magazine_ Interview
„Die Tatsachen zu kennen, führt noch nicht zu einer Änderung des Verhaltens“
Gespräche zwischen Disziplinen: Eurac Research-Präsident Roland Psenner und der Experte für erneuerbare Energie Wolfram Sparber im Interview.
Was die Macht der Fakten angeht, mache die Wissenschaft sich manchmal Illusionen, fürchtet Eurac Research-Präsident Roland Psenner: Das Gefühl, zu den Verlierern zu gehören, kann Menschen selbst gegen unbestreitbar richtige Maßnahmen rebellieren lassen. Auch der Experte für erneuerbare Energie Wolfram Sparber sieht mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz als größte Bremse der Energiewende. Beide sind überzeugt, reiche Regionen wie Südtirol sollten im Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen – beobachten aber gerade hierzulande häufig die Haltung: Not In My Backyard!
Ganz persönlich: Was ist Ihr alltäglicher Beitrag zum Klimaschutz?
Roland Psenner: Ich lebe in Innsbruck, bin vier Tage in der Woche in Bozen: Von einer Stadt in die andere fahre ich im Zug. In Bozen bin ich mit dem Rad unterwegs, in Eurac Research esse ich seit einiger Zeit vegan – nicht nur aus Mangel an Alternativen! Nach zehnmonatiger Wartezeit habe ich nun auch endlich ein emissionsfreies Auto. Auch Elektroautos belasten Klima und Umwelt, wirklich konsequent bin ich in diesem Punkt also nicht. Außerdem habe ich einen Pelletofen bestellt, um auf die Gasheizung zu verzichten. Die Umstellung auf Wärmepumpe ist im Augenblick ein Gedankenexperiment, da im Haus mehrere Parteien wohnen. Als Paläoökologe ist mir klar, wie schnell das Klima sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert hat. In der Erdatmosphäre befinden sich heute 80 Prozent mehr Treibhausgase als vor der industriellen Revolution, atmosphärenphysikalisch haben wir uns damit mindestens 3,6 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück gebeamt.
Wolfram Sparber: Mit der Ernährung bin ich nicht ganz so konsequent wie Herr Psenner, aber ich habe meine Mobilität bereits vor etwa eineinhalb Jahren auf emissionsfrei umgestellt. An der Heizung konnte ich bisher leider nichts ändern, weil sie Teil des Kondominiums ist – wir sind da gerade in einer schwierigen Diskussion. Meine wesentlich weniger gewordenen Flüge versuche ich zu neutralisieren. Doch mein Hauptbeitrag, denke ich, besteht darin, dass ich mich mehr oder weniger zehn Stunden täglich mit den Themen erneuerbare Energie und Energieeffizienz befasse und versuche, die Nachricht der Notwendigkeit, aber insbesondere auch der Chancen der Energiewende zu kommunizieren.
Worauf muss Südtirol setzen, um möglichst schnell Klimaneutralität zu erreichen?
Sparber: Es gilt, an jedem Punkt anzusetzen, an dem fossiler Brennstoff verbrannt wird. Jede Gasheizung, jeder Verbrennungsmotor, ob in Fahrzeugen, im Fernheizwerk oder in der Industrie, muss im Laufe der kommenden Jahre ersetzt werden. Die Lösungen werden fallweise unterschiedlich sein, insgesamt brauchen wir einen Mix aus Energieeffizienz und sehr viel erneuerbaren Energien. Es gibt eine Verschiebung hin zur Elektrifizierung, das heißt, Strom wird in Zukunft mehr machen als heute: Er wird zum großen Teil unsere Fahrzeuge antreiben, auch Industrieprozesse, er wird viele unserer Gebäude über Wärmepumpen heizen. Wir brauchen also sehr viel erneuerbaren Strom. Die gute Nachricht ist, dass viele dieser erneuerbaren Energien heute die billigsten Stromquellen überhaupt sind. In der Photovoltaik etwa sind die Kosten in den vergangenen zwanzig Jahren um über 80 Prozent gesunken.
"Wir können nicht weiterhin Wohlstand schaffen, indem wir den Planeten ausbeuten."
Roland Psenner
Eurac Research hat seit etwa einem Jahr einen Nachhaltigkeits-Manager. Gibt es ein konkretes Ziel, wann das Forschungsinstitut klimaneutral sein soll?
