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Denken Sie an eine Biene

Die zarte Vielfalt der Südtiroler Bienen

Andrea De Giovanni/Elia Nalini
Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini
by Andrea De Giovanni

Fünfhundert Wildbienenarten sind in Südtirol beheimatet. Sie unterscheiden sich durch Anatomie, Ökologie und Verhalten. Die Insektenforscherin Lisa Obwegs untersucht, wie sich menschliche Aktivitäten auf ihren Gesundheitszustand auswirken.

Denken Sie an eine Biene. Welches Bild kommt Ihnen in den Sinn? Wahrscheinlich stellen Sie sich ein kleines, fleißiges Insekt mit einem gelb-schwarz gestreiften, pelzigen, runden Körper vor. Die feinen, durchsichtigen Flügel vibrieren, wenn es von Blüte zu Blüte fliegt und Pollen für sein Bienenvolk sammelt. Probieren Sie es aus: Meistens ist es dieses Bild, das man erhält, wenn man jemanden bittet, eine Biene zu beschreiben. Aber nun holen Sie mit Ihrer Fantasie aus. Stellen Sie sich andere Bienen vor als die eben beschriebene. Erfinden Sie neue. Welche mit unbehaartem Körper, streifenlose oder rot-schwarz gefärbte, metallisch schillernde, goldfarbene, welche, die fast so groß sind wie Ihr Daumen, oder so klein wie ein Reiskorn, welche mit sehr langen Fühlern, oder mit einem spitzen Hinterleib. Sie können Ihrer Fantasie freien Lauf lassen und sich die seltsamsten Bienen einfallen lassen. Aber wenn Sie an einem Frühlingstag spazieren gehen und aufmerksam beobachten, können Sie sie mit etwas Glück auch leibhaftig vor sich sehen. Denn die Evolution hat sich schon an Ihrer Stelle ausgetobt: Über tausend Bienenarten gibt es in Italien, die Hälfte davon ist auch in Südtirol vertreten. Die Entomologin Lisa Obwegs versucht zu verstehen, wie sich menschliche Aktivitäten auf die Populationen auswirken.

Es ist ein sonniger Frühlingstag, eine Honigbiene steuert zielsicher die Lavendelblüten an, die den Teich im Garten von Eurac Research säumen. Die Biene weiß es noch nicht, aber die blühenden Sträucher, auf die sie zufliegt, liegen in einem fremden Revier. Als sie nur noch wenige Zentimeter von ihrem Ziel trennen, geschieht alles in einem Wimpernschlag: Eine andere Biene stürzt sich auf sie und verhindert, dass sie die auserwählte Blüte erreicht. Die Honigbiene ändert ihren Kurs, während die andere den Kontrollflug fortführt. Die „Hausherrin“ unterscheidet sich von der Honigbiene – das fällt selbst einem ungeübten Auge auf. Sie ist gedrungener, und die gelben, von schwarzen Mustern unterbrochenen Bänder auf ihrem Hinterleib lassen sie wie eine Wespe aussehen. Es handelt sich um ein Exemplar der Florentiner Wollbiene (Anthidium florentinum), eine der rund 500 in Südtirol lebenden Wildbienenarten. Die Männchen dieser Art haben spitze Fortsätze am Hinterleib, mit denen sie andere Bienen angreifen, die es wagen, den Blüten zu nahe zu kommen, bei denen die Weibchen Pollen sammeln.

Die Florentiner Wollbiene (Anthidium florentinum) ist eine der rund 500 in Südtirol lebenden Wildbienenarten. Die Männchen dieser Art haben spitze Fortsätze am Hinterleib, mit denen sie andere Bienen angreifen, die es wagen, den Blüten zu nahe zu kommen, bei denen die Weibchen Pollen sammeln.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini

Was Anatomie, Ökologie und Verhalten betrifft, sind Wildbienen eine äußerst heterogene Gruppe. Es gibt Arten mit einem besonders langen Rüssel zum Sammeln von Nektar, andere haben, ähnlich wie Ameisen, auffallend kräftige Mundwerkzeuge. Manche Bienen nutzen ihr Haarkleid, um Pollen zu sammeln, während andere Bienen, die einen kahlen Körper haben, den Pollen verschluckt transportieren und ihn am Zielort wieder auswürgen. Auch die Körpergröße variiert stark: die größte Art ist dreimal so groß wie die kleinste.

