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Wir und die Nieren

Ein Forschungsteam untersucht, wie die Ernährung dazu beitragen kann, einer weit verbreiteten, aber selten diagnostizierten Krankheit vorzubeugen: dem chronischem Nierenversagen

Silke Devivo
Credit: Eurac Research | Silke Devivo
by Giovanni Blandino

Unermüdlich reinigen die Nieren den Organismus – sie sind die Filter unseres Körpers. Das Alter und andere Risikofaktoren können die Funktionen der Nieren allerdings nach und nach zunehmend einschränken: In diesem Fall spricht man von chronischem Nierenversagen. Eurac Research hat untersucht wie verbreitet diese Krankheit in der Südtiroler Bevölkerung ist und wie sie mit der Ernährung zusammenhängt. Daraus ergaben sich wichtige Erkenntnisse für die Prävention, die einzige wirklich wirksame Waffe im Kampf gegen diese Krankheit.

Wenn sie richtig funktionieren, filtern unsere Nieren das Blut, wodurch der Körper die Abfallstoffe über den Urin ausscheiden kann. Jedoch können Viren, Bakterien und akute Krankheiten die Funktion der Nieren auch schwerwiegend beeinträchtigen. In anderen Fällen funktionieren die Nieren aufgrund des Alters oder anderer Risikofaktoren – wie Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht – nicht mehr so wie früher und sind nicht mehr in der Lage, die Gesundheit des Körpers aufrechtzuerhalten. In diesen Fällen spricht man von chronischem Nierenversagen – im Fachjargon CKD, vom englischen Chronic Kidney Disease. Dabei handelt es sich um einen allmählichen Prozess, der sich über Monate oder Jahre hinzieht. Wenn dies diagnostiziert wird und die betroffene Person davon erfährt, ist die Funktion der Niere häufig bereits stark beeinträchtigt.

Im Rahmen der Südtiroler CHRIS-Studie, die die genetischen und molekularen Faktoren unserer Gesundheit erforscht, untersuchte ein Forschungsteam von Eurac Research den Zustand der Nierengesundheit in der Allgemeinbevölkerung. Dabei wurde eine Stichprobe von 11.000 Personen aus den Teilnehmenden der CHRIS-Studie untersucht, über die ausreichend Daten vorhanden waren.

Die Forscher und Forscherinnen wollten außerdem herausfinden, wie gut die Bevölkerung über ihre Nierengesundheit informiert ist und welchen Einfluss die Ernährung auf das Auftreten und die Prävention von chronischem Nierenversagen hat.

CHRIS, die Südtiroler Gesundheitsstudie


CHRIS ist eine epidemiologische Langzeit-Bevölkerungsstudie, die seit 2011 das Ziel verfolgt, das Auftreten und die Entwicklung von in der Bevölkerung weit verbreiteter chronischer Krankheiten zu erforschen, die mit dem Altern einhergehen. Beispiele für solche Krankheiten sind Diabetes, Herzerkrankungen und Parkinson. Mit Hilfe der CHRIS-Studie untersuchen die Forschenden die Rolle, die genetische und umweltbedingte Faktoren sowie der Lebensstil und das Zusammenwirken dieser Faktoren bei der Entstehung von neurologischen, Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- und Krebserkrankungen spielen.

Volljährige Bürgerinnen und Bürger mit Wohnsitz im Vinschgau wurden eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Mehr als 13.000 folgten der Einladung und stellten biologische Proben sowie Daten über ihren Gesundheitszustand und ihren Lebensstil für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung. Eurac Research reicherte diese Informationen mit genetischen Daten an, wodurch die CHRIS-Studie zu einer wertvollen Ressource für die biomedizinische Forschung weltweit wurde.

Weitere Informationen gibt es auf der Website von CHRIS

Das chronische Nierenversagen in Südtirol

Nach dem Einwilligungsverfahren, wurden bei den Teilnehmenden der CHRIS-Studie Blut- und Urinproben entnommen, Blutdruck und anthropometrische Werte gemessen und klinische Untersuchungen durchgeführt.

„Nur eine von 20 Personen, deren Werte eine eingeschränkte Nierenfunktion anzeigten, war sich tatsächlich bewusst, dass sie eine chronische Krankheit hatte.“

Die Anamnese und die Laboranalysen ergaben, dass rund 15 Prozent der Vinschgauer Bevölkerung irgendeine Nierenerkrankung haben (wie zum Beispiel eine Niereninfektion, -entzündung, eine genetisch bedingte Nierenerkrankung oder Nierensteine), während neun Prozent eine chronische Nierenerkrankung aufweisen, die den Verlust der regelmäßigen Nierenfunktion zur Folge hat. „Diese Ergebnisse entsprechen voll und ganz den Werten der westlichen Gesellschaften. Was uns jedoch überrascht hat, ist etwas anderes: Viele der Personen, die an der Umfrage teilnahmen und an chronischem Nierenversagen litten, waren sich dessen überhaupt nicht bewusst. Niemand gab an, dass bei ihm diese Krankheit diagnostiziert worden war“, sagt Giulia Barbieri, Leiterin der Studie und Forscherin am Institut für Biomedizin von Eurac Research.