Psenner: Bis 2030 sollten wir das erreichen. Wir können nicht nur Klimareports und -pläne ausarbeiten, wir müssen auch mit gutem Beispiel vorangehen. So wie die industrialisierten Länder ein Beispiel sein sollten für den Rest der Welt. Wir müssen den nicht so entwickelten Ländern entgegenkommen, ihnen auch eine Entwicklung erlauben – aber möglichst eine, die nicht unser Modell kopiert: Wir können nicht weiterhin Wohlstand schaffen, indem wir den Planeten ausbeuten. 2030 ist sicher ein Wendepunkt; wenn wir bis dahin nicht die Kurve kriegen, werden die Folgen dramatisch, gewaltsam sein. Wir haben also noch acht Jahre.
Sparber: Eurac Research muss alles tun, um keine fossilen Rohstoffe mehr zu verbrauchen. Das betrifft die Heizung der Gebäude, den Strom, die Dienstreisen. Auf allen diesen Feldern arbeiten wir, doch wird es sofortige Lösungen nicht geben, unter anderem, weil wir nicht Herr der Gebäude sind. Leider zeigt sich auch bei uns der NIMBY (not in my backyard)-Effekt: Maßnahmen zum Klimaschutz sind wunderbar, solange sie nicht bei mir um die Ecke verwirklicht werden. In Südtirol stößt man sehr häufig auf diese Haltung, ob es um einen Windpark am Brenner geht oder um die Verbindung von landwirtschaftlicher Nutzung und Photovoltaik. Hohe Sensibilität für unsere Landschaft ist sicherlich wichtig, aber mit einem generellen Nein schaffen wir die Energiewende nicht.
"Noch sehen viele den Ausstieg aus fossilen Energieträgern vor allem als Verzicht; dass darin gerade auch wirtschaftlich viele Möglichkeiten liegen, wird zu wenig kommuniziert."
Wolfram Sparber
Also liegen die größten Herausforderungen nicht in der technischen Machbarkeit oder den Kosten, sondern in der Änderung des gesellschaftlichen Verhaltens?
Sparber: Technisch ist mittlerweile sehr viel möglich; wir können zwar nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent auf nicht-fossile Energie umsteigen, aber wir können auf diesem Weg sehr weit kommen – vorausgesetzt, es wird gesellschaftlich akzeptiert. Noch sehen viele den Ausstieg aus fossilen Energieträgern vor allem als Verzicht; dass darin gerade auch wirtschaftlich viele Möglichkeiten liegen, wird zu wenig kommuniziert. Wenn wir, anstatt fossile Energie zu importieren, auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzen, können wir selbst in einem kleinen Land wie Südtirol einen Mehrwert von hunderten Millionen Euro jährlich schaffen, wie eine unserer Studien zeigt. Auch Kosten sollten wir umfassend betrachten, nicht nur die Anschaffung sehen, sondern den gesamten Lebenszyklus eines Produkts. Das Elektroauto kostet mich beim Kauf zwar mehr, in der Nutzung aber wesentlich weniger als ein Benzin- oder Dieselfahrzeug. Isoliere ich mein Haus, ist das eine Vorfinanzierung, die sich später lohnt. Und die Mehrwert im Land schafft, weil sie hier lebenden Handwerkern Arbeit gibt. All dies berührt natürlich gesellschaftliche Fragen, denn wir müssen Systeme aufbrechen, die über Jahrzehnte gewachsen sind und funktionieren. Und wie jede Veränderung ist das einerseits schwierig, birgt andererseits aber Chancen. Und es wird auch Verlierer geben. Damit möglichst wenige darunter leiden und viele profitieren, ist es wichtig, diesen Prozess proaktiv zu gestalten.
Psenner: Gewinner und Verlierer: Das ist meiner Meinung nach ein ganz entscheidender Punkt. Wie sehr Krisen Menschen treffen, hängt stark vom sozialen Status ab, das hat die Pandemie deutlich vor Augen geführt. Die Ungleichheit hat sich noch erhöht, und ich denke, dass die Protestbewegungen, teils mit faschistischen Tendenzen, eigentlich damit zu tun haben: Die Leute wehren sich gegen Änderungen, durch die es ihnen womöglich schlechter geht. Wenn von wissenschaftlicher Warte aus klar ist, was getan werden muss, ein Viertel der Bevölkerung aber dennoch nicht dazu bereit ist, dann kommt das möglicherweise daher, dass man sich als Verlierer sieht. Im Grunde ist es ein Gerechtigkeitsproblem, und wenn wir das nicht in den Griff bekommen, werden wir auch die Klimakrise nicht meistern. Wir Wissenschaftler machen uns da vielleicht manchmal Illusionen: Wir denken, es reicht, die Tatsachen zu kennen. Aber das allein führt noch lange nicht dazu, dass Menschen ihr Verhalten oder die Systeme ändern.
