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Von europäischen Spitzenweinen, geschützten Ursprungsbezeichnungen und Klimaresilienz

Eine neue Studie zeigt, wie der Klimawandel die Weinbauregionen in Europa verändert.

Photo: Courtesy of Eduard Egarter Vigl | All rights reserved
by Sarah Gunsch

Rebsorten, Anbaugebiete und Klima von 1.085 europäischen Weinregionen – umfassende Daten aus allen diesen Bereichen hat ein Forschungsteam erstmals in Relation gesetzt und in einer Webapplikation aufbereitet. Aus der Winemap by Eurac Research lässt sich auf der einen Seite ableiten, welche Gebiete am meisten unter dem Klimawandel leiden werden, auf der anderen, welche Möglichkeiten es gibt, den Weinbau klimaresilienter zu machen. Die Studienergebnisse sind in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht worden.

Über Jahrhunderte haben Winzerinnen und Winzer in Europa ihr Wissen um Reben und deren Anbau perfektioniert, und auf diese Weise sehr unterschiedliche Weine von hoher Qualität hervorgebracht, die jeweils die klimatischen Bedingungen widerspiegeln, in denen sie gewachsen sind. In weiten Teilen Europas wird dieses Wissen durch geografische Angaben behütet, beispielsweise durch geschützte Ursprungsbezeichnungen (g. U. oder im Italienischen denominazione di origine protetta – DOP). Dazu gehören etwa Champagner aus der Weinbauregion Champagne und Chianti aus dem gleichnamigen historischen Gebiet in der Toskana – sie sind, wie viele der berühmtesten Weine der Welt, für ihre Herkunft und nicht für ihre Rebsorte bekannt.

Diese europäischen Qualitätsregelungen schützen die Namen exzellenter Produkte, indem sie sie an ihren geographischen Ursprung und das traditionelle Know-how koppeln. Manche dieser Produkte sind auch nach dem Herstellungsort benannt, denken wir etwa an den Parmigiano Reggiano DOP, der in einem exakt abgesteckten Gebiet rund um Parma und Reggio Emilia erzeugt wird. Im Falle des Weinbaus bestimmen diese Vorschriften daher zusätzlich zum Anbaugebiet, welche Rebsorten mit welchen Techniken in der jeweiligen Region angebaut werden dürfen. Aber auch die höchstzulässige Erntemenge und wie der Wein hergestellt werden muss, wird genauestens geregelt. Auf diese Weise garantiert das g. U.-Regelwerk den Konsumenten und Konsumentinnen hohe Qualität und bewahrt die Weinproduktion in ganz Europa vor Imitationen.

In Südtirol gibt es drei sich teilweise überlappende geschützte Ursprungsbezeichnungen: Valdadige/Etschtaler, Lago di Caldaro/Kalterersee und Alto Adige/SüdtirolPhoto: Courtesy of Eduard Egarter Vigl | All rights reserved

Winemap by Eurac Research

Da dieses System aber lediglich vorschreibt, „was“ geregelt werden muss, das „Wie“ aber den einzelnen Ländern überlässt, sind über die Jahre hunderte verschiedene g. U.-Gebiete mit eigenen teils sehr unterschiedlichen Regelwerken entstanden. Die Dokumente mit den gesetzlichen Vorgaben sind allerdings je nach Ursprungsland unterschiedlich strukturiert und häufig nicht in verschiedenen Sprachen verfügbar. Es gab daher bisher keine direkte Möglichkeit die verschiedenen g. U.-Regionen in Europa genauer zu untersuchen und zu vergleichen. Überblick schaffte im Jahr 2022 eine Studie von Eurac Research, bei der eine Inventur aller g. U.-Regionen in ganz Europa erstellt wurde. Die im Zuge dieser Studie entwickelte Webapplikation zeigt die einzelnen Weinregionen auf einer Europakarte und liefert per Mausklick detaillierte Informationen für ein bestimmtes g.U. Gebiet, zu den Weinen, die dort produziert werden und welche Regeln für die Produktion und die Verwendung der Ursprungsbezeichnung gelten.

Scrollt man durch diese erste Ausgabe der Winemap, wird einem Europas Vielfalt und Reichtum an Spitzenweinen vor Augen geführt: Weißer Riesling von der Mosel, Vermentino di Gallura, Tempranillo aus der spanischen Weinregion Rioja. Man erfährt etwa, welche Sorten in einer Region angebaut werden dürfen, welche Kategorien von Wein daraus gekeltert werden – z.B. Schaumweine oder Likörweine –, wie viele Reben pro Hektar gepflanzt werden und wie viele Kilos maximal geerntet werden dürfen, ob Bewässerung erlaubt ist und welche Gemeinden zu dem g. U.-Gebiet gehören.

altPhoto: Eurac Research
Das g. U.-Gebiet Vermentino di Gallura umfasst 23 Gemeinden im Nordosten Sardiniens.