Zusätzlich zu den Urin- und Bluttests – die Teilnehmenden wurden eingeladen, die Ergebnisse mit den Hausärztinnen oder Hausärzten zu teilen – wurde ein Fragebogen zu den in der Vergangenheit erhaltenen Diagnosen zum Gesundheitszustand der Nieren ausgefüllt. „Nur eine von 20 Personen, deren Werte eine eingeschränkte Nierenfunktion anzeigten, war sich tatsächlich bewusst, dass sie eine chronische Krankheit hatte, und gab dies im Fragebogen korrekt an“, erklärt Giulia Barbieri. „Das ist ein sehr niedriges Ergebnis.“

„Die Prävention wird immer wichtiger und notwendiger werden. Denn die Nierenfunktion nimmt mit zunehmendem Alter naturgemäß ab, und die alternde Bevölkerung lässt vorhersehen, dass diese Krankheit in den kommenden Jahren noch weiter ansteigen wird.“

Aber auch hier unterscheidet sich die Situation nicht wesentlich von der im restlichen Italien und in den westlichen Gesellschaften. Die chronische Niereninsuffizienz ist im Anfangsstadium in der Regel ein asymptomatischer Zustand, und oft wird man sich ihrer erst dann bewusst, wenn es schon zu schwerwiegenden und irreversiblen Komplikationen gekommen ist, wenn also die Funktionsfähigkeit der Niere beeinträchtigt ist. Nationale und internationale Daten zeigen alle ein ähnliches Problem: Chronische Nierenerkrankungen werden im Allgemeinen unterdiagnostiziert. „Das chronische Nierenversagen muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden“, mahnt Giulia Barbieri. „Was uns zum Beispiel überrascht hat, war, dass selbst jene nicht wussten, dass sie eine eingeschränkte Nierenfunktion hatten, bei denen Diabetes oder Bluthochdruck diagnostiziert worden war. Das sind die beiden Hauptrisikofaktoren für chronisches Nierenversagen, bei denen eigentlich die Alarmglocken läuten müssten“, sagt Giulia Barbieri. „Die Leitlinien für die gute klinische Praxis empfehlen nämlich, dass Patienten und Patientinnen mit Bluthochdruck oder Diabetes regelmäßig auf ihre Nierenfunktion untersucht werden sollten.“

altCredit: Eurac Research | Silke De Vivo

Die Rolle der Ernährung auf die Vorsorge von chronischem Nierenversagen

Wenn eine chronische Niereninsuffizienz diagnostiziert wird, ist die Ernährung einer der wichtigsten Faktoren bei der Behandlung. In der Regel sollte der Eiweißkonsum reduziert werden. Natrium und Phosphor gelten ebenfalls als schädliche Nährstoffe, während Kalium in den frühen Stadien der Krankheit die Nierenfunktion zu fördern scheint (seine Wirkung in fortgeschritteneren Stadien ist hingegen ungewiss).

Das Forschungsteam wollte den Zusammenhang zwischen chronischem Nierenversagen und Ernährung bereits in der Allgemeinbevölkerung untersuchen: Welche Ernährungsgewohnheiten sind mehr oder weniger mit dieser Krankheit verbunden? Die Verflechtung dieser Daten ermöglicht es zu verstehen, wie sich die Ernährung auf die Nierenfunktion auswirkt und liefert auch wichtige Informationen für die Prävention.

„Um den Zusammenhang zwischen Nieren und Ernährung zu untersuchen, wählten die Forscher und Forscherinnen einen innovativen Ansatz: Sie analysierten die Ernährung als Ganzes.“

„Normalerweise konzentrieren sich Studien zur Ernährung auf Personen, die bereits eine Diagnose haben und die sich in einem bestimmten Stadium der Krankheit befinden, zum Beispiel Dialyse-Patienten und -Patientinnen. Die Allgemeinbevölkerung ist dagegen wenig untersucht“, erklärt Cristian Pattaro, Biostatistiker und Leiter der Gesundheitsstudie CHRIS. „Das Sammeln allgemeiner Informationen hilft, im Sinne einer immer wichtiger und notwendiger werdenden Prävention zu handeln. Denn die Nierenfunktion nimmt mit zunehmendem Alter naturgemäß ab, und die alternde Bevölkerung lässt vorhersehen, dass diese Krankheit in den kommenden Jahren noch weiter ansteigen wird.“ Prognosen gehen davon aus, dass chronisches Nierenversagen bis 2040 an fünfter Stelle der häufigsten Todesursachen stehen wird.