Auch der Zeithorizont ist beim Klimawandel ein Faktor, der nicht zu entschlossenem Handeln beiträgt: Wir müssen die CO2-Emissionen jetzt radikal reduzieren, sehen die Wirkung aber erst in 20 oder 30 Jahren.
Sparber: Gerade deshalb ist es wichtig, die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu sehen – und sie zu schaffen. Denn viele Menschen denken ja doch unternehmerisch und steigen ein, wenn sich neue, Erfolg versprechende Wege auftun. Das Richtige fürs Klima zu tun, bedeutet aber auch kurzfristig in vielen Bereichen bessere Lebensqualität: In einem sanierten Gebäude ist der Wohnkomfort viel höher; wenn in unseren Städten keine Autos mit Verbrennungsmotor fahren, haben wir weniger Lärm, Schadstoffe und Gestank.
Psenner: Zum Faktor Zeit kommt noch die Aufmerksamkeitskonkurrenz: Durch die Pandemie ist der Klimawandel völlig in den Hintergrund gerückt, ebenso der Verlust der Biodiversität.
Die andere globale Umweltkrise ...
Psenner: Diese Krisen hängen eng zusammen, man kann sie nicht getrennt betrachten und lösen. Gerade bei uns im alpinen Gebiet ist ja sehr deutlich, wie die Klimaveränderung zu Artenschwund und Artenverschiebung führt. Man weiß, mit welcher Geschwindigkeit Tier- und Pflanzenarten verschwinden, aber ich glaube, den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass mit jeder Art auch ein Teil von uns selber verschwindet ein Teil unseres evolutionären Erbes, aber auch unserer Zukunft. Denn Biodiversität zu erhalten hat ganz konkrete Folgen und Vorteile. Nicht nur für die Landwirtschaft, auch für die Medizin: Die meisten medizinischen Wirkstoffe kommen aus dem Pflanzen- und Tierreich und aus der Mikrobiologie.
Unter anderem um Biodiversität geht es auch in einem Projekt ihres Instituts, Herr Sparber – mit grünen Fassaden und Dächern sollen Städte Problemen wie Hitzeinseln und Überflutung entgegenwirken, und zugleich mehr Lebensräume für Tiere und Pflanzen schaffen. Wie passen solche naturbasierten Lösungen zur Ihrer technologischen Ausrichtung?
Sparber: Sie sind eine schöne Ergänzung, und ich halte es für wichtig, hier vielseitig zu denken, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Begrünung ist oft eine Lösung, die sehr viele positive Auswirkungen hat, für Abkühlung sorgt, Feinstaub bindet oder Wasser speichert. Da spielen energetische, ökologische und ästhetische Aspekte zusammen. Gründächer reduzieren z.B. die Überhitzung der darunter liegenden Räume, sie können auch durchaus mit technologischen Lösungen wie Photovoltaik kombiniert werden; das braucht dann natürlich mehr Platz, aber eigentlich gibt es den ja: Wenn man sich das Satellitenbild von Bozen anschaut, dann sieht man, dass die meisten Dächer weder begrünt sind, noch PV-Anlagen haben, sondern brach liegen, tote Dächer sind.
Psenner: Solche nature based solutions können natürlich nur etwas bringen, wenn wir gleichzeitig die Emissionen reduzieren; das eine kann das andere nicht ersetzen. Oft wird hier auch etwas zu kurz gedacht – wenn etwa Fachleute argumentieren, wir müssten einfach einen Teil unserer Agrarflächen wieder aufforsten, weil Wald der Atmosphäre CO2 entzieht; der Biodiversität wäre damit auch geholfen. Also ich denke nicht, dass es angesichts der immer größeren Weltbevölkerung, die es zu ernähren gilt, sinnvoll wäre, Agrarflächen wieder in Wälder zu verwandeln. Aber es ist aufschlussreich, sich anzuschauen, wie diese Agrarflächen genutzt werden: Von den 50 Millionen Quadratkilometern Erdoberfläche, auf denen die Menschen Landwirtschaft betreiben, dienen 40 Millionen dazu, Viehfutter herzustellen, nur auf 10 Millionen Quadratkilometern wird menschliche Nahrung angebaut. Da ist sehr viel aus dem Gleichgewicht geraten. Ich sage jetzt nicht: Esst alle kein Fleisch mehr und die Welt ist gerettet. So einfach ist es nicht. Aber wir brauchen eine Umstellung unserer Lebensweise.
