Über Naturwein: Nature Writing aus dem Weinfeld
Naturweine sind in der Welt des Weins die großen Individualisten. Die prägnanten Namen stehen für einen nach besonderen Kriterien an- und ausgebauten Wein. Hergestellt ohne Zusatzstoffe, wird der unfiltrierte Naturwein in der Regel nach ökologischen Richtlinien produziert. Autochthone Sorten spielen eine große Rolle. Im Ursprungsland Frankreich ist Naturwein ein großer Trend. In Südtirol ist diese nachhaltige Art der Weinherstellung bisher noch eine Randerscheinung. Nur sehr wenige Pioniere widmen sich diesem vielversprechenden Nischenprodukt mit eigener Philosophie.
Pierrot, Lakrez, Solaris, Sonnrain, Abendrot, Gandfels, Tonsur: Naturweine tragen individuelle Namen. Sie verraten mitunter das für den Wein charakteristische Terroir. Préguajour. Das ist Provenzalisch, von „prier le jour“ (den Tag preisen). Préguajour heißt der Weinberg, auf dem mein Onkel und seine Frau seit Anfang der 1980er Jahre im Departement Var/Provence ihren gleichnamigen Naturwein anbauen. Der Rosé lautet Euphoricum, weil er gute Laune macht.
Namen als expressionistische und evokative Metaphern. Namen als Resonanzräume mit vielen Assoziationsmöglichkeiten und „Bedeutungshöfen“. Namen mit Aura. Sie verkörpern die Essenz des Terroirs und die Philosophie des Winzers. In einzelne Wörter gebanntes Nature Writing über Wein. Das winzerische Narrativ. Der zu poetischer Sprache verdichtete emotionale Nucleus eines subtilen Umgangs des Menschen mit der Natur und seiner Wahrnehmung.
Frankreich ist die Basis der Naturweinbewegung
Naturwein (vino naturale, vin naturel) ist ein naturbelassener und unbehandelter Wein. Entstanden ist er in den 1960ern im französischen Beaujolais. Interessanterweise existieren zahlreiche, alternative Bezeichnungen: Natural wine, Authentic wine, Artisan wine, Naked wine, Vin vivant, Naturreiner Wein, vino secondo natura, vino vero, vino artigianale. Sie sind nicht unumstritten, machen aber deutlich, worum es den Winzern beim Naturwein geht. Oder offensichtlich den anderen Winzern nicht?
In Frankreich stellen mittlerweile einige hundert Produzenten Naturwein her. Auch in Italien tut sich einiges. In Südtirol muss man etwas suchen. Ein paar Pioniere gibt es aber immerhin. So haben sich hierzulande vier junge, innovative Freistil-Winzer und ein paar Vinnatur-Winzer dem Naturwein verschrieben.
Es zählen die Arbeit im Weinberg und keine Zusatzstoffe
Naturwein ist bisher gesetzlich nicht geregelt oder zertifiziert. Es gibt kein Label. Regeln und Kriterien basieren auf einem Konsens der Naturweinproduzenten und gemeinsam getroffener Regeln und Kriterien. Sie haben sich in Teilen mit unterschiedlichen Statuten in Vereinigungen organisiert, wie „Vinnatur“ in Italien (170 Winzer) oder der “Association des vins naturels“ (450 Winzer) in Frankreich. Eine Übersicht findet sich hier. Es ist anzunehmen, dass es wohl einige weitere Naturwinzer gibt, die sich aber nicht registriert haben.
Ökologisch, rein und authentisch
Entscheidend für den Naturwein ist die natürliche Art und Weise des An- und Ausbaus. Er ist ein nach ökologischen Kriterien hergestellter Wein. Naturweine können, und das zeigen die Südtiroler Freistil-Winzer, nach Kriterien der Bioverbände (Bioland, Demeter etc.) und EU-Öko Verordnung zertifizierte und kontrollierte Bioweine sein. Je nach Zertifikation, wird das durch entsprechende Labels angegeben.
Traditionelle bzw. autochthone Weinsorten sind im Vergleich zum konventionellen und Biowein überdurchschnittlich stark vertreten. Häufig setzen die Naturweinwinzer auf sehr alte Reben und traditionelle Reberziehungssysteme. Nur gesunde, reife und per Hand gelesene Trauben kommen in den Weinkeller.