Um den Zusammenhang zwischen Nieren und Ernährung zu untersuchen, wählten die Forscher und Forscherinnen einen innovativen Ansatz: Sie analysierten die Ernährung als Ganzes und nicht nur einzelne Nährstoffe. „Die Ernährung ist sehr wichtig für die Prävention, denn sie ist etwas, das wir ändern können – in Gegensatz zu anderen Faktoren wie die Genetik oder Krankheiten, die einen Risikofaktor darstellen“, erklärt Giulia Barbieri.

Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wie es deinen Nieren geht

Bei der Ernährung geht es nicht nur darum, was man isst, sondern auch wie man es zusammenstellt, wie viel man von jedem Lebensmittel isst, wie viel man variiert. Werden ausschließlich die Auswirkungen einzelner Nährstoffe untersucht, besteht nach Ansicht des Forscherteams die Gefahr von verzerrten Einschätzungen. „Wir haben uns oft auf einzelne Lebensmittel oder einzelne Nährstoffe konzentriert: Wir wissen zum Beispiel, dass Elemente wie Eiweiß, Natrium, Phosphor und Kalium bei chronischem Nierenversagen reduziert werden sollten. Aber das, was wir jeden Tag essen, besteht aus sehr unterschiedlichen Kombinationen dieser Nährstoffe und die Wechselwirkungen sind nicht so einfach“, warnt Giulia Barbieri. „Es ist wichtig, die Dinge als Ganzes zu sehen: Elemente wie Eiweiß und Phosphor kommen beispielsweise häufig zusammen vor, da verarbeitetes Fleisch zahlreiche Zusatzstoffe enthält, die in der Regel einen hohen Phosphorgehalt aufweisen.“

altCredit: Eurac Research | Silke De Vivo
Ein Beispiel für einen in der Studie vorgeschlagenen Fragebogen zu Lebensmitteln

Die bei der Analyse angewandte Methodik – die die so genannten „Ernährungsmuster“ der Befragten untersucht hat – ermöglichte es, die komplexen Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung auf der Ebene der einzelnen Lebensmittel zu erfassen. Und sie mit dem Gesundheitszustand der Nieren zu vergleichen.

Eine Ernährung, die reich an Getreide, Obst und Gemüse ist und bei der wenig verarbeitetes Fleisch gegessen wird, steht etwa in Zusammenhang mit einem geringeren Grad an Nierenversagen. Umgekehrt ist eine Ernährung mit vielen Milchprodukten, verschiedenen Fisch- und Fleischsorten mit einer schlechteren Nierenfunktion verbunden.

„Die Ernährung ist der Faktor, auf den wir am meisten Einfluss haben, aber sie ist natürlich nicht der einzige Faktor, der bei chronischem Nierenversagen eine Rolle spielt“, erklärt die Forscherin. „Die Daten wurden auch im Zusammenhang mit dem Alter, dem Body-Mass-Index, der körperlichen Aktivität und dem Bildungsniveau sowie mit schädlichen Gewohnheiten wie dem Rauchen ausgewertet.“

„Die Untersuchung hat gezeigt, dass bestimmte Ernährungsweisen die Nierengesundheit besser schützen und daher in Programme zur Vorbeugung von chronischem Nierenversagen aufgenommen werden könnten“, erklärt Essi Hantikainen, Ernährungsepidemiologin am Institut für Biomedizin, die die Untersuchung betreute. „Der nächste Schritt wird darin bestehen, ein weiteres Element in die Analyse einzubeziehen: die genetischen Informationen. So können wir verstehen, wie die Ernährungsgewohnheiten mit unserem genetischen Hintergrund bei der Entstehung der Krankheit interagieren.“

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Das wissenschaftliche Paper

Die vollständigen Daten der Analyse des Zusammenhangs zwischen Ernährung und chronischem Nierenversagen wurden in dem Artikel „Associations Between Dietary Patterns and Kidney Health Assessed in the Population-Based CHRIS Study Using Reduced Rank Regression“ veröffentlicht, der im Journal of Renal Nutrition erschienen und frei zugänglich ist. Die Autorinnen und Autoren sind Giulia Barbieri, Vanessa Garcia-Larsen, Rebecca Lundin, Ryosuke Fujii, Roberto Melotti, Martin Gögele, Kenneth B. Christopher, Lucia Cazzoletti, Peter P. Pramstaller, Maria Elisabetta Zanolin, Cristian Pattaro, Essi Hantikainen.

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