Die Anatomie der Wildbienen variiert stark von einer Art zur anderen. Das Bild zeigt ein Exemplar einer Pelzbiene (Anthophora albigena) mit gedrungenem Körper und langem Rüssel sowie ein Exemplar einer Scherenbiene (Chelostoma florisomne) mit schmalem Körperbau und mächtig entwickelten Mandibeln.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini
Links: Die Große Holzbiene (Xylocopa violacea) ist mit ihren 20 bis 30 Millimetern Länge eine der größten Arten Europas. Rechts ein Exemplar einer Maskenbiene (Hylaeus punctatus), die fünf bis sechs Millimeter groß werden.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini
Auch Männchen und Weibchen der gleichen Art können sehr unterschiedlich sein. Das Bild zeigt links ein Weibchen und rechts ein Männchen der Stahlblauen Mauerbiene (Osmia caerulescens).Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini

Eines der Merkmale, die sich von einer Art zur anderen stark unterscheiden, ist das Sozialverhalten. Die Honigbiene (Apis mellifera) – die Art, die den meisten vertraut ist, weil sie zur Honigproduktion gezüchtet wird – bildet Kolonien, die aus einer Königin und Tausenden von Arbeiterinnen bestehen. Die Königin legt Eier, während ihre Töchter, die Arbeiterinnen, für die Pflege des Nachwuchses und den Schutz des Nestes verantwortlich sind. Im Gegensatz zur Honigbiene ist die Florentiner Wollbiene (Anthidium florentinum), wie 75 Prozent der Wildbienenarten, eine solitäre Biene – diese Arten werden auch Einsiedlerbienen genannt. Das Sozialverhalten der einzelnen Arten ist jedoch sehr unterschiedlich. Einige Einsiedlerbienen sind kommunale Arten, das heißt, sie legen ihre Eier in ein gemeinsames, in den Boden gegrabenes Nest, bilden jedoch keine echte Kolonie. Jede Biene baut ihre eigenen Zellen, legt dort ihre Eier ab und deponiert Pollen zur Ernährung der Larven. Dann stirbt sie. Die neue Bienengeneration wird also nie die Biene treffen, die sie in die Welt gesetzt hat. Andere Arten hingegen bilden Kolonien und haben eine gewisse Arbeitsteilung. Im Gegensatz zu Honigbienenvölkern leben die Völker dieser Arten jedoch nur ein Jahr. Alle Mitglieder der Kolonie sterben im Herbst, mit Ausnahme der befruchteten Weibchen, die nach dem Winter eine neue Kolonie gründen.

Die Zottelbiene (Panurgus banksianus) gehört zu den kommunalen Arten. Sie legen ihre Eier in ein gemeinsames Nest, bilden jedoch keine echte Kolonie, wie es hingegen bei den Honigbienen der Fall ist. Jede Biene baut ihre eigenen Zellen, legt dort ihre Eier ab und deponiert Pollen zur Ernährung der Larven. Dann stirbt sie.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini
Die Rotborstige Mauerbiene (Osmia rufohirta) baut ihr Nest in Schneckenhäusern. Nachdem sie die Eier dort abgelegt hat, versteckt sie das Schneckenhaus an einem sicheren, von Pflanzen geschützten Ort. Dort bedeckt sie es noch mit einer Mischung aus Speichel und zerkleinerten Blättern, um es zu tarnen.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini

Nicht alle Wildbienen legen ihre Eier in ein Nest, das sie selbst gebaut haben: Einige machen es sich leicht und leben von der Arbeit anderer. Die Nomada flava, eine Wespenbiene, hat einen solchen parasitären Lebensstil und zählt deshalb zu den sogenannten Kuckucksbienen. Die Weibchen der Nomada flava halten sich in der Nähe der Nester anderer Arten auf und warten bis die „Nestbesitzerinnen“ ausfliegen. Sobald die Luft rein ist, dringen sie in das unbeaufsichtigte Nest, zerstören die Eier oder die Larven der Wirtsbienen und legen ihre eigenen dort ab. Nach dem Schlüpfen wachsen die Nomada flava-Larven dann mit der Nahrung heran, die eigentlich für die Nachkommen der Wirtsbienen bestimmt war.