Im internationalen Vergleich sorgten diese selbstauferlegten Regeln lange Zeit für einen klaren Marktvorteil. Doch die Qualität vom Wein hängt sehr von den klimatischen Bedingungen ab, in denen er gedeiht: Neben der Bodenbeschaffenheit, der topographischen Lage und der Vinifikation, also den Methoden der Weinerzeugung, ist das Klima in Kombination mit den passenden Rebsorten der ausschlaggebende Faktor für einen guten Wein. Wenn von besonders exquisiten Jahrgängen die Rede ist, dann bezieht sich das auf die besonderen Witterungsbedingungen, die während des Vegetationszyklus jenes Jahres geherrscht haben. Was passiert aber, wenn sich durch den Klimawandel die Klimagrenzen der Anbaueignung verschieben und sich etwa in einer Gegend, die sich durch große Unterschiede zwischen Tages- und Nachttemperaturen auszeichnet, plötzlich die Tropennächte häufen? Oder sich die Trockenperioden verlängern? Oder es zur Erntezeit regelmäßig zu erhöhtem Niederschlag kommt?

„Das Wissen über die Sorten, die Umgebung in der sie wachsen, und die Vinifizierungstechniken hat in Europa großartige Weine hervorgebracht. Der Klimawandel stellt diese historische Union vor neue Herausforderungen.“

Simon Tscholl, Biologe am Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research

Winemap Climate

Mit der Klimaresilienz der europäischen Weinregionen beschäftigt sich eine neue Studie, an der das Institut für Alpine Umwelt federführend beteiligt ist und dessen Ergebnisse in die Winemap Climate eingeflossen sind, einer thematischen Erweiterung der Winemap Europe.

Simon Tscholl, Mitautor der Studie, fasst zusammen: „Das Wissen über die Sorten, die Umgebung in der sie wachsen, und die Vinifizierungstechniken hat in Europa großartige Weine hervorgebracht. Der Klimawandel stellt diese historische Union vor neue Herausforderungen.“ Über Generationen haben die Menschen gelernt, das Beste aus den Trauben hervorzuholen, die in den klimatischen Bedingungen ihrer Region wachsen. Aus dem System der geographischen Angaben, das über lange Zeit ein Marketing-Segen für Europas Weinregionen war, entstehen jetzt durch die strikten Vorgaben Nachteile für diese Gebiete. Der Klimawandel verlangt nach Anpassungsfähigkeit, die durch das strenge Regelsystem beträchtlich erschwert wird, etwa wenn in g.U.-Gebieten nur bestimmte Rebsorten angebaut werden dürfen. Tscholl erklärt: „Sieht das Regelwerk beispielsweise nur wenige Rebsorten für ein ausgewiesenes Gebiet vor, haben die Winzer kaum Spielraum, sich an die steigenden Temperaturen anzupassen, wenn sie die g.U. beibehalten wollen.“

Welche Gebiete im Vergleich zu anderen besonders anfällig sind, hängt vom Zusammenspiel zwischen Klima, gesetzlichen Rahmenbedingungen und verfügbaren Ressourcen für die Anpassung ab.

Doch nicht alle g. U.-Regionen treffen diese Veränderungen gleich hart – daher die Idee, die 2022 entstandene Karte durch Klimadaten zu ergänzen. Für die neue Studie wurden künftige Klimamodelle über insgesamt 1.085 Weinregionen gelegt. Ihre Anfälligkeit wurde anhand von drei Indikatoren ermittelt und kann auf der Winemap Climate visualisiert werden.

Abgesehen von der Belastung durch das sich wandelnde Klima (exposure), spricht Tscholl von der Empfindlichkeit (sensitivity) einer Region, die von den Einschränkungen in der jeweiligen g.U.-Norm abhängt, und ihrer Anpassungsfähigkeit (adaptive capacity). Die Kombination dieser drei Parameter erlaubt eine Einschätzung des Zustandes und der Anfälligkeit eines Weinbaugebietes gegenüber dem Klimawandel. Klimamodelle sagen bis 2100 einen Temperaturanstieg zwischen zwei und fünf Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau voraus. „Der Weinbau, wie wir ihn heute kennen, wird sich also verändern müssen,“ ist Tscholl überzeugt. Einerseits werde sich das Verhältnis der Sorten verschieben, zum anderen werde sich die Rebe als Dauerkultur in höhere Lagen und geografisch auch weiter Richtung Nordeuropa ausbreiten.

altPhoto: Eurac Research
Der Vulnerability Index zeigt in verschiedenen Farben an, wie anfällig die europäischen g. U.-Gebiete gegenüber dem Klimawandel sind.

