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Après Ski
Ein Forschungsprojekt hilft kleinen Wintertourismusorten bei der Anpassung an schneeärmere Winter.
Der Winter ist nicht mehr, was er einmal war: Besonders in Höhen unter 1.500 Metern bleibt der Schnee immer häufiger aus oder kommt später, er fällt weniger reichlich, und im Frühling schmilzt er früher wieder weg.
Kürzere Skisaisonen und höhere Kosten: Die Folgen des Klimawandels machen kleinen Schneetourismusdestinationen in tiefen und mittleren Lagen der Alpen zu schaffen. Ein internationales Forschungsprojekt hilft ihnen, Wege aus der Schneeabhängigkeit zu finden.
„Bayerisch Sibirien“ erlebte 2022 eine Premiere: Zum ersten Mal lag in Balderschwang, das seinen Spitznamen dem traditionell kalten, schneereichen Klima verdankt, in der Weihnachtszeit nicht genug Schnee, um die Loipen zu eröffnen. In Bohinj, einem Tal in den Julischen Alpen, sind die Veränderungen schon vertrauter. Wo die Winter einst sprichwörtlich waren – in Bohinj dauere der Winter 13 Monate, lautete das Bonmot – fällt seit Jahren nur noch in den hohen Lagen des Triglav Nationalparks Schnee; weiter unten bleiben die Hänge grün, und für Beschneiung ist es oftmals zu warm. Eines der Skiresorts im Tal hat 2011 geschlossen. Métabief im französischen Jura musste vergangenes Jahr die Skisaison wegen Schneemangels im Januar beenden, mit einem Verlust von drei Millionen Euro. In diesem Winter wird das Gebiet, das 50 Prozent der Tourismuseinkünfte der Gemeinde generiert, seine schwierigste Piste gar nicht erst öffnen: Nach Süden ausgerichtet, verbraucht sie fast die Hälfte der Ressourcen für technischen Schnee für 20 Prozent der Skifahrer – das rechnet sich nicht.
Drei Orte in den Alpen, stolz auf ihre Tradition im Skitourismus, und nun in unterschiedlichem Ausmaß mit einer schmerzhaften Wahrheit konfrontiert: Der Winter ist, zumindest in Höhen unter 1.500 Metern, nicht mehr das, was er einmal war. Der Schnee, der zu ihrer Identität gehörte und, wortwörtlich, eine der Grundlagen ihrer Wirtschaft darstellte, bleibt immer häufiger aus oder kommt später, er fällt weniger reichlich, und im Frühling schmilzt er früher wieder weg. Und all dies wird sich in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit noch verstärken. Auch tief gelegene Alpenorte werden noch Winter erleben, in denen sie aufgrund besonderer Wetterlagen im Schnee versinken; solche Ausnahmen ändern jedoch nichts am großen Bild – das eindeutig weniger weiß ist. Besser, man rüstet sich für die Zeit nach dem Schnee.
Balderschwang, Bohinj und Metabièf tun dies schon, und mit wissenschaftlicher Unterstützung. Alle drei Gemeinden sind Pilotregionen eines von Eurac Research geleiteten Projekts des EU-Alpenraumprogramms, das zum Ziel hat, kleinen Schneetourismusdestinationen in tiefen und mittleren Lagen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. „BeyondSnow“, jenseits des Schnees, heißt das Projekt.
„Viele kleine Skigebiete sind wegen des Schneemangels, der immer kürzeren Skisaison und den steigenden Kosten schon jetzt in Schwierigkeiten – oder werden es bald sein. Ihnen alle wollen wir helfen“, erklärt der Raumplaner Andrea Omizzolo, der mit seinem Kollegen Philipp Corradini bei Eurac Research für das Projekt verantwortlich ist. „Um für Einheimische wie für Gäste attraktiv zu bleiben, müssen sich diese Orte neu ausrichten – weg von einem touristischen Modell, das sehr stark vom Schnee abhängt, hin zu einem, wo dies zunehmend weniger der Fall ist.“
Zehn Pilotregionen aus dem gesamten Alpenraum nehmen an BeyondSnow teil. Sie unterscheiden sich stark, auch im Grad der Bedrängnis. Da ist das ligurische Monesi di Triora, wo nur noch die verlassenen Anlagen daran erinnern, dass hier einmal eine richtige kleine Skistation war. Und da ist die Region um den Großen Arber im Bayerischen Wald – noch schneesicher, aber mit Verantwortlichen, die jetzt schon an die Zukunft denken.
