B. das Binnen-I oder den Genderstern) reduziert, während eine tiefgründige Auseinandersetzung über die Möglichkeiten und Grenzen gendergerechter Sprache auf der Strecke bleibt. Auch eine Diskussion über allgemeine Zusammenhänge zwischen Sprache und Diskriminierung findet kaum statt. Vielmehr werden Versuche, Sprache in irgendeiner Form gerechter zu gestalten, als Genderwahn, Gender-Neusprech oder Gendersprache gelabelt und vehement bekämpft.

Eines der vielen Gegenargumente lautet, dass Eingriffe „von außen“ oder „von oben“ deshalb verhindert werden sollen, weil sich Sprache rein „natürlich“ entwickle. Die Metapher der Sprache als natürlicher Organismus wird zusätzlich gerne mit einem diffusen Ästhetikbegriff verknüpft: Sprache sei natürlich und ästhetisch und deshalb dürfe man sie eben nicht „verhunzen” und müsse der „sprachlichen Verunstaltung“ etwas entgegensetzen. Das klingt, als seien politisch motivierte Sprachwandelprozesse etwas völlig Ungewöhnliches. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass dies nicht der Fall ist: Ein Beispiel dafür sind die Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (ADSV), der von 1885 bis 1945 bestand und sich die sprachliche Reform der deutschen Nationalidentität zur Aufgabe gemacht hatte. Die Haupttätigkeit bestand darin, „Fremdwörter“ zu bekämpfen und passende „Ersatzwörter“ zu entwickeln. Die im Verein wirkenden Sprachpuristen (hauptsächlich Männer) arbeiteten mit ähnlichen Bildern und Bedrohungsszenarien, wie wir sie auch in der aktuellen Diskussion ums Gendern finden. So würden Fremdwörter das Deutsche „überfluten“ oder „verseuchen“. Der ADSV ersetzte beispielsweise Baby durch Kleinling, Sweater durch Sportwams, Polonaise durch Edelreigen und Gymnastik durch Bewegungskunst. Die Ansicht, man müsse auch die deutsche Gegenwartssprache vor Anglizismen retten, vertritt aktuell der Verein für Deutsche Sprache, der jedes Jahr einen Anglizismenindex herausgibt. Dieses Thema erregt aber weit weniger Aufmerksamkeit als das Thema Gendern. Warum verkauft sich also gerade letzteres immer wieder als emotionaler Dauerbrenner?

Das Hinterfragen von Macht, Privilegien und sprachlicher Dominanz rüttelt an Verhältnissen, die bisher sichergestellt haben, dass alles so bleibt, wie es ist.

Karoline Irschara

Dass Vorschläge des gendergerechten Sprachgebrauchs nicht immer leicht umzusetzen sind, ist klar. Die Kategorie Geschlecht ist im Deutschen gesellschaftlich so bedeutsam, dass sie ihre Wurzeln tief in die Grammatik und in den Wortschatz schlagen konnte. Umso schwieriger ist es, diese eingefahrenen Muster wieder aufzubrechen und sprachliche Gewohnheiten zu verändern. Dennoch können Gewohnheiten an- und abtrainiert werden - das ist also vielleicht gar nicht der Punkt.

Die Debatte dürfte deshalb so verfahren sein, weil es natürlich nicht nur um den Genderstern an sich geht, sondern gleichzeitig um politische und soziale Fragen, und sich hier mehrere Ebenen vermischen. Einerseits geht es seit den 1980er Jahren um sprachliche Sichtbarkeit von Frauen, die sich unterschiedlich gut bzw. schlecht durchgesetzt hat. Andererseits geht es inzwischen aber auch darum, neue sprachliche Wege zu finden, um geschlechtliche Vielfalt markieren zu können und das binäre System Mann - Frau zu überwinden. In der Debatte treffen immer auch unterschiedliche und konkurrierende Perspektiven auf die Gesellschaft aufeinander. Das Ganze geht also über eine rein sprachliche Debatte hinaus: Der Versuch, gendergerecht zu sprechen, funktioniert auch als Form der Kritik an historisch in die Sprache eingesickerten Machtverhältnissen. Das Hinterfragen von Macht, Privilegien und sprachlicher Dominanz rüttelt damit an Verhältnissen, die bisher sichergestellt haben, dass alles so bleibt, wie es ist.

Geschlechtergerechter Sprachgebrauch hat nichts mit Benimm-Regeln zu tun, sondern stellt eine Möglichkeit dar, mit Sprache gegen Diskriminierung anzutreten.

Karoline Irschara

Um die Diskussion zukünftig auf einer sachlichen Ebene zu führen, wäre es meines Erachtens wichtig, anzuerkennen, dass derzeit mehrere Varianten erprobt werden und keineswegs eine einheitliche Meinung darüber herrscht, was nun die beste Form sein soll - weder innerhalb der Linguistik noch außerhalb. Ich gehe auch davon aus, dass es Menschen gibt, die sich diesbezüglich überhaupt enthalten möchten. Eine neutrale Sprache ist utopisch, doch gerade das könnte ein Grund für mehr Gelassenheit sein. Wir befinden uns aktuell in einer interessanten Übergangsphase, und ob sich bestimmte Formen durchsetzen oder nicht, hängt immer von denjenigen ab, die sie benutzen. Für mich ist klar, dass geschlechtergerechter Sprachgebrauch nichts mit Benimm-Regeln zu tun hat, sondern eine Möglichkeit darstellt, mit Sprache gegen Diskriminierung anzutreten. Einen Zwang soll er aber definitiv nicht darstellen. Wenn also Sprecher*innen gerne gendern möchten, wäre es ein Anfang, dies auch sprachpolizeilich zuzulassen und nicht sofort belehrende Briefe zu verfassen. Als Gendermarie-Bedienstete reagiere ich in der Regel sowieso nicht darauf.

Das Stiftung Südtiroler Sparkasse Global Fellowship

Jedes Jahr werden zwei Stiftung Südtiroler Sparkasse Global Fellowships vergeben. Den Fellows bietet sich die Möglichkeit, eng mit dem interdisziplinären Team des Center for Advanced Studies zusammenzuarbeiten und persönliche Erfahrungen und wissenschaftliche Interessen mit ausgewählten geopolitischen Bereichen und Forschungsprojekten am Center zu verknüpfen.

Die Global Fellowships werden von der Stiftung Südtiroler Sparkasse / Fondazione Cassa di Risparmio di Bolzano finanziert.

Karoline Irschara

Karoline Irschara

Karoline Irschara ist wissenschaftliche Projektmitarbeiterin (Postdoc) und Lehrbeauftragte am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Innsbruck mit Forschungsinteressen in den Bereichen Korpus- und Diskursstudien sowie feministische Linguistik. Sie war an mehreren Forschungsprojekten beteiligt, die sich auf die Verbindung zwischen Sprache und Geschlecht konzentrieren, insbesondere auf deren Einfluss auf den medizinischen Diskurs. In ihrem Promotionsprojekt hat sie an einem umfangreichen Korpus radiologischer Befunde gearbeitet und dabei die Perspektive der Critical Medical Humanities eingenommen. Karoline Irschara ist eine Stiftung Südtiroler Sparkasse Global Fellow 2023 am Center for Advanced Studies von Eurac Research.

Tags

  • gender
  • Linguistik

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