Die Simulationen der Winemap Climate zeigen ganz klar: Welche Gebiete im Vergleich zu anderen besonders vulnerabel sind, hängt vom Zusammenspiel zwischen Klima, gesetzlichen Rahmenbedingungen und verfügbaren Ressourcen für die Anpassung ab. Wie gut sich Regionen an den Klimawandel anpassen können, wird nicht nur vom rechtlichen Rahmen des g.U.-Regelwerks bedingt, sondern hängt sehr stark auch von den Ressourcen und Infrastrukturen ab, die einer Region zur Verfügung stehen. „Es fallen auch soziale, naturräumliche, finanzielle und personelle Aspekte ins Gewicht,“ erklärt Tscholl. Die sozialen Ressourcen betreffen etwa die Bevölkerungsentwicklung und die Altersstruktur, bei den finanziellen werden die Verschuldungsrate und die Kapitalrendite berücksichtigt. All diese Daten wurden ebenfalls für alle 1.085 Weinregionen erhoben.

Der Klimawandel gefährdet auch andere g. U.-Produkte

Nicht nur im Weinbau werden geschützte Ursprungsbezeichnungen vom Klimawandel gefährdet, beispielsweise bedroht das immer heißer und trockener werdende Klima in Sizilien die Produktion einiger Käsesorten wie den Ragusano DOP, den Vastedda della Valle del Belice DOP und den Pecorino DOP. „Wir haben uns dazu entschieden, die Auswirkungen des Klimawandels auf g. U.-Regionen anhand des Weinbaus aufzuzeigen, da der Wein zum einen sehr sensibel auf Klimaveränderungen reagiert und seine Qualität besonders von den klimatischen Bedingungen abhängt. Zum anderen gibt es eine sehr gute Datenlage mit detaillierten Daten aus ganz Europa“, erklärt Simon Tscholl.

„Südtirol gehört zu den Regionen mit der höchsten Anpassungsfähigkeit, dennoch werden auch hier die Auswirkungen des Klimawandels spürbar sein.“

Simon Tscholl, Biologe am Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research

Die Autoren der Studie, die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde, wollen mit der neuen Version der Winemap Climate zum einen aufzeigen, welche Regionen besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden und zum anderen verständlich machen, was diese Vulnerabilität bedingt und in welchen Bereichen gezielte Unterstützung zielführend wäre. Dementsprechend richtet sich diese Webapplikation besonders an regionale, nationale und europäische Entscheidungstragende. Sie eignet sich für einen großräumigen Vergleich und soll dabei helfen, zweckgerichtete und langfristige Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels auf den Weg zu bringen – besonders dort, wo sich Qualitätsregelungen und geschützte Ursprungsbezeichnungen durch allzu strenge Vorschriften selbst im Weg stehen.

altPhoto: Eurac Research
Die geschützten Ursprungsbezeichnungen in Südtirol gehören zu jenen mit der höchsten Anpassungsfähigkeit.

Simon Tscholl: „In Südtirol ist der Weinbau auch in Hinblick auf den Klimawandel gut aufgestellt, es gehört zu den Regionen mit der höchsten Anpassungsfähigkeit. Das liegt zum einen an den vielen Sorten, die laut dem g. U.-Regelwerk hier angebaut werden dürfen, und zum anderen an den Ressourcen und den naturräumlichen Gegebenheiten, über die das Land verfügt. Dennoch werden auch hier die Auswirkungen des Klimawandels spürbar sein.“ Damit sind auch die wichtigsten Empfehlungen genannt, mit denen das EU-System geografischer Angaben, der Studie nach, auf den Klimawandel reagieren sollte: eine größere Flexibilität und Innovation in der Sortenwahl und den Anbautechniken erlauben und Ressourcen zur Verfügung stellen, die Anpassungsstrategien ermöglichen und erleichtern.

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Der wissenschaftliche Artikel

Die vollständigen Ergebnisse der Studie wurden in dem Paper „Climate resilience of European wine regions“ in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Autoren des Artikels sind Simon Tscholl, Sebastian Candiago, Thomas Marsoner, Helder Fraga, Carlo Giupponi und Lukas Egarter Vigl.

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