Im ligurischen Monesi di Triora erinnern nur noch die verlassenen Anlagen daran, dass hier einmal eine richtige kleine Skistation war.
„Die Entscheidungen werden überall anders aussehen“, sagt der Tourismuswissenschaftler Philipp Corradini; „worauf es ankommt ist, dass sie auf der Basis fundierten Wissens getroffen werden.“ Gerade in kleinen Orten werde manchmal aus dem Bauch heraus entschieden, „auf Sicht“ navigiert. Was das Risiko erhöht, dass es zu Fehlentscheidungen kommt. „Wissen“, das sind einmal Daten: zur Klimaveränderung und ihren Folgen, aber auch zu den eigenen Umständen – wobei hier alles eine Rolle spielt, das Einfluss darauf hat, wie verwundbar man ist. An der Schnee-Niederschlagsmenge oder der Zahl der Frosttage ist kurzfristig nichts zu ändern; die eigene Verletzlichkeit kann man verringern. Wer bisher vor allem vom Skitourismus lebt, muss sehen, was er Gästen im Winter bieten kann, wenn der Schnee zum Skifahren nicht reicht, und er sollte vermehrt auf den Sommertourismus setzen.
Es gilt zu verhindern, dass ein Ort eine Anpassungsstrategie wählt, die nicht zu ihm passt.
Philipp Corradini
Daten allein reichen aber nicht aus, sagt Corradini. „Ganz zentral ist: „Was will die Bevölkerung? Eine Strategie hat keine Zukunft, wenn die Einheimischen nicht mit im Boot sind.“ Auf eine erste grundlegende Analyse der Orte, folgten deshalb zahlreiche Interviews und Workshops. Da ging es zum Beispiel darum, den eigenen Ort mit neuen Augen zu sehen: Warum ist er einen Urlaub wert, unabhängig vom Schnee? „Oft kommt man auf Attraktionspunkte, die niemand im Blick hatte“, sagt Omizzolo. Gut zu erreichende Almen, wunderbar zum Winterwandern. Historisch oder kulturell interessante Orte, die man eventuell über einen Themenweg verbinden kann.
Solche Analysen und partizipativen Prozesse sind aufwendig, in diesem entscheidenden Moment aber vielleicht die einzige Investition, bei der außer Frage steht, dass sie sich lohnt. Schließlich geht es um viel. Wie Corradini erklärt: „Es gilt zu verhindern, dass ein Ort eine Anpassungsstrategie wählt, die nicht zu ihm passt.“ Und das geht nun einmal nur mittels eingehender Diagnose. Im Laufe des Projekts wurden dafür Instrumente entwickelt, die allen Gemeinden in den Alpen helfen sollen. Eines davon ist die vulnerability map, die die Trends der Veränderungen für den gesamten Alpenraum darstellt: Welche Regionen die stärkste Verkürzung der Schneesaison erleben werden etwa, oder wo große Temperaturzunahmen drohen; aber auch Faktoren wie die Beschaffenheit der Infrastruktur und die Bevölkerungsentwicklung, die sich auf die Resilienz auswirken. Die Karte soll den Verantwortlichen vor Ort einen ersten Überblick geben, erklärt Omizzolo, „um das Ausmaß des Problems zu erfassen.“
Viele Orte versuchen immer noch, das Problem zu verdrängen: nichts sehen, nichts hören, nicht darüber reden.