Sparber: And we need true costs. When you see how cheap meat is compared to other foods, you have to ask yourself the question: is life really worth so little?
Mit welchem Gefühl blicken Sie in die Zukunft?
Sparber: Ich bin moderater Optimist. Ich glaube, wir werden die Kurve kratzen, aber es wird Folgen haben. Zu glauben, wir werden das schon machen, alles mit der Ruhe und alles wird gut – das ist unrealistisch. Es geht vor allem darum, die Kurve sehr schnell zu kratzen. Ich denke, dass wir in zwei oder drei Generationen auf dieses verrückte Zeitalter zurückschauen werden, in dem wir massenweise Kohle, Öl und Gas verbrannt haben. Die Frage ist aber, um wie viele Meter der Meeresspiegel gestiegen sein wird, wie viele Menschen ihre Lebensgrundlage verloren haben, wie viel Biodiversität dann noch übrig ist. Das hängt davon ab, wie schnell wir die nötigen Veränderungen hinbekommen.
Psenner: Ich habe mich in meiner Karriere schon mit anderen Umweltkrisen großer Tragweite befasst: Da war die Eutrophierung der Seen, der saure Regen, das Ozonloch. Man hat die Probleme verstanden und, wenn auch nicht völlig bewältigt, so doch eingegrenzt. Man kann aus vergangenen Krisen lernen – aber man muss sich bewusst sein, dass der Klimawandel ein Problem ganz anderer Dimension darstellt. Die Erwärmung auf 1,5 oder 2 Grad zu begrenzen, werden wir nicht schaffen. Wir müssen es aber schaffen, unsere Gesellschaft soweit umzustellen und anzupassen, dass wir mit dem Wandel noch umweltgerecht leben können.
Roland Psenner
Roland Psenner ist Limnologe und seit 2015 Präsident von Eurac Research. Er war Professor für Limnologie und Vizerektor der Universität Innsbruck. Seit seiner Emeritierung ist er Vizepräsident des Universitätsrats der Universität für Bodenkultur Wien. In seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat er sich vor allem mit den Auswirkungen von Umweltverschmutzung und Klimawandel auf die Ökosysteme alpiner Seen befasst. Über sein Fachgebiet hinaus beschäftigt er sich mit der sozialen und kulturellen Entwicklung von Bergregionen. Er liebt Hochgebirgsseen, Skitouren, Bücher und Diskussionen mit klugen Menschen.
Wolfram Sparber
Wolfram Sparber hat angewandte Physik studiert und ist über die Festkörperphysik zum Thema Solarzellen gekommen. Nach einigen Jahren der angewandten Forschung am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg kehrte er 2004 nach Südtirol zurück. Seit 2005 leitet er das Institut für Erneuerbare Energie von Eurac Research. Er war Präsident des Verwaltungsrates der SEL, später Vorstandsvorsitzender von Alperia und ist dort derzeit Mitglied des Aufsichtsrates. Auf europäischer Ebene war er mehrere Jahre Vizepräsident der Technologie- und Innovationsplattfom für Erneuerbare Heiz- und Kühlsysteme und ist aktuell Vizepräsident der Vereinigung der Europäischen Forschungszentren im Bereich Erneuerbare Energie. Wenn er sich nicht um Energie kümmert, freut er sich, Zeit mit seiner Familie zu verbringen und sich in den Bergen zu bewegen.
Wissen für alle: 18 öffentliche Vorlesungen zur Nachhaltigkeit
Am 18. Januar hält Roland Psenner am Forschungszentrum Eurac Research im Rahmen der Series of Lectures on Sustainability eine Vorlesung zum Thema „Hochgebirgsseen. Entstehung und Veränderung durch den Klimawandel“. Beginn 18 Uhr.
Die Vortragsreihe wird von der Allianz der Lehre und Forschung für Nachhaltigkeit organisiert, zu der sich verschiedene Südtiroler Forschungsinstitutionen zusammengeschlossen haben, um wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit zu diskutieren und, vor allem, um Lösungen für künftige Herausforderungen aufzuzeigen. Zu den beteiligten Forschungsinstitutionen zählen die Freie Universität Bozen, Eurac Research, die Philosophisch Theologische Hochschule, das Versuchszentrum Laimburg, das Naturmuseum Südtirol, eco-research, das Ökoinstitut und Fraunhofer Italia. Ein Partner ist auch IDM. Nähere Informationen auf der Website der Allianz für Nachhaltigkeit.