Die Attraktivität des Temporären Coworking und Coliving – auch ein Thema in der Regionalentwicklung
Coworking – Selbstständige und solche, die es werden wollen, mieten gemeinsam Büros, um in einem kreativen Umfeld und in innovativer Atmosphäre Seite an Seite zu arbeiten.
Coliving – Wissenschaftler, Kreative, Künstler und Entrepreneure teilen sich ein Haus oder eine Wohnung mit mehreren Zimmern, Gemeinschaftsräumen und mehr oder weniger anspruchsvollen Accessoires, wie Terrasse, Garten oder Garage.
Ob Coworking oder Coliving – im Vordergrund stehen zeitliche Befristung, Ungebundenheit, Unabhängigkeit und der Community-Gedanke. Feste Arbeitszeiten, fixe Arbeitsplätze, die 40-Stunden-Woche und Präsenzpflicht am Arbeitsplatz sind für diese Menschen aus der Industrialisierung entstammende Relikte und gehören der Vergangenheit an – sie werden zu Reisenden in ihrer Zeit.
Die „Attraktivität des Temporären“ hat ihren Ursprung in diversen Veränderungen und Entwicklungen, die vom gesellschaftlichen Wertewandel, der Digitalisierung, der Revolution der Arbeitswelt und den neuen Arbeitsrealitäten, der Urbanisierung sowie der dadurch entstehenden regionalen Disparitäten bis hin zu den neuen Realitäten der Patchwork-Familien reichen. Diese Entwicklungen stellen die Arbeits- und Lebenswelten langfristig auf den Kopf bzw. ordnen sie neu.
Während die Industrialisierung die Menschen in die Städte und industriellen Zentren gebracht hat, löst die „neue Arbeitswelt“ die Menschen gewissermaßen von Raum und Zeit. Virtuelle Arbeitssituationen und Projektteams gehören zum Alltag digitaler Nomaden. Immer mehr Unternehmer und Arbeitnehmer können digitale Technologien nutzen, um ihre Arbeit und Tätigkeit ortsunabhängig zu verrichten und dadurch einen multilokalen Alltag zu leben. Präsenzpflicht und Ortsgebundenheit verlieren an Bedeutung und ein von Raum und Zeit gelöstes Arbeiten wird möglich. Und auch im privaten Bereich zeigen sich temporäre Lösungen als die gängigen Modelle: Lebenspartner werden immer öfter zu Lebensabschnittspartnern und zu temporären Begleitern.
Glaubt man Zukunftsforschern, liegt die Zukunft des Wohnens und Arbeitens im Mobilen und Temporären. Warum einen festen Wohnraum, wenn ein mobiler Ort dieselbe individuelle Aneignung ermöglicht, aber ortsungebunden ist? Warum einen eigenen Büroraum anmieten oder kaufen, wenn durch Coworking eine bedarfsgerechte Immobilie zu geringeren Kosten in Anspruch genommen werden kann? Warum Geschäfte nicht temporär öffnen, wenn dadurch Produkte besser inszeniert werden können und Exklusivität geschaffen werden kann?
Diese neuen temporären, teils mutigen Konzepte funktionieren dort, wo die Standortfaktoren als gesamtes zukunftsfähig sind. Das sind in erster Linie die Städte und urbanen Zentren, die Zuwanderung und eine steigende Attraktivität durch höhere Lebensqualität verzeichnen. Mit Coworking und Pop up werden ganze Stadtviertel aufgewertet und entwickelt. Diese temporären Konzepte funktionieren als Instrument der Quartiersentwicklung, da leerstehende Immobilien über die Zwischennutzung wieder einer langfristigen Nutzung zugeführt werden können. Die Idee der temporären Nutzung und Bespielung geht vom aktuellen Kontext, vom bestehenden Zustand aus. Es geht nicht darum, Neues zu schaffen, sondern Bestehendes zu nutzen. Es geht um die Gestaltung der kurzen Zeiträume, jener Zeiträume, die einer Überbrückung bedürfen.
Auch in Südtirol erfreuen sich neue Formen der Arbeitsorganisation in Zusammenhang mit der Nutzung von bestehenden Infrastrukturen einer zunehmenden Attraktivität. Die Stadt Meran hat mit „Startbase Meran“ ein Gemeinschaftsbüro für Coworker und Start-up-Unternehmer in einer bestehenden Immobilie geschaffen. Weitere Städte in Südtirol planen ähnliche Projekte und sehen darin durch die Anziehung kreativer, junger Köpfe eine Bereicherung für die Innenstädte.
Die Frage, die sich stellt ist, inwieweit temporäre Konzepte Veränderungsprozesse in weniger attraktiven Räumen, sprich in der Peripherie, wo die Standortfaktoren nicht optimal sind, initiieren können. Können diese Initiativen eine gewisse Nachhaltigkeit haben, sodass eine positive Nachwirkung für die Entwicklung des Raumes gegeben ist? Oder handelt es sich hier letztlich nur um ein weiteres Phänomen der Wegwerfgesellschaft?
Fest steht, dass das, was vor einigen Jahren noch als Utopie alternativer Lebens-, Arbeits- und Wohnformen entstanden ist, heute zur Realität zählt. Pop up, Sharing, Coworking und Coliving bewegen sich mehr und mehr aus der Nische heraus und entwickeln sich zu ernst zu nehmenden Strategien der Raum-, Regional- und Stadtentwicklung. Diese Entwicklung erfordert eine Diskussion über die Folgen der neuen Formen des Wohnens und Arbeitens für Städte und Regionen. Einerseits werden architektonische und städtebauliche Aspekte vor diesem Hintergrund auf den Prüfstand gestellt und zum experimentellen Feld für Stadtentwickler, Designer und Architekten. Andererseits sind es die Akteure der Governance in Städten und Regionen, die sich mit Herausforderungen konfrontiert sehen, traditionelle Instrumente, Verfahren und Rahmenbedingungen der Steuerung zu hinterfragen. Für diese Orte und Konzepte sind die Regeln zu schreiben. Um die Potentiale temporärer Konzepte für die Entwicklung von Räumen vollumfänglich zu nutzen, sind auch die hierfür notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. In der Überzeugung davon, dass temporäre Konzepte auch in der Regionalentwicklung zu diskutieren sind, da sie beispielsweise eine Möglichkeit sein können, Leerstand und Ortszentren zu revitalisieren und kreative und qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen, widmet sich das Institut für Regionalentwicklung diesen Fragen in einer in Kürze erscheinenden Publikation.
Autoren: Elisa Innerhofer & Harald Pechlaner
Links zum Thema
deskmag – das Magazin über Coworking, seine Menschen und Räume
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