Andrea Omizzolo
Diesen Schritt hat Métabief schon lange hinter sich. Bereits 2016, nach mehreren schwierigen Jahren, wollte die Betreibergesellschaft des Skiresorts wissen, ob es denn noch einmal besser werden würde. Die in Auftrag gegeben Klimaszenarien zeigten: Nein. Seitdem geht man in Métabief davon aus, dass spätestens 2040, vielleicht schon 2030, mit dem Skifahren Schluss ist. „Dort befindet man sich schon seit zehn Jahren in einem Transitionsprozess“, sagt Corradini. „Das ist ein interessanter Sonderfall unter den Pilotregionen, von dessen Erfahrung die anderen profitieren können.“ Zu Métabiefs Plan für die Neuausrichtung gehört ein „Mountain-Hub“, mit einer Akademie und einem Tagungszentrum, wo Ideen für die Zeit nach dem Schnee entwickelt und Erkenntnisse ausgetauscht werden sollen.
Viele Orte versuchten immer noch, das Problem zu verdrängen, sagt Omizzolo: „Nichts sehen, nichts hören, nicht darüber reden“ – er imitiert die drei Affen. Aber sehr viele Orte machen sich auch Gedanken. Auf einer vom Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ organisierten Tagung in Bad Hindelang diskutierten im Herbst 2023 300 Touristikfachleute über die Folgen des Klimawandels für den Wintertourismus, und wie man sich wappnen kann, damit sie einen nicht zu hart treffen.
Wirtschaftlich gesehen kann ein Wanderer einen Skifahrer nicht ersetzen.
Alle waren sich einig: Es braucht schon jetzt Konzepte, wie man sich neu orientieren kann. Doch alle müssen auch die Rechnung mit einer harten Tatsache machen, erklärt Corradini, der in Bad Hindelang von „BeyondSnow“ berichtete: Rein wirtschaftlich gesehen kann ein Wanderer einen Skifahrer nicht ersetzen. „Es gibt dazu viele Untersuchungen; die Ergebnisse reichen von einem Drittel mehr Ausgaben im Winter, bis zum Doppelten, das ein Skitourist im Vergleich zum Sommergast im Ort lässt.“ In Bad Hindelang wurde deshalb das Gebot der Stunde so formuliert: sich auf mehrere Standbeine stellen. Der Titel der Tagung lautete: „Schneesicher? Sicher nicht!“
Das ist griffig formuliert, doch nicht die ganze Geschichte. „Es sind drei Effekte, die man im Blick haben muss, wenn es darum geht, wie der Klimawandel den Bergtourismus trifft“, erklärt Corradini: Höhere Temperaturen, größere Variabilität der Niederschläge, und die potenzielle Zunahme von Naturgefahren.“ Die höheren Temperaturen machen zunehmend häufig auch die Herstellung von technischem Schnee unmöglich (ohne den der Skitourismus in den Alpen nicht mehr vorzustellen ist), oder lassen Regen auf Schnee fallen; beides für Pistenbetreiber ein großes Problem, ebenso wie die zunehmende Unberechenbarkeit der Niederschläge – dass im November erste Schneefälle die Grundlage für die Saison legen, ist längst nicht mehr verlässlich. Verglichen mit der Gefahr, die Felsstürze oder Hangrutsche bedeuten können, sind das aber noch geringere Sorgen.
