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Streit ums Wasser
Anschaulich gemacht: Wie wird das Wasser eines Flusses genutzt und welche Konflikte ergeben sich daraus?
Wer an einem Fluss lebt, arbeitet oder Ferien macht, nutzt das Wasser auf jeweils sehr unterschiedliche Weise, zu anderen Zeiten und in unterschiedlicher Menge; jede Nutzung wirkt sich jedoch auf alle anderen aus. Dadurch können mehr oder weniger intensive Konflikte entstehen, und im Falle von Dürreperioden sogar Notsituationen. Von der Quelle bis zur Mündung: Wir folgen dem Lauf eines mittleren bis großen Alpenflusses wie der Etsch, um zu sehen, wie das Wasser genutzt wird, und warum zwischen verschiedenen Nutzungen Konflikte entstehen.
Quelle und erster Flussabschnitt
Einspeisen in Wasserleitung und Abfüllung. An der Quelle kann Wasser für die öffentliche Versorgung entnommen werden; es wird in diesem Fall durch Pump- oder Schwerkraftsysteme in die Wasserleitung eingespeist oder für die Abfüllung verwendet.
Künstliche Beschneiung. In den ersten Flussabschnitten gibt es normalerweise nur begrenzten Wasserverbrauch durch den Menschen. Eine weitere mögliche Nutzung ist künstliche Beschneiung. Das Wasser dafür wird entweder aus dem Fluss entnommen, oder aus hoch gelegenen Speicherbecken, die Regenwasser sammeln.
Oberlauf des Flusses
Tourismus. Ein Fluss prägt die Landschaft und trägt zu ihrem ästhetischen Reiz bei. Auch ermöglicht er Aktivitäten wie Rafting, Canyoning oder Wandern. Diese Nutzungen verbrauchen kein Wasser, werden aber stark davon beeinflusst, wie gesund der Fluss ist.
Wasserkraftwerke. Große Kraftwerke gehören entlang des ganzen Flusslaufs zu den wichtigsten Wasserverbrauchern. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aus Wasserkraft elektrische Energie zu erzeugen, und verschiedene Kraftwerkstypen, doch handelt es sich in jedem Fall um einen besonderen Verbrauch: Wasser wird nur vorübergehend aus dem Fluss „entnommen“, zur Energieerzeugung durch Turbinen geleitet und etwas weiter flussabwärts wieder dem Fluss zugeführt. Wann und wie dies geschieht, bestimmt die Logik des Strommarktes.
Berglandwirtschaft. In Bergtälern ist die Landwirtschaft meist spezialisiert, etwa auf Apfelanbau oder Weinbau. In diesen Fällen ist auch die Bewässerung spezialisiert: Es wird beispielsweise Tröpfchenbewässerung eingesetzt, die wenig Wasser verbraucht.
Frostschutzberegnung. Einen erhöhten Wasserverbrauch hat die Landwirtschaft am Oberlauf des Flusses zu Frühlingsbeginn. Wenn nachts die Temperaturen in den Apfelplantagen noch niedrig sind, werden die jungen Blätter und Blüten mit Wassertröpfchen beregnet, so dass sich um sie eine Eishülle bildet, in deren Inneren die Temperatur konstant bleibt. Dieses System verbraucht sehr viel Wasser, auch weil die Beregnungsanlagen von mehreren Betrieben gleichzeitig aktiviert werden.
Fischzucht und Fischfang. Wer den Fluss für Fischzucht nutzt, oder in ihm fischt, verbraucht kein Wasser. Beide Tätigkeiten werden jedoch durch den Flusspegel beeinflusst. Menschen dieser Nutzerkategorie verfügen häufig über hohe ökologische Sensibilität und bemerken deshalb besonders früh, wenn sich im Ökosystem etwas verändert.
Möglicher Konflikt!
Die Rhythmen der Berglandwirtschaft und des Wasserkraftsektors stimmen nicht immer überein, weshalb zu bestimmten Tages- oder Jahreszeiten kleinere, lokal begrenzte Konflikte entstehen können.
Wasserkraftwerke folgen der Logik des Energiemarktes: Wenn mehr Energie nachgefragt wird und der Preis steigt (beispielsweise am Morgen), werden die Anlagen in Betrieb genommen. Das Wasser, das durch die Turbinen fließt, wird unmittelbar unterhalb des Kraftwerks wieder dem Fluss zugeführt. Aber ist das auch der Moment, in dem die größere Wassermenge den benachbarten Bauernhöfen tatsächlich dient? Nicht immer.
In jedem Fall jedoch können Bewässerungsarten, die wenig Wasser verbrauchen, das Konfliktpotenzial gering halten.
Möglicher Konflikt!