Die Larven der Nomada flava entwickeln und ernähren sich in den Nestern anderer Arten. Ihr Äußeres erinnert an das einer Wespe.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini

Kuckucksbienen-Arten sind sehr nützlich, um den Erhaltungszustand von Wildbienen zu bewerten. Denn gibt es in einem Gebiet zahlreiche Exemplare einer Parasitenart, deutet das darauf hin, dass auch die Population der Wirtsbiene stabil ist. Wären nämlich nicht genug Nester vorhanden, die parasitiert werden können, gäbe es auch kaum Brutparasiten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können also eine Art beobachten und daraus Schlüsse über die Gesundheit beider Arten ziehen.

Riesen-Blutbiene (Sphecodes albilabris, rechts) parasitiert Sechsbinden-Furchenbiene (Halictus sexcinctus, links): Die erstere legt ihre Eier nämlich in das Nest der letzteren. Die Riesen-Blutbiene dringt in das Nest der Sechsbinden-Furchenbiene ein, zerstört die Eier oder die Larven und legt ihre eigenen ab. Die Larven der Kuckucksbienenart wachsen dann mit der Nahrung heran, die eigentlich für die Nachkommen der Wirtsbiene bestimmt war.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini

Neben der Anatomie und dem Sozialverhalten unterscheiden sich die Wildbienen auch bei ihren Nahrungsvorlieben. Während die erwachsenen Tiere vom Nektar einer Vielzahl von Pflanzen leben, ernähren sich die Larven von Pollen. Es gibt Arten, wie die Ackerhummel (Bombus pascuorum), die den Pollen vieler verschiedener Blüten sammeln. Andere sind sehr selektiv, so hat sich etwa die Hahnenfuß-Scherenbiene (Chelostoma florisomne) auf Pflanzen der Gattung Hahnenfuß (Ranunculus) spezialisiert. Manche Wildbienen ernähren sich sogar ausschließlich vom Pollen einer oder zweier Pflanzenarten. So beschränkt sich die Wald-Schenkelbiene (Macropis fulvipes) auf einige wenige Pflanzen der Gattung Gilbweiderich (Lysimachia).

Die Ackerhummel (Bombus pascuorum) sammelt den Pollen vieler verschiedener Pflanzenarten.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni/Elia Nalini

Warum gibt es in Südtirol so viele Wildbienenarten? Die Antwort liegt in der enormen Vielfalt der Lebensräume, die hier anzutreffen sind. „In Südtirol haben wir sowohl die fast 4.000 Meter des Ortlers als auch das Flachland in den Tälern. Diese große Bandbreite an Höhenlagen führt dazu, dass das Land geeignete Territorien für viele Arten mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensräumen bieten kann“, erklärt Lisa Obwegs, Doktorandin an der Universität Innsbruck und am Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research. „Zum Vergleich: In ganz Deutschland leben rund 600 Wildbienenarten, nur 100 mehr als in Südtirol“. Lisa erfasst die in Südtirol vorkommenden Wildbienenarten und schätzt ihre Verbreitung. Dazu muss sie eine bestimmte Anzahl von Exemplaren in verschiedenen Umgebungen einfangen: auf Bergwiesen, Weiden und in urbanen Blumenbeeten. „Die einzige Möglichkeit, um die Wildbienen zu identifizieren, besteht darin, einige Exemplare zu fangen, ins Labor zu bringen und in unsere entomologische Sammlung aufzunehmen. Diese Sammlung ist sehr nützlich, um die biologischen Vielfalt und ihre Veränderungen im Laufe der Zeit zu analysieren. Abgesehen davon, dass sie kaum Auswirkungen auf die Wildbienenpopulationen hat. Und bei Veranstaltungen ist sie ein wirksames Instrument, um Jung und Alt die Welt der Wildbienen näher zu bringen“, erklärt Lisa. Mit ihrer Arbeit möchte sie folgende Frage beantworten: Welche Auswirkungen haben menschliche Aktivitäten auf die Wildbienenpopulationen? Besonders interessiert Lisa welche Rolle die Landnutzung spielt, also die Beweidung, das Mähen und die Düngung der Flächen, auf denen die Pflanzen wachsen, die die Wildbienen besuchten. „Ich vermute, dass in Gebieten, in denen die Böden stärker genutzt werden, die Wildbienenvielfalt geringer ist und dass die Landnutzung die Zusammensetzung der Wildbienengemeinschaften verändert“.