Sich einer Wirklichkeit anzupassen, die sich in so vielen Aspekten wandelt, ist naturgemäß komplex. In BeyondSnow wurde ein umfassendes Modell dafür entwickelt – Resilience Adaptation Model, RAM –, das 74 Indikatoren in Betracht zieht: allgemeine Charakteristiken der Destination ebenso wie Kennzahlen zu ihrem touristischen und sozioökonomischen Modell, ihren Management-Kapazitäten, den Klimaveränderungen und Umweltbedingungen der Region. Bald wird das Modell in etwas vereinfachter Form – 58 Indikatoren – online verfügbar sein. Wenn Tourismusverantwortliche einer Gemeinde in diesem „Resilience Decision-Making Digital Tool“ alle erforderlichen Daten eingeben (sollten konkrete Daten nicht verfügbar sein, sind auch Schätzungen möglich, die das System dann als solche wertet), sollten sie eine grundsätzliche Ersteinschätzung der Risiken und Möglichkeiten erhalten, die ihnen hilft „Maßnahmen zu priorisieren und Ressourcen effizient zuzuweisen.“ Dies nicht zu tun, könne gerade kleine Gemeinden, mit wenig Ressourcen, leicht in eine verfahrene Situation bringen, erklärt Corradini: „Die Strukturen können dann oftmals nur durch kontinuierliche Beiträge seitens der öffentlichen Hand überleben, oder durch destinationsexterne Investoren.“
58 Indikatoren, um Risiken und Möglichkeiten einzuschätzen
Wie häufig auch öffentliche Mittel noch ausgegeben werden, als sei der Klimawandel ein Gerücht, zeigt für Italien ein Report der Umweltorganisation Legambiente, die ebenfalls Projektpartner von BeyondSnow ist. Ihr Bericht „Neve diversa“ von 2023 zählt 181 Fälle, in denen totgeweihte Skigebiete mit viel Geld und technischem Schnee (und entsprechend hohem Wasser- und Energieverbrauch) lebensverlängernde Maßnahmen erhalten. „Das sind Entscheidungen politischer Natur“, sagt Omizzolo, und fügt resigniert hinzu: „Man könnte die Mittel natürlich viel besser verwenden ….“.
Nach zwei Jahren Projektarbeit stehen die Pilotregionen von BeyondSnow nun kurz davor, ihre Strategien für den Weg aus der Schnee-Abhängigkeit fertigzustellen. Eine Zusammenfassung aller Ansätze, die auch anderen als Inspiration dienen können, wird auf Englisch verfügbar gemacht. Corradini, der die ersten Entwürfe der Strategien schon gesehen hat, sagt, im Wesentlichen hätte die Orte sich für sanfte, nachhaltige Anpassungen entschieden. Das kleine ligurische Monesi di Triora etwa will auf Mountainbiker setzen und eine Verbindungsroute nach Frankreich anlegen; zum Radfahren ist das Gebiet wunderbar. Viel unberührte Natur, zwei Autostunden von Turin oder Genua. Die Zukunft ist weniger weiß, aber sie muss deshalb nicht düster sein. Oder wie der Leiter des Tourismusverbands von Bohinj es ausdrückte: „Unter dem Schnee ist immer noch der Berg.“

Das Projekt BeyondSnow
Angesichts abnehmender Schneesicherheit aufgrund des Klimawandels will das Interreg-Alpenraumprojekt BeyondSnow kleinen und mittelgroßen Schneetourismusdestinationen dabei helfen, ihr Tourismusangebot anzupassen und neu zu beleben und dadurch ihre Resilienz gegenüber den klimatischen Veränderungen zu erhöhen. 13 Partnerinstitutionen und zehn Pilotregionen aus allen Alpenländern erarbeiten gemeinsam neue nachhaltige Entwicklungspfade, Übergangsprozesse und umsetzbare Lösungen. Anpassungsbeispiele und Analyse-Werkzeuge werden über die [Projektseite]https://www.alpine-space.eu/project/beyondsnow/) allgemein zur Verfügung gestellt. Erstmals wird auch ein innovatives und frei zugängliches digitales Tool entwickelt, das all jenen, die in touristischen Destinationen Entscheidungen treffen müssen, ermöglichen wird, eine Ersteinschätzung der touristischen Klimawandelresilienz der jeweiligen Destination zu erhalten.
Für mehr Einblick in das Projekt: https://www.euronews.com/my-europe/2024/12/09/climate-change-how-alpine-ski-resorts-are-adapting-to-the-end-of-the-white-gold-era