Ein weiterer Konflikt entsteht, wenn der Landwirtschaftsbetrieb Wasser aus einem Stausee entnimmt, der auch für die Erzeugung von Energie genutzt wird. Bei Trockenheit ist der Wasserpegel im See niedrig; die Landwirte benötigen mehr Wasser für die Bewässerung, doch es zu entnehmen wird teurer, weil es bei niedrigem Pegel aus dem See gepumpt werden muss. Gemeinsame Pläne vermitteln zwischen den Bedürfnissen der Landwirte und denen des Kraftwerks.
Unterlauf des Flusses
Industrie. Die Industrie nutzt Wasser auf verschiedene Weise: als Rohstoff, zur Kühlung von Maschinen oder zur Reinigung von Anlagen. Wie viel Wasser verbraucht wird, hängt von der Art der Tätigkeit und der Effizienz der eingesetzten Technologien ab.
Landwirtschaft im Flachland. Einige typische Kulturen der Ebene wie Mais, Soja oder Reis lassen keine Tröpfchenbewässerung zu: Die ausgedehnten Felder werden mit Sprinkleranlagen beregnet. Während der Wirkungsgrad von Tropfbewässerung bei etwa 90 Prozent liegt, ist die Beregnung im Tiefland nur zu etwa 50 Prozent effizient: Ein großer Teil des Wassers verdunstet oder wird nicht genau dort verteilt, wo es gebraucht wird.
Möglicher Konflikt!
Die Wasserkraftwerke am Oberlauf des Flusses und die flussabwärts gelegene großflächige Landwirtschaft sind meist jene Nutzer, die aufgrund ihres hohen Wasserverbrauchs in Konflikt geraten können – vor allem bei lang anhaltender Trockenheit. In solchen Fällen fordern die Verbände, die die flussabwärts gelegene Landwirtschaft vertreten, manchmal eine größere Wasserabgabe aus den Stauseen. Von flussaufwärts gelegener Seite wiederum wird die mangelnde Effizienz in der Wassernutzung kritisiert. Regelmäßiger überregionaler Austausch sowie Dürrebeobachtungsstellen dienen dazu, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen – für die Bewältigung von Notsituationen ebenso wie für das langfristige Wassermanagement.
Mündung
Stadt. In der Stadt nutzen Einwohner und Touristen das Flusswasser. Die an der Quelle oder entlang des Flusses entnommene Wassermenge wird so berechnet, dass die Versorgung für die gesamte Bevölkerung gewährleistet ist. In kleinen Städten oder Dörfern mit hohen Besucherzahlen verfünffacht sich in der Hochsaison der Wasserbedarf.
Naturschutz. Flussmündungen sind oft von großer ökologischer und touristischer Bedeutung. Die Deltas zum Beispiel stellen einzigartige, sensible Ökosysteme dar, in denen man besondere Pflanzen und Tiere beobachten kann.
Möglicher Konflikt!
Vordringen des Meerwassers. Die Folgen der Wasserknappheit sind vor allem an der Mündung spürbar. Hier wirkt sich aus, wie das Wasser entlang des Flusses verbraucht wurde und welche politischen Maßnahmen getroffen wurden. Die Bewohner, Unternehmen und Gemeinden im Mündungsgebiet können mit den Nutzern weiter flussaufwärts in Konflikt geraten.
Eine der offensichtlichsten Folgen ist der ansteigende Salzkeil, das heißt das Vordringen des Meerwassers. Wenn die Fließgeschwindigkeit des Flusses abnimmt, steigt das Salzwasser aus dem Meer den Flusslauf hinauf und erhöht die Salzkonzentration im Wasser und im umliegenden Boden. Das Salz gefährdet das ökologische Gleichgewicht, schädigt die Ernten und macht das Grundwasser untrinkbar. Um das Problem einzudämmen, kann man an der Mündung Salzbarrieren errichten und flussaufwärts mehr Wasser aus den Stauseen ablassen. Welche Seite muss zuerst handeln?
Das Projekt NEXOGENESIS
NEXOGENESIS ist ein großes europäisches Projekt, an dem 20 Partner aus elf europäischen Ländern und Südafrika beteiligt sind. Ziel ist es, Strategien und Instrumente zu entwickeln, um Wasserressourcen effektiv zu verwalten und Konflikte zwischen den Nutzern zu vermeiden. Eurac Research analysiert in einer Fallstudie die Etsch, den zweitgrößten Wasserlauf Italiens. Das Forschungsteam erstellt mathematische Modelle, die zukünftige Trends in der Wasserverfügbarkeit und -nachfrage untersuchen. Im Rahmen des Projekts werden auch runde Tische für den Austausch zwischen den verschiedenen Nutzern organisiert, sowie qualitative Interviews durchgeführt. Das Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union finanziert.