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Lebendige Flüsse
Die Organismen in den Wasserläufen spiegeln ihren Gesundheitszustand wider.
Von links nach rechts: eine Schnakenlarve, zwei Steinfliegen- und eine Eintagsfliegenlarve – drei der Wirbellosen-Gruppen, die in unseren Bächen und Flüssen vorkommen.
Die ökologische Qualität von Fließgewässern kann sowohl mit chemisch-physikalischen Methoden überprüft werden als auch durch die Analyse der in ihnen lebenden Organismen. Flüsse und Bäche sind nämlich Lebensräume für Tiere, die so sensibel auf eine Wasserverschmutzung reagieren, dass sie als Indikatoren für den Gesundheitszustand dieser Habitate dienen. Das Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research untersucht genau diese Organismen an mehr als 120 Probennahmestellen in ganz Südtirol.
Makroinvertebraten sind wirbellose Organismen, die gerade groß genug sind, dass man sie mit bloßem Auge sehen kann und die auf dem Grund von Fließgewässern leben. Sie gehören verschiedenen Tiergruppen an, etwa den Weichtieren und den Krebstieren – am häufigsten kommen aber Insekten vor. „Zwischen 2021 und 2023, also in den ersten drei Jahren unseres Biodiversitätsmonitorings in Südtirol, haben wir mehr als 200 verschiedene Taxa erfasst“, sagt Magdalena Vanek, Forscherin am Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research. „Wir sprechen von Taxa und nicht von Arten, weil es sehr schwierig ist, die Art eines Exemplars zu bestimmen, vor allem wenn es sich um ein junges Larvenstadium handelt. In diesen Fällen bestimmen wir die Gattung oder Familie, zu der das betreffende Tier gehört.“
Die Studien des Instituts für Alpine Umwelt unter der Leitung von Roberta Bottarin zielen darauf ab, die Wasserfauna in Südtirol zu erfassen und zu monitoren sowie die ökologische Funktionsfähigkeit der Wasserläufe zu analysieren. „Da diese Organismen Indikatoren für den Zustand der Gewässerqualität sind, bewerten wir auch, wie sich die Gemeinschaft der Makroinvertebraten verändert und wie sie auf die Umgebung und menschliche Einflüsse reagiert“, erklärt Francesca Vallefuoco, ebenfalls vom Institut für Alpine Umwelt. Ziel ist es, Wege zu entwickeln, um die Flussökosysteme und ihre Artenvielfalt zu erhalten. Aber warum ausgerechnet Makroinvertebraten? „Es handelt sich um Arten, die keine großen Strecken zurücklegen, aber eine ausreichend lange Lebensdauer haben – sie können einige Monate alt werden –, um die spezifischen ökologischen Bedingungen an der Probennahmestelle zu bewerten“, sagt Vallefuoco. „Außerdem verbringen diese Tiere ihr ganzes oder einen Großteil ihres Lebens im Wasser, sie sind leicht zu beproben und haben eine unterschiedliche Toleranz gegenüber einer Verschmutzung. Sie befinden sich am unteren Ende der Nahrungskette aquatischer Ökosysteme, denn sie sind eine Nahrungsquelle für viele Fisch- und Vogelarten. Sie bewohnen verschiedene ökologische Nischen und zeichnen sich durch ein breites Spektrum an Nahrungspräferenzen und -gewohnheiten aus“. Aufgrund dieser Eigenschaften gelten Makroinvertebraten als hervorragende Indikatoren für den Zustand von Gewässern und werden gemäß der Gewässerschutz-Richtlinie 2000/60/EG sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene in großem Umfang für das Biomonitoring aquatischer Ökosysteme eingesetzt.
Durch die Analyse der im Laufe der Jahre gesammelten Daten konnte die Forschungsgruppe rund um Roberta Bottarin Belege dafür sammeln, dass die Biodiversität von Wasserläufen von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Dazu gehören unter anderem der Zustand des Gewässerbettes, die Art der Landnutzung in der Umgebung, die Fließgeschwindigkeit, die Höhenlage und die Nähe zur Quelle. „Im Matschertal haben wir zum Beispiel festgestellt, dass die Artenzahl abnimmt, je näher man dem Gletscher kommt, aus dem der Bach entspringt. Das liegt daran, dass Gewässer unmittelbar unterhalb des Gletschers ein Lebensraum mit extremen Bedingungen sind, in dem nur wenige Arten überleben können“, erklärt Francesca Vallefuoco. Das Ziel der vom Institut für Alpine Umwelt in Matschertal durchgeführten Studie ist jedoch viel ehrgeiziger und besteht darin, die langfristigen Veränderungen der Gemeinschaft der Makroinvertebraten zu beobachten.
Die Studie zur Biodiversität in den europäischen Flüssen
Die Forschungsgruppe des Instituts für Alpine Umwelt von Eurac Research, die zu den Makroinvertebraten forscht, war an einer internationalen Studie über die ökologische Qualität der europäischen Flüsse beteiligt, die im vergangenen August in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde. Die Autorinnen und Autoren analysierten Daten zu 2.648 Makroinvertebratenarten, die zwischen 1968 und 2020 an 1.816 Standorten in 22 Ländern gesammelt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Biodiversität, nach einer Erholungsphase in den 1990er und frühen 2000er Jahren, wieder deutlich langsamer regeneriert. Damit sich die biologische Vielfalt in den Flüssen wieder erholen kann, sind nach Ansicht der Expertinnen und Experten neue Anstrengungen erforderlich, um den aktuellen Herausforderungen wie dem Klimawandel, neuen Schadstoffen und der Ausbreitung invasiver Arten zu begegnen.
Die Studie kann hier heruntergeladen werden: https://doi.org/10.1038/s41586-023-06400-1