Naturwein entsteht im Normalfall ohne zugesetzten Schwefel und wird ungefiltert abgefüllt. Das wird teilweise auch hervorgehoben und auf dem Etikett mit „ohne zugesetzte Sulfite“ angegeben. Ein solcher schwefelfreier und nicht gefilterter Wein unterscheidet sich optisch und geschmacklich stark von allen anderen, auch Bioweinen. Der Kern, sozusagen die Seele des Naturweins ist aber, dass er ohne Zusätze entsteht: Naturwein wird im Weinkeller nicht mit Substanzen angereichert oder behandelt, um ihn zu verschönern oder zu konservieren.
Sulfite: umstritten, aber essentiell
Seit 2005 steht bei herkömmlichen Weinen auf dem Etikett „Enthält Sulfite“. Das gilt, wenn mehr als zehn Milligramm Sulfite pro Liter verwendet werden. Die EU hat Höchstgrenzen festgelegt. Bei Süßweinen sind bis zu maximal 400 mg/l erlaubt. Es geht darum Menschen mit einer Überempfindlichkeit vor Unverträglichkeitsreaktionen (u.a. Asthma) zu schützen.
Sulfite sind eine Substanz der Schwefelsäure und setzen Schwefeldioxid frei. Sie sind eigentlich ein natürliches Produkt und entstehen in geringen Mengen bei der alkoholischen Gärung. Sie wirken antimikrobiell sowie antioxidativ. Zugesetzter Schwefel ermöglicht Weine längere Zeit zu lagern. Er verhindert auch, dass sie durch Oxidation „umkippen“ bzw. ungenießbar werden. Auch unterbinden Sulfite unerwünschte Nachgärungen bzw. eine spontane Gärung mit weineigenen Hefen. Aber gerade diese Spontangärung, insbesondere mit wilden Hefen, ist für den Naturweinwinzer für einen individuellen, komplexen und persönlichen Terroirwein essentiell.
Im herkömmlichen Wein sind viele Zusatzstoffe erlaubt
Sulfite sind bei weitem nicht die einzigen erlaubten Zusatzstoffe. Warum verwendet man bis zu fünfzig, andere Quellen sprechen von bis zu 200, Zusatzstoffe – u.a. Zitronensäure, Milchsäurebakterien, Saccharin, Tannine -, in einem Naturprodukt wie Wein? Der normale Konsument hat keinen Einblick, was, warum, in welchen Mengen und in welcher Kombination an Zusatzstoffen verwendet wird. Es bleibt Betriebsgeheimnis wie der Wein „verschönert“ oder „sensorisch verkehrsfähig“ abgestimmt wird. Zusatzstoffe müssen nicht angegeben werden, weil Wein nach EU-Recht nicht als Lebensmittel gilt. Die Angabepflicht betrifft nur Schwefel bzw. Sulfite.
Der Antipode des Massenweins
Ein Naturwein ist grundsätzlich ein individuelles, unverfälschtes, reines und authentisches Natur- und Kulturprodukt. Er kann auch als klare ganzheitliche Antwort und nachhaltige Alternative zum industriellen Massenweinmarkt und vielen herkömmlichen austauschbaren High-Tech-Weinen gesehen werden. Geschmacklich sind sie im Vergleich zu den altbekannten Weinsorten eine spannende und ungewohnte Alternative. Aber Naturwein ist viel mehr als ein Bruch mit Konventionen und Standards, bei dem Amphoren zu Verwendung kommen und der Traktoreneinsatz reduziert ist. Er steht für eine genaue Kenntnis natürlicher Prozesse und Wechselwirkungen, eine spezifische ethische Einstellung für Biodiversität und eine Überzeugung zu verzichten. Verzicht auf alle Manipulationsmöglichkeiten, die die Agrarindustrie an unzähligen und unerkennbaren Stoffen vor und während der Weinernte und im Weinkeller anbietet.
Es bleibt abzuwarten, ob der große Naturweintrend in anderen Regionen auch Südtirol beeinflusst und wie einst die biodynamischen Winzer, neue Pioniere die Nische des Naturweins als vielversprechend für sich, die Umwelt und neugierige Weintrinker erkennen.
Thomas Streifeneder ist Wirtschaftsgeograph und leitet das Eurac-Institut für Regionalentwicklung. Ihn beeindrucken engagierte Menschen im ländlichen Raum, Querdenker, die etwas wagen. Mit seinen Posts will er auf innovative soziale und ökologische Initiativen hinweisen und damit andere zum Umdenken inspirieren. Besonders interessiert ihn, wie die ländlichen Lebens- und Wirtschaftsweisen in der Prosa darstellt werden, wie genau sie diese wahrnimmt und welche Aussagen damit gemacht werden. |
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