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Lisa Obwegs führt eine Zählung der Wildbienenarten in Südtirol durch. Dazu muss sie eine gewisse Anzahl von Exemplaren in verschiedenen Umgebungen, wie Bergwiesen, Weiden und Blumenbeeten in den Städten, einfangen.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
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Lisa Obwegs führt eine Zählung der Wildbienenarten in Südtirol durch. Dazu muss sie eine gewisse Anzahl von Exemplaren in verschiedenen Umgebungen, wie Bergwiesen, Weiden und Blumenbeeten in den Städten, einfangen.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni
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Lisa Obwegs führt eine Zählung der Wildbienenarten in Südtirol durch. Dazu muss sie eine gewisse Anzahl von Exemplaren in verschiedenen Umgebungen, wie Bergwiesen, Weiden und Blumenbeeten in den Städten, einfangen.Credit: Eurac Research | Andrea De Giovanni

Verschiedene Studien zeigen, dass die Insekten weltweit weniger werden, und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Südtiroler Wildbienen in diesem wenig beruhigenden Bild eine Ausnahme darstellen. Um es jedoch mit Sicherheit behaupten zu können, brauchen wir Daten. „In Italien kennt man bisher den Gesundheitszustand von etwa hundert Wildbienenarten, also von weniger als einem Zehntel aller hier vorkommender Arten“, sagt Lisa Obwegs. „Was wir hingegen schon kennen, sind die potenziellen Bedrohungen für diese Tiere.“ Wie Lisa erklärt, sind Lebensraumverlust, intensive Landnutzung, Pestizide und die Klimaerwärmung die wichtigsten Faktoren, die das Überleben bestimmter Arten gefährden. Zusätzlich dazu konkurrieren Wildbienen mit Honigbienen, die für die Honigproduktion gehalten werden, um Ressourcen, und das stellt manchmal ein Problem dar. Honigbienen leben in sehr großen Völkern und können daher viel größere Vorräte sammeln als eine einsame Wildbiene. In manchen Fällen reduzieren Honigbienen auf diese Weise die Ressourcen, die ihren wilden Artgenossen zur Verfügung stehen, drastisch. Wildbienen benötigen geeignete Nistplätze und Materialien zum Bau ihrer Nester sowie Pflanzen, von denen sie Pollen sammeln können – und das alles in einem Umkreis von einigen hundert Metern. Fehlt eine dieser Ressourcen im Revier einer Wildbiene, ist die gesamte Nachkommenschaft in Gefahr. „Es ist wichtig zu regeln, wie viele Bienenstöcke wo aufgestellt werden können. Ein guter Kompromiss zwischen den Notwendigkeiten, einerseits Honig zu produzieren und andererseits die Wildbienen zu schützen, wäre es, keine Bienenstöcke in geschützten Gebieten wie Naturschutzgebieten und Biotopen aufzustellen“, erklärt Lisa.

Wildbienen sind eine ebenso vielseitige wie wertvolle Gruppe. Ihre Anwesenheit ist sowohl eine Voraussetzung als auch ein Hinweis für eine intakte Umwelt. Sie sind wichtige Bestäuber, die es Tausenden von Pflanzenarten ermöglichen sich zu vermehren und weiterzubestehen. Wildbienen reagieren jedoch auch sehr empfindlich auf Veränderungen, deshalb ist es so grundlegend, dass wir mehr über sie lernen und ihr Vorkommen überwacht wird. In diesem Sinne ist die von Lisa Obwegs geleistete Arbeit von entscheidender Bedeutung. Die Daten, die sie sammelt, werden künftig für die Erstellung einer Roten Liste der Südtiroler Wildbienen genutzt werden. Ein kleiner Schritt auf dem Weg, der uns, wenn alles gut geht, in eine Zukunft führt, in der wir weiterhin Wildbienen in ihren vielfältigen Formen beobachten werden können.

Und nun, denken Sie an eine Biene.

Das Projekt


Der PhD von Lisa Obwegs wird von der Stiftung Südtiroler Sparkasse finanziert.

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